© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Die Hatz auf das faschistische Imaginäre
Ernst Jüngers Rezeptionsgeschichte aus Sicht der amerikanischen Westküste
Silke Lührmann

Wie ihr Titel ankündigt, unternimmt Elliot Y. Neamans Monographie "A Dubious Past" ("Eine fragwürdige Vergangenheit") keine Ehrenrettung, sondern allenfalls den Versuch, Ernst Jünger dem lukrativen nordamerikanischen Wissenschaftsmarkt als Forschungsgegenstand schmackhaft zu machen – und ihren Autor als Experten zu empfehlen. Der Schutzumschlag zeigt Jünger in Pelzmütze, den Blick in die Ferne gerichtet, während der im kalifornischen Berkeley Geschichte lehrende Autor genüßlich mit Katze, offenem Hemd und Bücherregal posiert: zwei Figuren aus unterschiedlichen Welten, wird suggeriert. Die ideologischen Koordinaten der seinen verortet Neaman schon in der Einleitung überdeutlich.

Zur Neuen Rechten in Frankreich, der Nouvelle Droite, schreibt Neaman, ihr Vordenker Alain de Benoist kleide "alte Ideen über Rasse und Ethnizität in modische Rhetorik" und gebe "sich viel Mühe, die Sprache und die Themen der Neo-Nazis und Rechtsextremen zu vermeiden, um sich bei bürgerlichen Intellektuellen anzubiedern": "Benoist gelang es, traditionell-konservative Denker – und sogar einige Liberale – als Autoren für die Zeitungen und Zeitschriften der Neuen Rechten zu gewinnen, indem er vorgab, Nazismus und Faschismus abzulehnen, und seine Fremdenfeindlichkeit und seinen Anti-Semitismus hinter pseudo-wissenschaftlichen Euphemismen wie ’Ethnopluralismus‘ und ’biologische Anthropologie‘ verbarg."

Mit diesem weltanschaulichen Kompaß gerüstet, hat sich Neaman auf die Fährte einer ganz heimtückischen Bestie begeben: des "faschistischen Unbewußten". Das findet er zwar nur bedingt bei Jünger selber, dafür um so unbedingter in seiner Rezeptionsgeschichte. Und da, wie Neaman richtig erkennt, seit der Konstanzer Antrittsvorlesung des Literaturwissenschaftlers Hans Robert Jauss 1967 die Absichten der Leser mehr zählen als die Absichten eines Autors, muß man "nicht der materialistischen ’Realismus‘-Theorie George Lukács’ [anhängen], die behauptet, der Roman, das Epos oder eine Philosophie könne – ob vom Autor gewollt oder nicht – die objektive Außenwelt spiegeln", um Texte "stellvertretend für einen Zeitabschnitt" auszuwerten.

Irgendwann fällt Neaman auf, daß Jünger mit dieser Methode nicht beizukommen ist. Statt dessen beginnt er Jünger an Verhalten und Äußerungen eindeutigerer Licht- oder Schattengestalten des 20. Jahrhunderts zu messen. Nur ist das mit der Eindeutigkeit so eine Sache: Wie lange durfte man naiv sein? Ab wann mußte man das Grauen durchschauen, um noch zu den Guten überlaufen zu können? Schon bei Gottfried Benn gerät Neaman ins Schleudern. Der sah – wie laut Neaman auch Alfred Andersch – in Jüngers Abstandnahme vom öffentlichen Kulturbetrieb "den Weg, den er selber nicht genommen hatte", und "verübelte ihm das zeitlebens". Auf den Schwarzen Listen – der Nazis wie der Alliierten – landeten beide, Benn und Jünger, als Schicksalsgenossen brüderlich vereint.

Ganz zu schweigen von einem nicht unähnlich gearteten Erklärungsnotstand, den mancher Intellektuelle oder Künstler bezüglich des Stalinismus hat ... Schweigen will Neaman dazu gar nicht, noch spricht er der Totalitarismusthese ihre Berechtigung ab. Das Urteil, das er im 1986er Historikerstreit um die Relativierbarkeit des Holocaust fällt, wirkt nur auf den ersten Blick salomonisch: "Es ist richtig, daß die Zahl aller dokumentierten Opfer der verschiedenen kommunistischen Regime des 20. Jahrhunderts statistisch die Zahl der von den Nazis getöteten Menschen übertrifft. (…) Wie Tony Judt [in einer Rezension des von Stéphane Courtois herausgegebenen "Schwarzbuch des Kommunismus" in der New York Times] anmerkt, ’gibt es einen Unterschied zwischen Regimen, die bei ihrem unmenschlichen Streben nach willkürlichen Zielen Menschen vernichten, und solchen, deren Ziel die Vernichtung selbst ist.‘ Natürlich kann man diese Formel umkehren und argumentieren, Massenvernichtung im Namen eines hehren Ziels sei sogar noch schlimmer, aber die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Besessenheit mit den Juden bleibt historisch ohne Beispiel."

Der Kommunismus hat seine ideologische Glaubwürdigkeit endgültig verloren und stellt keine Bedrohung mehr für den Liberalismus dar. Die dunkle Strahlkraft des Faschismus – der als Ideologie eben nie glaubwürdig war – bleibt dagegen ungebrochen und um so gefährlicher. Diesen "intellektuellen Faschismus" will Neaman verstanden wissen "als weitgefaßte Kritik an liberalem Humanismus und Marxismus, die als kohärente Herausforderung begriffen werden muß und überraschend vielen zeitgenössischen Intellektuellen allzu attraktiv scheint".

Schuldig machte sich Jünger letztlich also eines "ideologischen Brückenschlags", der sich "schon in Jüngers Frühwerk abzeichnete, das den Mythos der Kriegserfahrung zu einem Appell an die Gesellschaft nutzte, die Fesseln der Zivilisation zu durchbrechen und zu den ’natürlichen‘ Lebensbedingungen des ungezähmten Menschen zurückzukehren". Solche Prosa erkenne man an ihrer "starken Anlehnung an Nietzsche; sie ist naturgewaltig, vernunftskritisch und zivilisationsverachtend". Als besonders böswillige Auswucherung des faschistischen Unbewußten breche sie der "faschistischen literarischen Imagination" Bahn: "Bei der Überarbeitung seiner Kriegserinnerungen baute Jünger sukzessive grundlegende Elemente eines ’faschistischen Stils‘ ein: Verweise auf Dynamik, Jugend, Geschwindigkeit, Maschinenkraft, Intuition, Instinkt und die Läuterung in einer neuen Ästhetik der Gewalt."

Die Sternstunde der faschistischen Imagination schlug 1944 in Paris, als Jünger vom Dach des Hotel Raphael den Bombern mit einem Glas Burgunder in der Hand zusah. Wo Karl Heinz Bohrer paradigmatische Momente der Moderne sieht, deren sprachliche Kälte den Schock nicht abschwächt, sondern entfaltet, befindet Neaman: "Er starrt mit dem kalten, amoralischen Auge der autonomen Kunst auf reale politische Ereignisse, um dem archaischen Ablauf der Geschichte zuzuprosten, nicht anders als ein Insektenforscher, der einer Schlacht zwischen Horden mörderischer Kampfameisen zusieht. (…) Wahrhaft modernistische Schreckenserzählungen müßten den Erzähler und Beobachter derselben heterogenen Kraft des Ereignisses unterwerfen." Seit dem Fernsehspektakel Golfkrieg wissen wir Nachgeborenen allerdings aus eigener Erfahrung, daß selbst die antifaschistisch korrekte Haltung der Betroffenheit keine Bombe abzuwenden und kein Leben zu retten vermag.

Daß Faschismus und Nationalsozialismus nicht dasselbe Monster sind, weiß Neaman durchaus – eine Erkenntnis, die an beiden amerikanischen Küsten sowenig selbstverständlich ist wie hierzulande. So gelingt es ihm, "Auf den Marmorklippen" als regimekritisch und dennoch – in "seinen linguistischen Tiefenstrukturen" – von faschistischem Bildgut durchdrungen zu interpretieren. Jünger, das steht für Neaman fest, war ein Faschist und kein Nazi. Das "Fragwürdige" an ihm liegt eher in der Gegenwart und Zukunft als in seiner Vergangenheit: die Unvernünftigen auf beiden Rheinseiten, die sich der Neuen Weltordnung nicht fügen wollen, die im Liberalismus kein globales Heilsversprechen, sondern die "vermeintliche Tyranny des Marktes" sehen wollen – und sich dabei dank Männern wie Jünger auf eine "radikalkonservative" Traditionslinie von der Konservativen Revolution bis zur "Selbstbewußten Nation" berufen können.

So räumt Neaman den Kapiteln "Jünger in der Ära Adenauer" und "Jünger in der Ära Kohl" nicht weniger Gewicht ein als Jünger unter Hitler. Er referiert gewissenhaft Jüngers Stellungnahmen zu den Debatten um die Vergangenheitsbewältigung, Wiedervereinigung und zukünftige Rolle Deutschlands wie auch die medialen Kontroversen um seine Person – etwa anläßlich der Goethe-Preis-Verleihung 1982 oder des 100. Geburtstags.

Auf welchem Altar die Gabe dargebracht werden soll, erfährt man erst zum Schluß: "Die Frage, ob Deutschland als souveräner Nationalstaat agieren soll, ist inzwischen keine mehr; wie seine politische Beziehung zum westlichen Bündnis im 21. Jahrhundert gestaltet werden soll, ist noch offen." Ob es sich bei dieser "Gestaltung" um eine Fremd- oder Selbstbestimmung handeln soll, verrät Neaman auch im englischen Originaltext nicht. Immerhin heißt es eine Seite zuvor: "Wir sollten kein Tabu aus der Diskussion darüber machen, worauf Heidegger mit Begriffen wie ’Dasein‘, Carl Schmitt mit ’Freund und Feind‘ oder Jünger mit dem ’Anarchen‘ oder dem ’Ende der Geschichte‘ meinte. So zu tun, als wären die historischen Erfahrungen irrelevant, die zu ihren Formulierungen führten, scheint mir jedoch politisch und philosophisch mehr als fragwürdig."

"A Dubious Past" ist gründlich recherchiert, aber schlampig geschrieben und noch schlampiger lektoriert. Das mag Absicht sein – einem Autor, der Namen mal so, mal so schreibt und keine Scheu vor falsch bezogenen Partizipialkonstruktionen zeigt, läßt sich weder "faschistischer" Ordnungswahn noch gar Elitarismus vorwerfen. Dem deutschen Leser bietet das Buch nichts sensationell Neues, nicht einmal einen ausgesprochen transatlantischen Blick auf Jüngers Werk. Der Anmerkungsreichtum und die ausführliche Bibliographie machen es dagegen zu einer Fundgrube für amerikanische Akademiker und Amateure, die sich – aus welchen Gründen auch immer – mit der deutschen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen.


 
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