© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Brandstiftung im Namen des Heiligen Josef
Spanien: Mitte März haut Valencia den Jahresetat einer Kleinstadt auf den Kopf
(JF)

Hoch schlagen die Flammen in den Abendhimmel. Überall in der Stadt lodern kleine und große Feuer, erhellen Gluten Fassaden. Über den Häusern steht schwarzer Rauch. Ganz Valencia scheint zu brennen. Manuel steht der Schweiß auf der Stirn. Mit Blaulicht jagt er von einem Brandherd zum anderen. So wie die Dutzende übrigen Wehrmänner auch, die um Mitternacht gehörig ins Schwitzen kommen. Für Valencias Feuerwehr ist die Nacht vom 19. auf den 20. März ein hartes Stück Arbeit. Ein ungewöhnlicher Einsatz, den sie dem Stadtpatron verdanken, dem Heiligen Josef. Ihm zu Ehren freilich müssen die Floriansjünger an diesem Abend die Brände nicht löschen, sondern legen. Staubige Erinnerungen an die "Falla", an meterhohe Figuren, die während Spaniens aufregendster Frühlingsfeier verbrannt werden.

Schon Tage vor dem Josefsfest ist die Stadt so gut wie dicht. Fast alle großen Kreuzungen blockieren kleine und große Figuren aus Kunststoff, Holz oder Pappe. Polit- und Fernsehstars, Künstler und Sportler, nationale Größen und lokale Prominenz erscheinen humorvoll glorifiziert oder satirisch verzerrt. Närrische Arrangements, die an dreidimensionale Comic-Strips erinnern; bissige Kommentare in bunten Bildern.

Fast vierhundert Fallas stellen die Valencianos Jahr für Jahr auf Straßen und Plätze, die größten wie immer auf den Rathausplatz. Haushohe und mehr als zehn Tonnen schwere Gebilde, an denen Künstler und Handwerker oft ein Jahr lang arbeiten. Die größten, deren Inneres Museen oder Restaurants enthalten, so teuer wie ein Eigenheim.

Freudenfeuer sind in Valencia nichts Neues. Schon vor Jahrhunderten sollen die Bürger mit brennenden Teerfässern auf hohen Masten Kaiser und Könige begrüßt haben. Und mit der Verbrennung alten Gerümpels feierten die Handwerker einst den ersten Frühlingstag, das Ende der dunklen Jahreszeit. Ihr Frühjahrsputz wurde schließlich zum Happening, als immer mehr Zünfte begannen, die Reste aus der Werkstatt, zu denen auch große Kerzenständer gehörten, mit Lumpen und Fetzen zu garnieren. "Ninots" nannte das Volk diese Gebilde, die an Vogelscheuchen erinnerten, im Lauf der Zeit aber immer mehr menschliche Gestalt annahmen.

In gut zwei Jahrhunderten entwickelten die Valencianer aus den Ninots von damals die Fallas von heute. Kleine und große Kunstwerke, deren schönste längst museumsreif sind. Vergebens hatte die Stadt einst versucht, die satirischen Bildwerke zu verbieten, die Ende des letzten Jahrhunderts zum Ausdruck sozialen und politischen Protests geworden waren. "Niemand dachte daran, daß alles nur Holz und Pappe war", bemerkte 1894 ein Chronist, "alle glaubten, daß es die Regierung selbst war, die sie zu den Klängen der Marseillaise verbrannten ..."

Schon ein Jahr später aber änderte der Staat seine Einstellung zum Brauch, wurden die besten Fallas prämiert. Aus dem Protest der Bürger wurde eine Attraktion für Fremde. 1927 kam der erste Sonderzug aus Madrid, wurde die Frühlingsfeier für Sankt Josef zum Touristen-Magnet. Die Folgen waren auf den Straßen sichtbar. Der gute Geschmack verdrängte den bissigen Humor. Künstler und Handwerker übernahmen den Bau der Figuren. Männer und Frauen, die aus Pappe, zunehmend aber auch aus Glasfaser und Polyester die bis zu zwanzig Meter hohen Fallas fertigen.

Heute leben viele kleine Betriebe von ihrer Gestaltung, Ingenieure, Architekten, Bildhauer, Schreiner und Maler. Emsige Hundertschaften, deren Arbeit längst auch Filmfirmen und Vergnügungsparks in ganz Europa schätzen. Schließlich verdanken dem Fest auch ein gutes Dutzend Hinterhof-Bastler ihr Brot, die jährlich Millionen von Feuerwerkskörpern fertigen. Fast hundert Tonnen Pulver stecken sie Jahr für Jahr in Kracher und Böller, die in der Festwoche rund um die Uhr gezündet werden: die bunten bei Nacht, die lauten am Tag.

"Mascleta" heißt das ohrenbetäubende Spektakel, das ab Anfang März fast überall in der Stadt über die Bühne geht und selbst geschwätzigste Spanier zum Schweigen bringt. An langen Schnüren montierte Knaller explodieren im Sekundentakt. Ein Höllenlärm, der sich am Josefstag zu einer Dauer-Attacke auf die Trommelfelle steigert. Morgens, mittags und abends knallt es an allen Ecken, kündet weißer Rauch am Himmel von immer neuen Mascletas.

Jedes Stadtviertel sucht das andere mit Licht und Lärm zu überbieten. Ein Wettbewerb, der das Fest ständig wachsen läßt. Ehrgeiz und Bürgerstolz, vor allem aber der wirtschaftliche Aufschwung Spaniens, lassen ständig neue Gesellschaften zur Pflege des Brauchs entstehen. Auch sie heißen Fallas und sind die Paten der bunten Figuren. Fast vierhundert gibt es inzwischen in der Stadt, Vereine mit einem Präsidenten an der Spitze, Stammlokalen und regelmäßigen Versammlungen.

Ihre größte Stunde schlägt an den Vortagen des Josefsfestes. Von überall ziehen dann die Valencianer zur gotischen Kathedrale. Zum Gnadenbild der Virgen de los Desamparados, der Mutter Gottes der Schutzlosen, der Patronin der Stadt. Mittags um vier beginnt der Aufmarsch der Falleros und Falleras, der Männer und Frauen in bunten Trachten. Die Herren kommen im Sonntagsstaat, die Damen in Röcken aus feinster Seide und teuerstem Brokat, die Haare kunstvoll aufgesteckt. In den Gala-Kostümen steckt nicht selten ein ganzes Monatseinkommen.

Jede Gruppe wird im Rhythmus des Paso doble von Musikern zum Platz hinter der Kathedrale geleitet. "Valencia" tönt es in den Gassen: eine Melodie, die längst Schlagergeschichte ist. Die "Ofrenda", wie die Spanier ihren zweitägigen Opfergang zu Ehren der Jungfrau nennen, ist ein Fest für Ohr und Auge – und auch für die Nase. Denn jede Gruppe schleppt Blumen mit sich, rieisige Körbe oder kleine Wagen voll bunter Blüten. Fast fünfzig Tonnen Rosen und Nelken, Gladiolen und Tulpen, Anemonen und Lilien. Blumen, die aus ganz Spanien, zunehmend aber auch aus Kolumbien und Puerto Rico nach Valencia eingeflogen werden.

Es ist meist schon nach Mitternacht, wenn die letzten der fast 150.000 in Vereinen organisierten Falleros und Falleras auf der Plaza de la Virgen eintreffen, dem Platz hinter der Kathedrale. Zwei Millionen Blumen sind dort zu einem Blütenkleid drapiert: zu einem rot-weißen Meer, über dem hoch oben die Mutter Gottes thront. Noch aber gehen die Valencianer längst nicht ins Bett. Nachts um eins versammeln sie sich am anderen Ende der Stadt, entlang des Flusses Turia, wo das größte Feuerwerk der Festwoche gezündet wird. Ein pyrotechnisches Spektakel, das bunte Kaskaden an den Himmel zaubert. Und wie an den Tagen zuvor werden wieder Unsummen verpulvert, geben Spaniens Feuerwerker noch einmal Proben ihres Könnens.

Am späten Abend schließlich schlägt die Stunde der Wehrmänner, die von einer Kreuzung zur anderen eilen, von einer Falla zur nächsten. Schläuche werden montiert, die angrenzenden Hausfassaden mit Wasser besprengt. Erst dann kann die Apotheose des Festes beginnen, die Verbrennung aller Figuren. Meterhoch schlagen dann die Flammen, wirbelt glühende Asche durch die Luft. Valencia brennt. Sankt Josef läßt grüßen, der Frühling kommt mit hellem Schein. Am nächsten Morgen ist alle Volkskunst vergangen, haben die Valencianer den Jahresetat einer Kleinstadt in die Luft gejagt, buchstäblich Millionen verpulvert.

 

Informationen: Höhepunkt der Festwoche ist die Verbrennung der Fallas am Abend des 19. März. Am interessantesten sind die beiden letzten Tage mit dem großen "Opfergang" der Valencianer, dem Aufmarsch der Bürger zu Ehren der Stadtheiligen. Weitere Auskünfte und Unterkunftsnachweise erteilen die Spanischen Fremdenverkehrsämter unter der zentralen Telefonnummer: 0 61 23 / 9 91 34


 
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