© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
"Wir haben fast DDR-Verhältnisse"
Günter Zehm über Gefährdungen der Meinungs- und Pressefreiheit, kritischen Journalismus und Spaßkultur
Dieter Stein / Moritz Schwarz

Herr Professor Zehm, Sie standen als einer der ersten unter dem "Appell für die Pressefreiheit", der überraschend schnell zu einem Einlenken der Postbank führte. Ist der "Fall Postbank" symptomatisch für die politische Lage in Deutschland?

Zehm: Symptomatisch war zumindest die Kündigung und ihre Begründung, also die Beschimpfung der JF als einer "extremen Organisation", mit der man, weil sie in irgendwelchen Verfassungsschutzberichten erwähnt wird, nicht mehr zusammenarbeiten könne. Da drückte sich nur allzu deutlich aus, wohin uns die von der Regierung im vorigen Jahr gestartete "Kampagne gegen Rechts" inzwischen geführt hat. Es wurde bewußt ein Bürgerkriegsklima geschaffen, in dem jeder, der sich politisch auch nur ansatzweise als rechts von CDU/CSU stehend zu erkennen gibt, als absoluter Feind erscheint, mit dem man alles machen dürfe. Es gibt inzwischen Ärzte, die sich weigern, die Kinder von "rechten" Eltern zu behandeln. Die Kündigung der JF-Konten durch die Postbank paßte in dieses Schema.

Halten Sie es für übertrieben, von einem "neuen Totalitarismus" zu sprechen? Sind "Political Correctness" und die Gängelung unbequemer Zeitungen und Verlage Vorboten einer Meinungsdiktatur?

Zehm: Ich verwende zur Kennzeichnung unserer augenblicklichen Lage bevorzugt die Formel "DDR light". Wir haben jetzt in ganz Deutschland natürlich eine Wirtschaft, die sehr viel besser funktioniert als die Wirtschaft in der verflossenen DDR. Der Staat und die Parteien kontrollieren auch noch nicht so viele Lebensbereiche wie in der DDR, es gibt noch Inseln der Liberalität. Aber in der Politik und in den Medien haben wir schon fast DDR-Verhältnisse. Die als "demokratisch" bezeichneten Parteien unterscheiden sich in ihrer Programmatik nicht mehr voneinander und in den entscheidenden Medien – Fernsehen, große Regionalzeitungen, Verlage usw. – herrscht blanke Meinungsdiktatur. Ganze Kohorten von selbsternannten Zensoren sorgen gnadenlos für geistige Einheitslinie, es gibt Tabuzonen, es gibt Paragraphen gegen "Volksverhetzung", es gibt alljährlich Tausende von Prozessen wegen ideologischer "Propagandadelikte", es gibt – genau wie einst in der DDR – einen Dauerkrieg der Behörden gegen aufmüpfige Jugendliche und gegen die Musik, die sie machen. Da ist kein Unterschied mehr.

Sie waren selbst in der DDR mehrere Jahre wegen unbotmäßiger Äußerungen inhaftiert. Macht Sie das vielleicht überempfindlich für gewisse Entwicklungen?

Zehm: Ich finde, man kann hier gar nicht empfindlich genug sein. An der Universität Jena, wo ich Vorlesungen halte, hat im Zuge der "Kampagne gegen Rechts" die "Antifaschistische Hochschulgruppe" – eine Formation, die im Studierendenrat über einen einzigen Sitz verfügt – Knall und Fall wüste Beschimpfungen gegen mich erhoben, weil ich meine Pankraz-Kolumne in der JF erscheinen lasse. Alsbald erschien im Berliner PDS-Organ Neues Deutschland ein Artikel gegen mich, der vor Lügen strotzte. So wurde unter anderem behauptet, ich sei dafür verantwortlich, daß im Jenaer Vorort Lobeda russische Gast-Wissenschaftler angefallen worden seien, und daraufhin zogen thüringische Regionalzeitungen sofort nach, so als seien sie vom ND wie in alten Zeiten ferngelenkt. Es erschienen dort Artikel, die ganze Passagen aus dem ND wörtlich übernahmen. Das erinnerte mich doch sehr an gewisse Vorgänge aus meiner Jugend. Fehlt nur noch der Rausschmiß aus der Universität und die Verhaftung "wegen Boykotthetze".

Was tun eigentlich die "bürgerlichen", auf Seriosität bedachten Zeitungen, um einer Meinungsdiktatur entgegenzuwirken?

Zehm: Viel zu wenig, eigentlich fast nichts. Die sogenannten "Vorkommnisse", auf die sich die "Kampagne gegen Rechts" zu ihrer Rechtfertigung berief – Ertränkung eines halbarabischen Kindes in Sebnitz, Synagogenanschläge, "Jagd" auf Ausländer – waren ja zu einem großen Teil aufgelegter Schwindel, es waren schlimmste Fakes der "antifaschistischen" PC-Aufseher und der Revolverpresse. Es wurde vorverurteilt, Sachverhalte wurden in übelster Weise verdreht oder übertrieben – doch die "bürgerliche" Presse tat nichts dagegen, recherchierte nicht selbständig, stellte nichts richtig, mahnte nicht zur Vernunft, im Gegenteil, ihre Kommentatoren stimmten voll in das Geheul ein. Noch nie war das Niveau im Fernsehen und in den Zeitungen bei uns so niedrig wie zur Zeit.

Liegt das nicht auch daran, daß die Spaßgesellschaft voll mit anderen Dingen beschäftigt ist? Wie erklären Sie sich, daß zum Beispiel selbst bei der Lektüre der "FAZ" inzwischen der Eindruck entsteht, dort gäbe eine "Spaßfrak-tion" den Ton an?

Zehm: Ich habe diesen Eindruck nicht. Die FAZ ist in vieler Hinsicht immer noch ehrfurchtgebietend, räumt wissenschaftlichen Fragen in einmaliger Weise viel Platz ein, hält auch in allen Ressorts ein vergleichsweise hohes Wissens- und Stilniveau. Aber es stimmt schon: In der Innenpolitik wird zu wenig selbständig recherchiert und zu kleinmütig kommentiert, man fühlt sich zu sehr als Sprachrohr offizieller Instanzen. Im Feuilleton werden zu selbstverliebt Locken auf Glatzen gedreht, es herrscht streckenweise ein süffisanter und gleichzeitig umständlich-zweideutiger Ton, der ziemlich auf die Nerven geht.

Sie waren lange Zeit Journalist im Springer-Verlag, davon mehrere Jahre Feuilletonchef und stellvertretender Chefredakteur der "Welt". Wie erklären Sie sich, daß – um ein besonders krasses Beispiel zu wählen – Anzeigen der PDS in der Welt geschaltet werden, der "Appell für die Pressefreiheit" der "JUNGEN FREIHEIT" aber von derselben Zeitung abgelehnt wurde?

Zehm: Das Letzte ist überhaupt nicht zu erklären, es ist pure Dummheit und Beflissenheit dem linken Zeitgeist gegenüber, vergleichbar der Kündigung Ihres Hauptkontos durch die Postbank. Was für Kräfte dahinter stehen und ob welche dahinter stehen – darüber kann man rätseln. Mit der Springerpresse insgesamt verhält es sich wohl folgendermaßen. Sie ist ja kein elitäres Haus, sie ist – in allen ihren Ausprägungen – ein Haus zur Belehrung und Unterhaltung der Massen, was naturgemäß ein niedriges Meinungsprofil voraussetzt. Die entscheidenden Parolen werden anderswo gegeben. Alles, was damals in den Jahren vor der Wiedervereinigung die Springerpresse ausmachte, also das große Bollwerk ordentlicher Bürgerlichkeit gegen die 68er und der Wille, der kommunistischen Diktatur zu widerstehen und die Einheit des Vaterlandes anzustreben – all das war einzig das Werk von Axel Springer, das er oft genug ausdrücklich gegen sein eigenes Haus, gegen dessen Establishment und Management durchsetzen mußte. Dieser Springer hatte natürlich, wie wir alle, seine Schwächen, aber in seinem publizistischen Willen und Wirken war er eine absolut einmalige und epochale Figur, von dessen Erbe leider nichts übrig geblieben ist, wie das eben so oft im Leben der Generationen passiert.

Wie erklären Sie es sich, daß konservative und nationalliberale Autoren in den großen meinungsbildenden Tages- und Wochenzeitungen kaum noch Gehör erhalten?

Zehm: Ist das wirklich so? Wieviele konservative und nationalliberale Autoren, die schreiben können, gibt es denn in unserem Land? Gäbe es mehr davon, würden sie sich wohl auch stärker Gehör verschaffen. Die zweifellos weit verbreitete Zensurgesinnung und die überbordende PC in den Medien ist nur ein Teilaspekt der allgemeinen Misere. Die Epoche des Kalten Krieges ist leider nicht in ein Zeitalter der selbstbewußten Kulturen und Vaterländer eingemündet, sondern in ein Zeitalter der bloßen Verbraucher und eines grenzübergreifenden Massengeschmacks. Und die Eliten – speziell in Deutschland, wo man sich ja gar nicht mehr zur eigenen geistigen Tradition zu bekennen wagt – huldigen ausdrücklich jenem Konsumismus und jenem Massengeschmack, produzieren von sich aus eine verächtliche Wegwerf- und Müllkultur. Zwischen Josef Beuys und Big Brother gibt es im Grunde keinen Unterschied, besteht vielmehr eine Koalition. Wer als Konservativer oder Nationalliberaler dagegen angeht, hat es natürlich schwer.

Liegt es nicht im Wesen der Spaßkultur, daß alles Anspruchsvolle, gar Tiefschürfende letztlich als "gefährlich radikal" erscheinen muß, weil es sich ja in ungewohnt kritischer Weise den Dingen nähert?

Zehm: Radikalität ist in der Tat ein Kennzeichen der Anspruchsvollen und Tiefschürfenden, das kann man schon in der Poetik des Aristoteles nachlesen. Sowohl Wissenschaftler als auch Künstler müssen ihre Probleme und Konflikte in makelloser Schärfe formulieren und aus dem allgemeinen Wust des Vorhandenen herausmeißeln, anders sind Lösungen, ist befreiende Katharsis gar nicht möglich. Hier liegt eine prinzipielle Differenz zur Politik, in der Radikalismus selten eine Tugend ist, es auf Kompromisse ankommt.

Sie selbst beugen sich dem Trend zum Wischiwaschi und zur Häppchenkultur nicht. Seit Jahrzehnten hat Ihre Kolumne den gleichen Umfang. Wie reagieren die Studenten an der Uni Jena auf Ihre Art der Beständigkeit – gibt es einen Generationenkonflikt?

Zehm: An der Uni herrschen, bei aller Kritik, die man an ihr üben mag, doch noch andere Voraussetzungen als in den Medien und Zirkeln der Spaß- und Häppchengesellschaft. Da geht es doch noch ums Ganze, und die meisten Dozenten wissen das und geben sich entsprechend Mühe, um die Verbindung zur Tradition des Überliefernswerten nicht abreißen zu lassen. Und es gibt, glaube ich, genügend Studenten, die das ausdrücklich wollen, die ihre Dozenten geradezu zur Gründlichkeit, Genauigkeit und Radikalität zwingen. Man darf also optimistisch sein. "Alles vergeht", sagt Nasreddhin von Buchara, und so werden auch die Maßstäbe und Unterdrückungsapparate der Spaßgesellschaft vergehen.

Warum hat es kritischer, nicht-linker Journalismus hierzulande so schwer?

Zehm: Gutes hat es immer schwer, hat es immer schwer gehabt und wird es immer schwer haben. Gute Journalisten dürfen sich also keine Illusionen machen, nicht einmal in der Richtung, daß sie sich sagen: "Eines Tages sind die Lemuren am Ende, und dann kommt unsere Stunde." Wenn die Stunde schlägt, wenn die Wende kommt, sind die Lemuren die ersten, die es angeblich schon immer am besten gewußt haben; siehe die Wiedervereinigung und was danach kam. Aber diese Kalamität ist kein Grund zur Verzweiflung. Wie sagte schon Sokrates zu Kritias? "Bedenke immer, o, mein Kritias: Die Menschen zu kränken ist leicht, sie zu belehren ist schwer, sie zu bessern unmöglich. Wir können schon glücklich sein, wenn es uns gelingt, zu verstehen, was der andere meinen mag und welcher Stern ihm, wenn er spricht, voranleuchtet."

 

Prof. Dr. Günter Zehm ist Publizist und Philosophie-Professor an der Friedrich-Schiller- Universität Jena. Seit 1995 veröffentlicht er seine "Pankraz"-Kolumne in der JF

 

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