© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Das unsanfte Wecken der Wallfahrer
Carl Gustaf Ströhm

Niemand solle sich der Illusion hingeben, daß es nach Milosevic auf dem Balkan ruhiger geworden ist. Trotz (oder wegen?) der neuen Regierung in Belgrad gäre es allenthalben. Der Westen habe aus den vergangenen zehn Jahren in diesem Raum "zu wenig gelernt" und betreibe eine "blauäugige und an Idealvorstellungen orientierte Politik".

So die lauteten Thesen auf einer Südosteuropa-Konferenz in Wien. Zu den krampfhaften Bemühungen des Westens, den Völkern in Bosnien-Herzegowina ein "multiethnisches" Staatssymbol aufzuzwingen, erklärte der Leiter des österreichischen Südost-Instituts, Arnold Suppan, wörtlich: "Die Leute wollen das nicht." Es gebe vielmehr eine "eindeutige Tendenz zur Ethnisierung." Anders gesagt: Die Menschen flüchten angesichts allgemeiner Ungewißheit unter den Schutz ihrer nationalen Gemeinschaften: Die Moslems bleiben für sich, ebenso Kroaten und Serben.

Die westlichen "hohen Repräsentanten" reagieren darauf nach der Devise "daß nicht sein kann, was nicht sein darf". Je deutlicher das Fiasko einer aufgezwungenen Multikulti-Lösung wird, desto krampfhafter wird versucht, einen Erfolg herbeizuzaubern. Das geschieht einmal, indem die SFOR-Truppen ziemlich brutal ihre Muskeln zeigen. So flogen im wegen seiner Marien-Erscheinung weltbekannten herzegowinischen Wallfahrtsort Medjugoja einige hundert Pilger aus Amerika, Italien und Deutschland vor einigen Tagen aus ihren Betten, als spanische SFOR-Truppen in den frühen Morgenstunden unweit der Wallfahrtskirche mit dröhnenden Kampfhubschraubern eine Luftlandung simulierten. Als die verschreckten Gäste vorsichtig aus dem Fenster schauten, sahen sie auf der Straße Soldaten in voller Kampfausrüstung mit schußbereiten Schnellfeuergewehren. Erst nach Stunden zog die Truppe wieder ab.

In der bosnisch-herzegowinischen Stadt Orasja drangen, bis an die Zähne bewaffnete, Amerikaner und Italiener in die Kaserne der 4. kroatischen Heimwehr-Brigade ein. Sie besetzten und durchsuchten das örtliche Postamt, umzingelten die lokale Bankfiliale und verhafteten einen kroatisch-bosnischen Offizier sowie einen Soldaten. Auf die Frage, was das alles zu bedeuten habe, antwortete der befehlshabende US-Offizier: Er sei Berufssoldat und das sei die Art, wie Berufssoldaten vorgingen.

Große Aufregung gab es zum anderen unter den zehn Prozent bosnischen Kroaten, als ein "Geheimpapier" aus dem Büro des "hohen Bevollmächtigten" bekannt wurde: Danach plane der Westen die in Bosnien zahlenstärkste kroatische Partei HDZ – sie erhielt 80 Prozent der kroatischen Stimmen – durch politischen Druck und Sperrung der Bankkonten sowie durch Verhängung von Verboten politischer Tätigkeit entweder gefügig zu machen oder zu zerschlagen. An die Stelle der vom Volk gewählten, aber störrischen kroatischen "Nationalisten" sollen in der bosnischen Regierung "multiethnische" Satelliten-Kroaten treten, die keine Schwierigkeiten machen.

Es gibt bereits einige Aktionen in dieser Richtung – so hat der "hohe Repräsentant" der EU, der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch (SPÖ), jüngst den Innenminister des Kroatischen Kantons Mostar, Branko Matic, wegen Kritik am Dayton-Vertrag sowie wegen des Führens unerwünschter kroatischer National-Embleme abgesetzt – und mit einem Verbot politischer Tätigkeit "bestraft". Bosnien ist heute eine Kolonie und ein okkupiertes Land, und zwar im Namen der "Demokratie". Die Folgen sind voraussehbar.


 
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