© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Offene Wunde
Zur Kontroverse um Norman Finkelsteins Buch "Die Holocaust-Industrie"
Hans-Jörg von Jena

Die steile Stirnfalte signalisiert den Grübler Norman G. Finkelstein. Der amerikanische Historiker ist kein geschmeidiger Mitspieler in der Spaßgesellschaft, kein Klettermaxe auf akademischen Karriereleitern. Statt ins Horn politisch korrekter Vorurteile zu stoßen und den oberflächlichen Mainstream zu verstärken, sucht er den Dingen auf den Grund zu gehen. Das ist unbequem. Sein Buch mit dem provokanten Titel "Die Holocaust-Industrie" hat ihm viel Ablehnung und Ärger eingebracht.

In Deutschland stößt es auf ungewöhnliches Interesse. Schon für den Erstverkaufstag der Übersetzung – der Piper Verlag hatte einigem Druck, auf sie zu verzichten, nicht nachgegeben – war in der Berliner Urania eine Podiumsdiskussion mit dem Autor angesetzt, die mit tausend Zuhörern und großem Medienaufwand zum Spektakel geriet.

Die Neugier ist mehr als begreiflich. Schließlich legt der Amerikaner den Finger in eine offene Wunde, die als solche weithin geleugnet wird. Der publizistische und juristische Rummel um Entschädigungszahlungen für die jüdischen Opfer des nationalsozialistischen Völkermords hat sich, so sagt Finkelstein unverblümt, zu einer Abfolge von Erpressungsmanövern entwickelt. Solches hört und liest nicht gern, wer davon profitiert. Das aber sind, sofern sie noch leben, traurigerweise die Opfer erst in zweiter Linie und oft nur am Rande. Hauptnutznießer, weist Finkelstein minutiös nach, sind im Gegenteil jüdische Organisationen, die mächtig genug sind, öffentliche Kampagnen zu betreiben.

Niemand kann Finkelstein antisemitische Vorurteile unterstellen, er ist selber Jude. Seine Eltern haben beide das Warschauer Ghetto und das KZ überlebt, alle anderen Familienangehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Finkelstein hat, das ist nicht zu verkennen, ein Buch zunächst für Amerikaner geschrieben. Seine Hauptthese ist jedoch weit über die Grenzen der USA hinaus von Bedeutung. Sie lautet: Das unvorstellbare Leiden der europäischen Juden wird schamlos instrumentalisiert und benutzt, und das bereits seit mehr als dreißig Jahren. Seit Ende der sechziger Jahre dient der "Holocaust" – die wenig zutreffende Vokabel für den Genozid ist ein amerikanisches Erzeugnis – dazu, den Staat Israel zu fördern und zu diesem Zweck andere Staaten zu schröpfen, die Opfer zu prellen. Das, so Finkelstein, entwürdige die Opfer. Sein Ziel sei es, deren Würde wiederhergestellt zu sehen.

Mit "Schlußstrich-Mentalität" hat das offenkundig nichts zu tun hat. Im Gegenteil, Finkelstein, will gerade, indem er sie von materiellem Interessenschmutz reinigt, die Erinnerung in gebührender Weise wachhalten. Er ist nicht der erste. Hat man vergessen, daß es in Israel einen ehrenwert-unpraktischen Aufruhr gegen deutsches "Blutgeld" gab zu einem Zeitpunkt, da Zahlungen an den Überlebenden-Staat weit berechtigter waren, als sie es heute an gut organisierte jüdische Lobbys in den USA sein können? Damals siegte die praktische Vernunft. Viele Milliarden wurden gezahlt. Und wenn auch Adenauer kaum aus Schuldbewußtsein, sondern eher wegen des bestimmenden jüdischen Einflusses in den USA sich zu "Wiedergutmachung" (ein Spottwort!) verpflichtete, für viele andere war sie einfach eine Ehrenpflicht. Mußte sie nicht gerade darum allmählich zu Ende sein?

Dagegen gab es in der Diskussion auch nur schwache Einwände. Seligmann setzt sich nachdrücklich für die Erörterung des Buches ein, auch wenn er nicht mit allem übereinstimme; jeder Versuch der Zensur sei eine Dummheit. Der Schriftsteller Sten Nadolny hob hervor, wie unablässig ihn jüdische Schicksale beschäftigten: Von jener aufgeregten Pseudo-Erinnerung, die Schuldgefühle zu verewigen trachtet, hat er sich nicht überschwemmen lassen. Nur Peter Steinbach, der Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, hielt hartnäckig an der "Volkserziehung" fest.

Finkelstein hingegen, erfrischend und mit Kant: die Leute müssen selber denken dürfen. In der Kontenaffäre sei die Schweiz mit wirtschaftlichen Drohungen über den Tisch gezogen worden, der Jüdische Weltkongreß und die Jewisch Claims Conference seien die unredlichen Gewinner. Roul Hilsberg, die anerkannte Autorität der Holocaust-Forschung, habe ebenso über die Erpressung geklagt, wie, erst kürzlich, ein Mitglied der Lambsdorff-Delegation im Gespräch. Und: Völkermord habe es leider seit eh und je gegeben, man könne ihn bereits in der Bibel finden. Außer den Armeniern oder den Khmer seien, besonders für amerikanische Moralisten, die Indianer und schwarze Sklaven im eigenen Land, auch Hiroshima und Vietnam zu nennen. Hier sei an eine Wiedergutmachung nie auch nur gedacht worden. Hingegen lüge sich dank ihrer mächtigen Organisationen die erfolgreichste Minderheit der USA in eine einträgliche Opferrolle hinein.

Verkleinern solche Vergleiche die Naziverbrechen? Davon kann keine Rede sein. Der Versucht allerdings, zu durchsichtigem Zweck ihre Historisierung zu verhindern, ist nicht bloß zum Scheitern verurteilt, er kann auch noch immer zu unguter Verdrängung beitragen. Finkelsteins Aufrichtigkeit, die im übrigen mit Namen und Zahlen nicht geizt, wirkt da befreiend. Heuchelei, Egoismus und triviale Geschäftstüchtigkeit sind jedenfalls das allerletzte, was der Erinnerung an eine Katastrophe, die sich nicht wiederholen darf, sinnvoll dient.


 
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