© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
"Helmut Kohl hat nicht mit Steinen geworfen"
Niedersachsen: Der frühere Innenminister und Ehrenvorsitzende der CDU, Wilfried Hasselmann, über Jürgen Trittin und die siebziger Jahre
Moritz Schwarz

Herr Hasselmann, Sie waren in den siebziger Jahren CDU-Oppositionsführer, dann Minister in Niedersachsen. In diesen Zeitraum fällt der "Mescalero"-Brief eines Studenten der Universität Göttingen in Zusammenhang mit dem Buback-Mord. Ist die Affäre damals bis zu Ihnen in die Regierung gedrungen?

Hasselmann: Doch, wir haben das durchaus zur Kenntnis genommen. Wir kannten damals aber nicht die Hintergründe und warteten zunächst auf eine Reaktion des Sohnes Bubacks, die aber nicht kam – so sind wir damals nicht aktiv geworden.

Wie schätze man in der Landesregierung die Situation an der Universität ein, die ja ein Tummelplatz der verschiedenen K-Gruppen war?

Hasselmann: Wir wußten darum. Deshalb hatte die Polizei die Beobachtung der Situation dort übernommen – ihr galt unser Vertrauen.

Wie war die Stimmung an der Uni?

Hasselmann: Als besonders schlimm empfand ich, daß die aktive Meinungsfreiheit durch die linken Gruppen quasi außer Kraft gesetzt war: Heute wird immer von "den rebellierenden Studenten" gesprochen. Ich möchte mal daran erinnern, daß es damals viele Studenten gab, die eine andere Meinung, aber offenbar – in den Augen der Proteststudenten – kein Recht auf diese hatten. Veranstaltungen etwa des RCDS, bei denen Politiker sprechen sollten – sogar Politiker wie Bernhard Vogel – wurden ausgepfiffen und niedergeschrien. Auch etwa der ehemalige Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) erlebte im Audimax der Uni Münster Randalierer aus dem Linksbündnis "Liste Gewerkschaftliche Orientierung". Nach einigen Minuten des Gegenschreiens mußte der tapfere Minister aufgeben. Diese "Liste" war eine Sammlung aller linken Gruppen: von der Juso-Hochschulgruppe, über den MSB Spartakus bis hin zu diversen maoistischen und Sponti-Gruppen. Diese gab es damals auch in Göttingen.

Wie reagierten die demokratischen Studenten darauf?

Hasselmann: Natürlich mit Wut über die Doppelmoral ihrer linken Kommilitonen.

Ergab sich daraus ein Sicherheitsproblem? Drohte etwa eine Auseinandersetzung der Studenten untereinander?

Hasselmann: Nein, denn die Mehrheit der Studenten – und auch der RCDS – haben an Gewalt nie gedacht.

Jürgen Trittin war einer der Studentenführer in Göttingen, allerdings dürfte er der Landesregierung damals noch nicht bekannt gewesen sein?

Hasselmann: Nein, Trittin spielte damals noch eine zu kleine Rolle.

Wann nahmen Sie Trittin zum erstenmal wahr?

Hasselmann: In der Zeit an der Uni war er ein linker Studentenführer unter anderen. Ich habe ihn kennengelernt, als er über die Grünen in die Landespolitik kam. Er war so, wie er uns zuvor aus Göttingen geschildert worden war: frech und dreist, aber nicht unintelligent.

Wie erleben Sie Trittin heute?

Hasselmann: Das ist nicht so einfach zu sagen – wenn es stimmt, gibt es eine Mehrheit in Deutschland, die meint, die Gesinnungsänderung von Fischer und Trittin sei nun zu akzeptieren. Dann muß allerdings Gerechtigkeit herrschen: Wem müssen wir denn dann noch verzeihen? Ich erinnere nur an den Protest der Grünen, als jüngst Ministerpräsident Gabriel einem CDU-Mann, der früher einmal in der NPD war, einen Orden verliehen hat. Oder: Müssen wir auch Hans Filbinger verzeihen? Ich meine: Ja! Und auch Helmut Kohl hat Fehler gemacht und diese nicht geleugnet, aber er hat nicht mit Steinen auf Polizisten geworfen!

 

Wilfried Hasselmann, Jahrgang 1924, war von 1965 von 1970 Landwirtschaftsminister, 1970 bis 1975 CDU-Oppositionsführer, 1976 bis 1986 Minister für Bundesangelegenheiten und 1986 bis 1988 Innenminister in Niedersachsen. Von 1963 bis 1990 gehörte er dem Landtag an. Heute ist er Ehrenvorsitzender der CDU-Niedersachsen.

 

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