© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Geschlechterkampf
Kino: "Girlfight – Auf eigene Faust" von Karyn Kusama
Silke Lührmann

Für Diana Guzman (Michelle Rodriguez) ist die Lebenswelt der New Yorker projects – der hauptsächlich von Afro-Amerikanern und Puertoricanern bewohnten Armutsviertel – reich an Frauen- und arm an Vorbildern. Ihre Mitschülerinnen sind so zickig wie verletzlich. Weiches Fleisch hüpft auf und ab, wenn sie sich bewegen: Mit 18 sieht man ihnen schon an, wie leicht sie sich schwängern, prügeln, betrügen und verlassen lassen. Dianas Mutter hat diese Ausweglosigkeit in den Tod getrieben. Schulbildung, die in anderen Filmen dieses Genres Hoffnung verheißt, verfehlt Dianas Bedürfnisse so sehr, daß die enthusiastischen Ausführungen ihres (weißen) Lehrers zu den Gesetzen der Thermodynamik an ihren Ohren vorbeirauschen wie das Geplapper der verschiedenen, immergleichen Fernsehsender. Ihr Bruder Tiny dagegen hat ein Ziel vor Augen. Er möchte Künstler werden, wird aber vom Vater zum Boxen geschickt, damit er das Überleben lernt.

Während Regisseurin Karyn Kusama zu boxen begann, um mit dem Rauchen aufzuhören, findet Diana, als sie ihren Bruder vom Training abholt, eine Möglichkeit, Frustrationen abzulassen und Anerkennung zu ernten. In Optik und Thematik mischen sich in "Girlfight" Elemente aus "Billy Elliot" wie aus dem ersten der "Rocky"-Filme; dabei gelingt es Kusama, weit weniger kitschig zu erzählen. Ihr Film verschweigt weder die Angst vor dem Schmerz noch die Enttäuschung, die den meisten hoffnungsvollen Jugendlichen statt des großen Erfolges bevorsteht. Seine didaktische Botschaft beschränkt sich auf die handgeschriebenen Zettel, die überall in der Boxhalle gemahnen, daß Boxen neben körperlicher Stärke auch Grips und Fleiß erfordert.

Herausgekommen sind ungemein kraftvolle, dabei seltsam emotionale Bilder, die offensichtlich auch die Juroren in Cannes, wo "Girlfight" den Prix de la Jeunesse gewann, und beim Sundance-Festival beeindruckten – dort sahnte er gleich zwei Preise für den besten Film und die beste Regie ab. Die nächtlichen Geisterstraßen kennt man aus Filmen von Spike Lee oder John Singleton und glaubt an ihre Gefahren, auch wenn "Girlfight" nur die andere Seite zeigt: die Pflänzchen menschlicher Zuneigung und Anständigkeit, die in der Betonwüste sprießen. Selbst Dianas Vater versorgt seine beiden Kinder, so gut er kann – mit Takeout-Essen und grellbunter Brause –, anstatt sie körperlich zu mißbrauchen oder als Drogenkuriere auf die Straße zu schicken.

In den USA hat sich an diesem und anderen Filmen – wie etwa der Kinoversion von "Drei Engel für Charlie" – eine Kontroverse entzündet: Ermächtigen solche Darstellungen Frauen, ihr eigenes Leben in die geballte Faust zu nehmen, oder bemächtigen sie sich doch nur ihrer muskulösen Körper, um postfeministische Männerphantasien zu füttern? Solche Debatten kennen nur Verlierer, und auch "Girlfight" mag sich dieser Frage nicht allzusehr nähern; deshalb kann das Stadtmeisterschaftsfinale zwischen Diana und ihrem Freund Adrian nicht zum dramatischen Höhepunkt geraten. Der Film endet mit einer versöhnlichen Umarmung: Waffenruhe im Geschlechterkampf, in der sich ein Triumph des Persönlichen über das Politische andeutet.


 
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