© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001


Fehlbesetzung
von Ivan Denes

Die Verurteilung iranischer Dissidenten, die in Berlin an einer Tagung der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung teilgenommen hatten, veranlaßte den Bundeskanzler, seine bevorstehende Teheran-Reise zu verschieben. Prompt verkündete sein Parteifreund, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, in seiner unnachahmlich-bärtigen Selbstherrlichkeit, er werde trotzdem ins Land der Mullah-Schreckensherrschaft reisen. Als er versuchte, Präsident Mohammed Chatami auf das Schicksal der verurteilten Dissidenten anzusprechen, verwahrte sich dieser des "Mißbrauchs der Menschenrechte zu politischen Zwecken." Außenminister Kamal Charasi war noch kategorischer: der Iran verbitte sich jede Einmischung in die Arbeit der Justiz. Einer unbarmherzigen Justiz, brutaler als die des Schahs – die Kritiker wegen "unislamischem Verhalten" hinter Gitter oder an den Galgen bringt.

Der Sozialdemokrat Thierse scheint mit einer besonderen Gabe ausgestattet zu sein: er findet jedes nur mögliche Fettnäpfchen. Erst vor wenigen Wochen erklärte der Katholik, die Kandidatur von Ariel Sharon bei den israelischen Ministerpräsidentenwahlen sei eine Gefahr für den Frieden. Sharon siegte und Thierses unqualifiziertes Auftreten belastet nun die zukünftigen Beziehungen zu Jerusalem. Vor wenigen Tagen hob die Justiz die Geldbuße auf, die Thierse, aufgrund seiner schlagseitigen Gesetzesinterpretation, der Union in der Spendenaffäre auferlegt hatte. Die linkslastige Politik von Thierses Vorgängerin, Rita Süßmuth (CDU), war auch nicht leicht zu ertragen. Aber die reisefreudige Frau erschien wenigstens intelligenter.


 
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