© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Über den Tellerrand
Ausstellung: "Sonne, Mond und Sterne " in Stuttgart
Ingrid Mousek

Von den alten Chinesen über die Inkas und Stonehenge bis zu den Externsteinen in heimischen Gefilden beobachteten die Menschen in vielen Kulturen sehr genau den Lauf der Gestirne. Sie erkannten Zusammenhänge mit irdischem Geschehen und mit dem eigenen Schicksal, und sie schufen Mythen, die das Rätsel der eigenen Existenz deuteten. Selbst einen rationalistischen Aufklärer wie Immanuel Kant erfüllte der bestirnte Himmel "mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt".

Doch im Gefolge von Fortschrittsglauben und Machbarkeitsdenken begann der westliche Mensch seinerseits nach den Sternen zu greifen. Zu einem besonderen Instrument der wissenschaftlichen Entdeckung über die sichtbaren Grenzen des Universums hinaus wurde dabei die Fotografie. Auf diese Weise wurden neue Sterne entdeckt, Sternennebel und Planeten erhielten ein neues Gesicht. Die im 19. Jahrhundert bereits einsetzende Popularisierung und Kommerzialisierung der Erforschung des Alls erhielt im 20. Jahrhundert weitere Dimensionen durch die strategischen Pläne der Großmächte, die auf die Inbesitznahme von Himmelskörpern abzielen.

Beinahe poetisch muten vor diesem Hintergrund die ersten Mondfotografien an, wie sie in der Ausstellung "Sonne, Mond und Sterne" gezeigt werden. Nach ihrer Premiere im Pariser Musée d'Orsay ist sie jetzt in erweiterter Form in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen. Schmuckstück der Ausstellung ist ein kleines Silberbild aus dem Jahr 1852: eine 12 mal 10 Zentimeter große, in ziseliertes Gold gerahmte Daguerreotypie eines zart schillernden Halbmondes, auf dessen Oberfläche andeutungsweise Krater und Erhebungen zu erahnen sind. Aber auch Kometen, diese "bizarren Sternbilder, die Fragezeichen des Himmels", die nach Claude Flammarion "bei den einen die Neugier wecken und bei den anderen alten Aberglauben", zogen zahlreiche Fotografen magisch an. Einen Höhepunkt erlebte dieses Interesse anläßlich der Durchgänge der Kometen Brooks (1907), Morehouse (1908) und Halley (1910), die ausführlich dokumentiert werden.

Der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, die ästhetisierende Rezeption im 20. Jahrhundert bildet einen weiteren Ausstellungsschwerpunkt. Einen faszinierenden Riesen-Teppich an Glitzersternen zeigt Thomas Ruffs 2,60 mal 1,90 Meter großer Bromgelatine-Abzug "Sterne, 17h, 36 m, 36 Grad". Knallig-bunte Ringe läßt Alain Jacquet in Pop-Art vor einem galaktischen Hintergrund tanzen. Glorie Friedmann wiederum stellt in einem Diptychon einen spiralförmigen Sternennebel der Struktur sich verteilender Milch in einer Kaffeetasse gegenüber.

Den tiefsten Eindruck aber hinterläßt eine Farbfotografie, die jeder schon einmal gesehen hat, wenn auch nicht in solch großem Format und in so hervorragender fotografischer Qualität. Sie kehrt die gewohnte Blickrichtung um und zeigt, vom Weltraum aus gesehen, unseren blauen Planeten – unsere Erde, die zu gestalten uns anvertraut ist. Und im Glas des Bilderrahmens spiegelt sich die eigene Silhouette.

Die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Allee 30-32, ist noch bis zum 11. März zu sehen.


 
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