© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Der Washington-Konsens
Egon Matzner: Monopolare Weltordnung. Zur Sozioökonomie der US-Dominanz
Michael Wiesberg

Welche Konsequenzen hat der Zusammenbruch der Sowjetunion für die USA und den Westen? Der österreichische, in Wien und in Leipzig lehrende Wirtschaftswissenschaftler Egon Matzner, versucht in seinem Buch "Monopolare Weltordnung" zumindest auf einige der brisantesten Themen in diesem Zusammenhang einzugehen.

Matzner hebt zunächst auf die "Stachelfunktion" ab, die der "ehemalige Osten" für den "kapitalistischen Westen" gespielt habe. Durch die Existenz einer Alternative zum marktwirtschaftlichen System sei der kapitalistische Westen unter Druck gesetzt worden zu zeigen, daß auch der Kapitalismus für soziale Stabilität sorgen könne. Nach dem Untergang der UdSSR stünde die USA als eindeutiger Sieger im Systemwettbewerb da. Seitdem beherrsche der sogenannte "Washington-Konsens" die Welt. Keine andere Macht mit globaler Reichweite vermag diese herrschende marktradikale Wirtschaftsdoktrin einzuschränken.

Zur Erläuterung: Das Schlagwort "Washington-Konsens" stammt von dem Ökonomen John Williamson, der seine zehn Empfehlungen an die reformwilligen Staaten 1989 mit eben diesem Begriff umschrieb. Was sind die wesentlichen Inhalte? Matzner nennt drei Kriterien, die bei der Kreditvergabe an Schuldnerländer zum Tragen kommen. Die Konditionen lauten im einzelnen: 1. die strikte Verknappung des Geldangebotes und der Abbau der Defizite von Staatshaushalt und Leistungsbilanz; 2. Deregulierung der Marktbeschränkungen und 3. rasche Privatisierung der Unternehmungen sowie Güter und Leistungen produzierender Einrichtungen und Behörden.

Diesen Maximen wurden zunächst in den USA und England entsprochen. Es folgten mutatis mutandis die EU und die OECD. Heute hat sich der "Washington-Konsens" weltweit durchgesetzt. Matzner schreibt diese Durchsetzung nicht abstrakt dem Prozeß der Globalisierung zu, sondern menschlichem Wirken. Am Anfang soll ein "Deal" zwischen Ex-US-Präsident Clinton und "Wallstreet-Bankern" gestanden haben. Clinton soll sich verpflichtet haben, nach einer siegreichen Wahl für eine weltweite Liberalisierung des Kapitalverkehrs einzutreten. Im Gegenzug sollen die Banker Clintons Wahlkampf finanziell unterstützt haben.

Die Durchsetzung des "Konsens" wirkte sich primär in postkommunistischen Staaten (Stichwort: "Schock-Therapie") verheerend aus. So sei das Realeinkommen infolge verfehlter Transformationsstrategien im einstigen Ostblock für die Mehrheit der Bevölkerung niedriger als vor der Wende. Auch für Südostasien hatte die Durchsetzung neoliberaler Prinzipien im Kapitalverkehr hochproblematische Konsequenzen. Die Verfechter des "Washington-Konsens" rieben sich dort an mangelnder Transparenz und Kontrolle des Geld- und Bankensektors. Zusätzlich zu den IWF-Konditionen forderten sie die Einführung von Banken- und Kapitalmarktstandards. Demgegenüber heben ihre Kritiker hervor, daß die rasche Liberalisierung des Kapitalverkehrs das Bankensystem in Japan und Südostasien schwer geschädigt habe. Die Öffnung des Kapitalmarktes habe "kurzfristiges Kapital aus den USA und Europa in hohen Summen angezogen und in kurzer Zeit die inländischen Banken in Bedrängnis gebracht". Deren Liquiditätsschwierigkeiten infolge der einsetzenden Finanzkrise habe zu einer gravierenden Wende geführt. Auf die gewaltige Kapital-Infusion folgte ein ebensolcher Aderlaß. Mit brutalen Konsequenzen: Konkurse, Entlassungen, Produktionsrückgänge.

Für die monopolare Machtentfaltung der USA sind nach Matzner folgende Kriterien entscheidend: 1. (kriegs-) technologische Überlegenheit; 2. Vorreiterrolle im Telekommunikations- und Satellitensektor; 3. monetär-industrielle und 4. ideologisch-mediale Dominanz, die sich aufgrund ihres Zuganges zu den globalen Medien ergibt. Dafür stehen Namen wie UPI, CNN, MTV, Syndicat Press u.a.m. Die ideologische Hegemonie resultiert also aus der "Kontrolle über Promotionen, Dotationen, Belohnungen und Publikationswege". Diese gehen Hand in Hand mit der (immer weitergehenden) Kontrolle des "medialen Großraums des Internet" (Niels Werber in Merkur, Heft 617/18). Und deren monetär-industrieller Kern ist in den Finanzzentren der Welt zu finden und wird politisch abgesichert durch das privilegierte Verhältnis zu Großbritannien. Dazu kommen anlaßbezogen die transnationalen Unternehmungen. Schließlich dürfen auch die sogenannten Rating Agencies , die die Kreditwürdigkeit einzelner Volkswirtschaften taxieren, nicht vergessen werden, von denen die sechs größten global agieren. Diese sind exklusiv angelsächsischer Provenienz. Von ihren Klassifikationen macht der Kapitalmarkt abhängig, ob Staaten größere Darlehen zufließen. Als Foren der Regelfestlegung dienen internationale Organisationen wie der IWF, die Weltbank, die WTO oder regionale Zusammenschlüsse wie EU, NAFTA oder EASAN. Alle diese Institutionen sind amerikanisch beeinflußt oder – wie IWF oder Weltbank – beherrscht.

Ein Wort noch zu Großbritannien. Clinton hat Premierminister Tony Blair vor kurzem noch als einen seiner "besten Freunde" bezeichnet. Dies verwundert nicht: keiner hat die Ambitionen Washingtons mehr unterstützt als Blair. Nach Matzner geht Blairs Unterstützung weit über das traditionelle Maß hinaus. Über die Motive des britischen Premier Blair vermag Matzner allerdings nur zu spekulieren.

Dieses kohärente System globaler US-Dominanz scheint derzeit ohne Alternative. Entsprechend gering sind die Erfolgsaussichten für Matzners Forderungen an eine zukunftsfähige Sozialdemokratie: Das Diktat der Stabilitätskriterien müsse überwunden werden und das Thema der Verteilungsgerechtigkeit gehöre wieder auf die politische Agenda. Ferner plädiert Matzner für die Stärkung effektiver Nachfrage und für eine Verbesserung der Beschäftigungssituation. Die aktuelle Verfassung der europäischen Sozialdemokratie ist für den Autor jedoch mehr als unbefriedigend. Ihr "dritter Weg" könne dem "Washington-Konsens" nicht Paroli bieten.

Matzner hat mit seinem Buch eine Art Einführung in die Spielregeln der Globalisierung der Märkte unter US- Vorzeichen vorgelegt. In der Natur einer Einführung liegt es, daß viele Aspekte nur angerissen werden können. Der Autor behandelt aber eine Vielzahl hochinteressanter und wichtiger Bereiche des Themas, so daß er damit erstmals einen klaren Überblick über das feingeflochtene Netzwerk globaler Dominanz der USA erlaubt. Hieran sollte bei künftigen Arbeiten zum Thema unbedingt angeknüpft werden.

 

Egon Matzner: Monopolare Weltordnung. Zur Sozioökonomie der US-Dominanz. Metropolis Verlag, Marburg 2000, 218 Seiten, 38 Mark


 
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