© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001


Ein Blatt im Wind
von Richard Stoltz

Der Ton macht die Musik, das gilt nach wie vor. Fast mehr noch als der Hinausschmiß des Mitherausgebers Hugo Müller-Vogg aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (siehe Seite 8) beunruhigen selbst den Stammleser des großen Frankfurter Bürgerblattes die Begleitumstände: die Hemdsärmeligkeit, mit der diese Aktion in Szene gesetzt wurde, der gleichzeitige Massenabgang von qualifizierten Redakteuren, der Kampf der Richtungen, der offenbar in ein und derselben Zeitung zwischen den verschiedenen Ressorts in voller Schärfe entbrannt ist.

Wenn es stimmt, was viele Auguren vermelden: daß der geschaßte Müller-Vogg demnächst Herausgeber von Springers Berliner Welt werden wird, wäre das ein Signal. Die Meinungsführerschaft in der bürgerlichen Presse würde sich sichtbar von Frankfurt nach Berlin verlagern, die FAZ würde in die zweite Reihe rücken, und das zu einem Zeitpunkt, da die Welt (noch?) keineswegs in der Lage ist, diese Meinungsführerschaft wirklich zu übernehmen.

Der Vorgang scheint symptomatisch zu sein für die politische und geistige Verwirrung im "bürgerlichen Lager" insgesamt. Es gibt dort keine Führung mehr. Die ausschlaggebenden Kräfte haben sich selbst geschwächt, sind orientierungslos geworden, sind zu feige zu entschlossener Neuorientierung, mit der sie sich vom regierenden linken Lager abheben müßten. Den Schaden haben die Leser und die Wähler. Und das Niveau der Berliner Politik, inklusive ihrer parlamentarischen Opposition, sinkt immer weiter ab.


 
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