© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
PRO&CONTRA
Gentechnik auf den Menschen anwenden?
Wolfgang Engel / Sabine Riewenherm

Wenn behauptet wird, man habe das menschliche Genom sequenziert, dann trifft das nicht zu. Einerseits suchen wir für viele bereits bekannte Gene und auch für bislang unbekannte Gene, über die wir im Labor arbeiten, vergeblich nach Sequenzen. Die Genomforschung wird für viele Bereiche der Medizin (z.B. individuelle medikamentöse Therapie, genetische Dispositionen, multifaktorielle Erkrankungen) dann von großer Bedeutung, wenn die Genome der einzelnen Menschen analysiert sind.

Hier wird nun sofort die Angst vor dem gläsernen Menschen mit der möglichen Benachteiligung einzelner Menschen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, beim Abschluß von Versicherungen oder gar bei der Familienplanung aktuell. Auch eine zunehmende Diskriminierung von Gruppen und Minderheiten wird befürchtet. Wir gehen seit langem davon aus, daß jeder Mensch in seinem Genom fünf bis sieben defekte Gene trägt. Wenn die individuellen Gene sequenziert sind, dann werden sie für jeden Menschen genetisch bedingte Dispositionen für eine Reihe oder gar viele Erkrankungen aufdecken lassen. Wenn diese Informationen im Arzt-Patient-Verhältnis verbleiben, dann wird es dem Einzelnen möglich, nicht nur gezielte Prävention zu betreiben, sondern auch seine Entscheidungen im Hinblick auf z.B. Berufswahl, Arbeitsplatz eigenverantwortlich zu gestalten.Der Humangenetiker beschäftigt sich mit der genetischen Analyse von erblich bedingten Erkrankungen. Bislang war es ein schwieriger und zeitaufwendiger Weg, bei einer erblich bedingten Erkrankung das betroffene Gen zu finden. Wenn die Sequenzierung des menschlichen Genoms abgeschlossen ist, wird diese Arbeit erheblich einfacher. Die Möglichkeiten für die Diagnostik (auch vorgeburtliche) für genetisch bedingte Erkrankungen, für die Prognose und Therapie bei Kreberkrankungen werden verbessert und langfristig auch Verfahren der Gentherapie entwickelt werden können. Manipulationen am genetischen Material an menschlichen Keimzellen und frühen Embryonen müssen verboten bleiben.

 

Prof. Dr. med. Wolfgang Engel ist Direktor des Institutes für Humangenetik der Universität in Göttingen.

 

 

Viele Menschen setzen große Hoffnungen in die Anwendung der Gentechnik am Menschen, die fast täglich mit werbewirksamen Meldungen von Wissenschaftlern in den Medien geschürt werden. Doch die ethischen Folgen gentechnischer Diagnosemethoden in der Medizin werden nach über zehn Jahren Forschung immer unübersichtlicher, Erfolge bei einer Gentherapie (der Behandlung von Krankheiten mit Genen) sind nicht in Sicht. Gleichzeitig treibt die Gentechnik die Zahl von Tierversuchen in Deutschland in die Höhe. Dazu tragen vor allem gentechnisch veränderte Mäuse und Kaninchen bei, die zunehmend in der Grundlagenforschung eingesetzt werden. Im Jahr 1998 war erstmals nach jahrelangem Rückgang die Zahl der Versuchstiere wieder leicht gestiegen und erreichte einen Stand von fast 1,6 Millionen (1988: 2,5 Millionen). Nicht an Tieren, sondern an menschlichen Embryonen und Eizellen von Frauen wollen Wissenschaftler nun forschen. Die ethischen Grenzen müßten um des medizinischen Fortschritts willen verschoben werden. Und während über eine Ausweitung der gentechnologischer Möglichkeiten, über das "therapeutische" Klonen von Embryonen und die Nutzung von Eizellen von Frauen für die Forschung debattiert wird, bleiben viele ethische Probleme ungelöst, die wir schon heute durch die Gentechnik am Menschen haben: Wer verhindert, daß mit einer Patentierung von Gensequenzen, von Tieren, Pflanzen und Teilen des Menschen durch einzelne Konzerne "Leben" ökonomisch verwertbar wird? Wer wird den selektiven und diskriminierenden Einsatz von Gen-Test im Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik stoppen? Wird in Zukunft der genetische Check bei erwachsenen Menschen über die Höhe der Lebensversicherungssumme oder über den Arbeitsplatz entscheiden? Was ist ein gesunder, was ein glücklicher Mensch? Gegen die Angst, in einer profitorientierten Gesellschaft nicht schön, gesund und leistungsfähig zu sein, ist die Gentechnologie am Menschen nicht die Antwort.

 

Sabine Riewenherm ist Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Gen-ethischen Netzwerk e.V. in Berlin.


 
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