© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Alles für den Papierkorb
Bürgerrechte: Parteien wollen Gesetzesinitiativen aus dem Volk ermöglichen / Widerstand gegen Volksabstimmungen und Direktwahlen
Paul Rosen

Das Bonner Grundgesetz kennt nur einen Fall des Volksentscheides: Wollen sich zwei Bundesländer zusammenschließen, sind die betroffenen Bewohner zu fragen. Lehnen sie ab, so wie die Brandenburger Bevölkerung 1996 das Vorhaben der Fusion mit Berlin, unterbleibt die Änderung. Sehr kryptisch formulierten die Väter des Grundgesetzes auch noch, die Verfassung gelte so lange fort, bis sich das Volk eine neue gebe. Rechtswissenschaftler spotten seit Gründung der Bonner Republik, sie sei die einzige Staatsform der Welt, die die Möglichkeit ihrer Abschaffung zum Beispiel durch eine Revolution mit einer eigenen Verfassung radikel bedacht habe. Doch jetzt sind die Parteien des Bundestages entschlossen, den Bürgern mehr Rechte zu geben. "Direkte Demokratie" heißt das Schlagwort. Das repräsentative parlamentarische System soll mit plebiszitären Elementen ergänzt werden.

"Wir setzen uns dafür ein, durch eine Verfassungsänderung die Beteiligungsrechte der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland an wichtigen politischen Sachentscheidungen auch auf Bundesebene zu verstärken", schreibt Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) in einer Vorlage für den SPD-Vorstand, der darüber im März befinden will. Auf Länder- und auf der kommunalen Ebene gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Formen von Bürgerbegehren und Volksabstimmungen. Der spektakulärste Fall, in dem das Volk seinen Willen durchsetzte, war die 1998 gelungene Abschaffung des Bayerischen Senats, einer Art zweiten Kammer neben dem Landtag, vollbesetzt mit Honoratioren, die allerdings keine wichtigen Mitentscheidungs-, sondern nur Befassungsrechte in der Gesetzgebung hatten.

Die SPD-Justizministerin denkt im wesentlichen an drei Bereiche, in dem das Volk mehr Rechte erhalten soll: So sollen Massenpetitionen, die heute schon verfaßt werden, auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden. Damit könnten sich in Zukunft Bürger mit einem bestimmten Anliegen direkt an den Petitionsausschuß des Bundestages wenden und hätten, wenn mindestens 50.000 Unterschriften zusammenkommen, mehr Rechte als heute. So könnten Antragsteller einer Massenpetition direkt im Ausschuß auftreten. Der Ausschuß wiederum hätte mehr Rechte als heute, indem er zum Beispiel Verwaltungsentscheidungen bis zum Abschluß eines Petitionsverfahrens aussetzen könnte.

Weiter gehen jedoch die anderen Vorschläge von Daubler-Gmelin. So will sie Volksinitiativen ermöglichen. Das würde bedeuten, daß die Bürger einen Gesetzentwurf direkt einbringen könnten. 500.000 Unterschriften sollen dafür notig sein. Die Abwahl von Staatsrepräsentanten sowie die Änderung von Steuergesetzen soll aber nicht zulässig sein. Die Idee der Volksinitiative wird von einer Mehrheit in den übrigen Fraktionen mitgetragen. Selbst CDU und CSU, ansonsten dem Volk gegenüber besonders mißtrauisch, können sich mit dem Initiativrecht anfreunden: Man riskiert nichts dabei, wenn ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Volkes im Reichstag ankommt. Schließlich kann man das Projekt über den Bundestag oder den Bundesrat immer noch stoppen.

Weiter geht die Justizministerin mit den anderen Elementen ihres Vorschlages. So sollen die Bürger über ein Volksbegehren die Möglichkeit haben, einen Gesetzentwurf aufzustellen. Fünf Prozent der Wahlberechtigten sollen unterschreiben müssen. Über den Gesetzentwurf würde dann das Volk auch abstimmen. Für die Annahme des Gesetzentwurfs durch einen Volksentscheid, der den Entwurf ohne die Befassung und Zustimmung der parlamentarischen Gremien ins Gesetzblatt bringen würde, hat die SPD-Politikerin unterschiedliche Quoten aufgestellt. So sollen bei einfachen Gesetzen mindestens 50 Prozent der Bürger zustimmen müssen, bei Grundgesetzänderungen mindestens 66 Prozent. Zwischen 20 und 40 Prozent (bei Verfassungsänderungen sogar bis zu 66 Prozent) der Wahlberechtigten müssen sich an dem Volksbegehren beteiligen, damit das Ergebnis gültig ist. Auch in diesen Fällen gilt wie schon bei der Volksinitiative, daß Vorstöße zur Änderung von Steuergesetzen oder zur Wahl oder Abwahl von Personen nicht erlaubt sein sollen.

Auch andere Möglichkeiten der direkten Demokratie stoßen bei der SPD auf Bedenken: "Wir lehnen die Einführung von bloßen Volksbefragungen ebenso ab wie die Volkswahl von Personen, etwa die des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers", heißt es in dem Papier der Justizministerin. Für die Direktwahl des Bundespräsidenten ist die FDP, deren Generalsekretär Guido Westerwelle es auch sonst nicht schlecht findet, wenn "Schlüsselentscheidungen für das deutsche Volk auf allen Ebenen von ihm selbst getroffen werden". Etwa auf der gleichen Linie wie die FDP liegen die Grünen. Deren rechtspolitischer Fraktionssprecher Volker Beck will neben der Volksinitiative auch die Möglichkeit des Referendums schaffen. Dann hätten, wenn ein Gesetz zwischen Bundestag und Bundesrat strittig ist und die Gremien sich gegenseitig blockieren, die Bürger das letzte Wort.

Gerade dieser letzte Vorschlag erscheint verfassungswidrig, weil er das föderative Staatsprinzip, das die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes vorsieht, aushebeln würde. Das föderative Staatsprinzip ist nicht abänderbar – eine dahingehende Änderung des Grundgesetzes ware unzulässig. Deshalb findet auch die direkte Demokratie ihre Grenzen stets dort, wo Interessen des Bundes und der Länder gemeinsam berührt werden.

Möglich wäre allerdings, auch wenn die SPD dies ausdrücklich nicht will, eine Abstimmung über Sachfragen, die Länderinteressen nicht berühren. So gibt es keinen plausiblen Grund, warum man die Bürger nicht über die Einführung der Euro-Währung hat abstimmen lassen. Die Parlamentarier, die wegen einer Diätenerhöhung schon die Verfassung ändern wollten, hätten dies auch für ein solches Referendum tun können. Auch über weitere schicksalsträchtige Fragen, etwa die Erweiterung der Europäischen Union, könnte das Volk befragt werden.

Doch da steht eine Große Koalition vor. Direkte Referenden lehnt auch die CDU strikt ab, die CSU sucht noch ihre Position, dürfte aber nicht weit von der CDU landen. Für eine Änderung des Grundgesetzes hin zu mehr direkter Demokratie wäre jedoch die Zustimmung der Union und der unionsregierten Länder erforderlich. Somit dürfte es auf ein Bürger-Einbringungsrecht von Gesetzestexten in den Bundestag hinauslaufen, wo die Texte entweder in den Ausschüssen versanden oder sofort in den Papierkörben landen dürften.


 
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