© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Parteibuchwirtschaft
Justiz: Die Berufung von zwei Richtern an den Bundesgerichtshof sorgt für Wirbel
Klaus Kunze

Bisher hatte der politische Anstand geboten, bei der Richterwahl wenigstens den Schein des Rechts zu wahren: Nach Artikel 33 Grundgesetz haben alle Deutschen nach Eignung gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern, auch dem des Richters am Bundesgerichtshof. Und alle Bürger haben das Recht auf einen fachlich kompetenten Richter ohne politische Vorurteile.

Doch schamlos drückt die rot-grüne Koalition ihre Kandidaten nach vorn und ignorieren immer unverschämter alle rechtsstaatlichen Vorgaben. Beim Bundesverfassungsgericht und seinen politischen Richtern ist der Zugriff der Parteien auf die Richtersessel schon immer eine Frage von Macht, Einfluß und Proporz gewesen – trotz aller Parteienstaatskritik. Gleichwohl gelangten oft hochkarätige Fachleute in die Senate.

Die Posse bei der jetzigen Besetzung von 14 Richterstellen am Bundesgerichtshof (BGH) eröffnet aber qualitativ neue Dimensionen: Da wird der Lübecker Richter am Landgericht Wolfgang Neskovic in den BGH berufen, obwohl der noch nie an einem OLG ein Urteil geschrieben hat. Revisionssachen, wie sie von den Oberlandesgerichten und dem BGH entschieden werden, unterscheiden sich methodisch von anderen Prozessen. Seine ideologische Qualifikation hatte der Lübecker mit einer rabiat vertretenen Außenseitermeinung erworben: Er trat in seiner Rechtssprechung für die Freigabe des Cannabiskonsums ein und geriet mit dem BGH in harten Konflikt. Schon dies läßt an der Fachkompetenz des Grünen-Richters zweifeln.

Wo im BGH bislang leise Töne vorherrschten, wird nun laut und offen von einem Skandal gesprochen. Der Präsidialrat, dem Präsident, Vizepräsident und fünf Bundesrichter angehören, hatte von 37 Bewerbern auf die Richterstellen fünf für "fachlich nicht geeignet" erklärt – unter ihnen den Lübecker Richter und die Mannheimer Richterin Birgit Vezina. Sie wurde von der SPD protegiert und war bisher so unauffällig, daß sie in Baden-Württemberg noch nicht einmal befördert worden war. Beide fachlich Inkompetenten wurden vom Richterwahlausschuß berufen.

Nun gehören diesem Ausschuß Bundestagsabgeordnete und Ländervertreter an, die formell nicht an das fachliche Votum des Präsidialrats gebunden sind. Sie haben aber gesetzlich "durch Handschlag gewissenhafte Pflichterfüllung" versprochen und müssen prüfen, ob der für ein Richteramt Vorgeschlagene "die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für dieses Amt besitzt". Damit verengt sich ihr rechtmäßiger Entscheidungsspielraum sachlich um eine Auswahl unter denjenigen Richtern, die durch den Präsidialrat des BGH als fachlich geeignet bezeichnet wurden. Unter 37 Bewerbern zwei fachlich Ungeeignete zu bevorzugen, ist nicht nur unanständig, es bricht auch Recht. Ein übergangener, fachlich geeigneter Bewerber hat bereits Klage angekündigt, mit der er freilich allenfalls seinen persönlichen Schaden einklagen, sich aber nicht in den BGH hineinklagen kann.

Wieder einmal suchen rot-grüne Abgeordnete das System mit der machtpolitischen Brechstange zu verändern. Dagegen protestierten der BGH-Richterrat, der Verein der Richter und Bundesanwälte am BGH, baden-württembergische OLG-Präsidenten und der Justizminister. Es wird nichts nützen.


 
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