© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Die Ohnmacht der Priester
Warum sich der Philosoph Peter Sloterdijk an dem Genforscher Craig Venter die Zähne ausgebissen hat
Klaus Kunze

Der deutsche Philosoph blieb chancenlos: Wie von einer Gummiwand prallten alle Angriffe Peter Sloterdijks auf Craig Venter ab, den amerikanischen Genetiker und Entzifferer unseres Genoms. Im geistigen Kampf der "zwei Kulturen" muß der Geisteswissenschafter immer ohnmächtig bleiben, solange der Naturwissenschaftler sich nicht auf metaphysische Prämissen einläßt. Den in der FAZ doppelseitig dokumentierten Kampf zweier Matadore ihrer jeweiligen Zunft anläßlich der Biotechnologiemesse in Lyon gewann Venter hoch und zu null.

Wieder und wieder suchte Modephilosoph Sloterdijk ("Darf ich Craig sagen?") seinen Kontrahenten in etwas einzuwickeln, was Nietzsche einmal "kalte, graue Begriffsnetze" genannt hatte. 95 Prozent der Amerikaner, so hob er an, würden an ein höheres Wesen glauben, "hatten Sie jemals bei ihrer Arbeit ein numinoses Gefühl? Würden Sie sagen, Sie haben eine persönliche Mission zu erfüllen?" – Venter entzog sich den Implikationen aller Fangfragen souverän: Es sei ein Unterschied, ob man eine persönliche Mission oder den Auftrag eines anderen erfülle. Die Ethik eines Naturwissenschaftlers sei eben viel weltlicher, als viele meinen. Er forsche aus Neugierde.

Venters Denken liegt das strikt naturwissenschaftliche Weltbild zugrunde, wie es schon Galilei 1613 vertrat: Die Natur ist ein vollkommen geordnetes Ganzes, das mit kausaler Notwendigkeit abläuft und nie seine eigenen Gesetze verletzt. Per definitionem kommt die Erklärung der physikalischen Natur ohne metaphysische Anleihen aus. Für den Naturwissenschaftler muß es keinen nichtkörperlichen "Geist" geben, sondern nur einen Menschen, zu dessen Tätigkeiten unter anderem das Denken gehört. " Als Molekularbiologe weiß" Venter, "das Leben ist absolut endlich. Wenn Sie tot sind, sind Sie tot. Das lehrt uns die Biologie." Als Sloterdijk "den Geist" für ebenso bedeutsam erklärte wie den Körper, hatte Venter nur ein spöttisches "Sie sind Philosoph, nicht wahr?" übrig.

Wäre Venter auch nur auf eine der metaphysischen Leimruten seines Widerparts gekrochen, wäre er in eine argumentative Rechtfertigungslage gekommen: Eine "Mission" etwa setzt gewöhnlich einen voraus, der ausschickt, und einen, der ausgeschickt wird und sich vor seinem Auftraggeber zu verantworten hat. Genau darum ging es Sloterdijk, um eine "Verantwortung" des Forschers gegenüber kategorial höheren Instanzen wie vielleicht einem Gott, dem man nicht "ins Handwerk pfuschen darf". Der Genetiker aber roch jeden religiösen Braten von weitem. – Wenn Venter "nach einem erfolgreichen Leben an die Himmelstür klopfe" und ihm ein Formular vorgelegt werde, womit er sein irdisches Geschäft betrieben habe? – "Man würde mich gar nicht einlassen. Aber das beweist nur, daß es keinen Gott gibt, der intelligente Fragen stellen kann."

Damit war die Gretchenfrage beantwortet, und Venter hatte den Spieß umgedreht. Hatten die Fragen Sloterdijks höhere metaphysische Instanzen impliziert und Venter unter Rechtfertigungsdruck setzen wollen, sah sich auf einmal der Philosoph selbst in Begründungsnot. Wer Geister beschwört und einem anderen "Verantwortung" vor ihnen aufnötigt, gerät in Verlegenheit, wenn der andere solche Gespenster nicht sieht und hart auf dem Boden nachprüfbarer Tatsachen bleibt. Wie die großen katholischen Theologen von Thomas von Aquin bis Donoso Cortés wußten, lassen sich ethische Imperative durch die Glaubensannahme eines lebendigen Schöpfergottes als seine Gebote begründen – oder sie lassen sich eben gar nicht begründen, vor allem nicht durch naturrechtliche Zirkelschlüsse. Sloterdijk hätte das als Fachmann wissen müssen. Seine Forderung nach einem "moralischen Emissionsschutzgesetz, um den Ausstoß von moralischen Unerträglichkeiten zu regulieren" (Meldung in JF 9/01 S.11), vermag er argumentativ nicht besser zu stützen als ein bockiges Kind, das etwas nicht will, einfach weil es es unerträglich dünkt. Wer seine emotionalen Aufwallungen wider die Gentechnik teilt, nickt Zustimmung, und der Rest gähnt gelangweilt.

Auf einer Podiumsdiskussion in Mannheim erläuterte Sloterdijk, man müsse in der Gentechnikdebatte provozieren. Schon nach der ersten Antwort des Venters hätte der gelernte Philosoph Sloterdijk aber erkennen müssen, daß er keinen heurigen Hasen vor sich hatte, den er auf Glatteis führen oder mit Schmeicheleien locken kann wie: In Amerika entwickle sich, Harald Bloom zufolge, eine neue Religion um die Symbole der Fahne und des Fötus, ob Venter zu den Pionieren dieser Religion gehöre? – Nein, Venter hatte nicht das Vergnügen, Blooms Buch zu lesen, da er "eine Weile recht intensiv mit der Entzifferung des menschlichen Genoms beschäftigt war". – So schlägt Süffisanz jede Provokation, wenn diese inhaltsleer ist.

Manche neigen dazu, unsere zeitgeistigen Philosophen maßlos zu überschätzen. Auf der anderen Seite bewiesen die Eleganz und Prägnanz, mit der Venter jedem Angelhaken auswich, daß er mit seinem naturwissenschaftlichen Weltbild implizit auch einen durchdachten philosophischen Standpunkt vertrat und diesen logisch fehlerfrei durchhielt. Beide Ideologien gründen auf letztlich nicht beweisbaren Annahmen: Allem liegt eine sinnvolle (metaphysische) Ordnung zugrunde, der wir Menschen unterworfen sind; oder dagegen: Im Kosmos walten bloß kausale, sinnlose Naturgesetzmäßigkeiten, so daß wir von Metaphysik frei sind und unserem Leben selbst einen Sinn geben können.

Sich für das eine oder andere Weltbild zu entscheiden, ist auch eine Frage des persönlichen Interesses: Der Genetiker ist einflußreich in einer Welt, in der Genetiker frei forschen dürfen und Gesetze die astronomisch teuren Produkte ihrer geistigen Leistung vor Nachahmern schützen. Der Philosoph wie der Priester hingegen ist nur mächtig als berufener Interpret höherer Instanzen. Beide möchten Naturwissenschaftlern und Technikern die Grenzen des Erlaubten setzen. Dazu verkünden sie im Namen höherer Mächte deren Gebote und Verbote. Pufendorf durchschaute schon 1667: "Die Zahl der Sakramente wurde mit Bedacht vermehrt, damit die Menschen häufiger der Priester bedürfen."

In einer rein profanen Welt riefe niemand nach ihnen, nach keinem Bischof und keinem Metaphysiker. Mit der Verkündung Gottes verteidigt jeder Priester seinen gesellschaftlichen Rang, und mit dem Anrufen höherer Mächte suchte Sloterdijk sich selbst aufzuwerten als deren berufener Kenner und Meister. Er mußte an Venter scheitern, weil dieser, hinter ruhiger Sachlichkeit verborgen, nur milden Spott für alles übrig hatte, was in sein Weltbild nicht paßt und zugleich seinen Einfluß als Forscher und Geschäftsmann mindern könnte.

Seine Zukunftschancen stehen gut. Jeder legt sich ein Weltbild so zurecht, daß er sich sozial erfolgreich bewegen kann. Das materielle Leben und das geistige Kontinuum haben sich im 2. Jahrtausend aber radikal gewandelt. Indem man mit dem Schalter das Licht anknipst, statt "Abrakadabra" zu sagen, oder sich den Blinddarm operieren und nicht gesundbeten läßt, bewegt man sich erfolgreich in einem durch physisch-technische und nicht durch metaphysische Gesetzlichkeiten determinierten Raum. Die Physik funktioniert offenbar besser als die Metaphysik. Solange nichts die Befürchtung bestätigt, auf gentechnisches Fehlverhalten würde ein Gott Blitze schleudern oder würde uns eine rächende Natur in kleine Meerschweinchen verwandeln, wird sich an der gesellschaftlichen Dominanz des naturwissenschaftlichen Weltbildes nichts ändern. Innerhalb seiner Grenzen müssen wir die Diskussion über Sinn und Zweck des Machbaren führen.


 
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