© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Musik: Die deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix d’Eurovision wird grauenvoll
Daisy, Mosi und die Belanglosigkeit
Frank Philip

Statt Schlagersahne der letzte Scheißdreck? Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man die Auseinandersetzung um den kommenden "Grand-Prix d’Eurovision de la Chanson" verfolgt. Das deutsche Aufgebot ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Jegliche Diskussion über eine deutsche "Leitkultur" führt sich so selbst ad absurdum. Auch die Boulevard-Presse steht Kopf: "Nackte sollen für Deutschland singen" verkündete letzte Woche sabbernd die Bild-Zeitung. Der Bild-Leser faßt sich ans Hirn(?). Eine Mädchenband namens Love-Rocket plante, sich in Hannover zum Gedudel einer 0190-Nummer von Beate Uhse auszuziehen. Dazu flöten sie: "Ich bin die kleine Geile gegen Langeweile." Ob sie nun singen oder nicht, auf den Seiten der Bild sind Nackte stets willkommen. Die verlogene Entrüstung könnte man sich also sparen. Der NDR besann sich aber gerade noch einmal seines öffentlich-rechtlichen Auftrages und disqualifizierte die drei Telefonluder, da sie "nicht in die Show paßten". Ihr Lied ist jedoch auf der CD "Countdown Grand Prix" zu hören.

Der Kauf besagter Platte ließ sich für den Verfasser dieser Zeilen leider nicht vermeiden. Eine gewisse Verblödung der deutschen Schuld- und Spaßgesellschaft ist nicht zu leugnen. Wurden die Teutschen jahrhundertelang als bierernst und grüblerisch verspottet, waren sie den ewigen Spott einmal satt und sind heute in puncto Blödelei führend. Ist vielleicht auch besser so, mögen die europäischen Nachbarn sich im Stillen denken. Voriges Jahr verblüfften wir die Welt mit Stefan Raab und "Wadde hadde dudde da", 1998 in Birmingham hatte Nußecke Guildo Horn alle schrecklich lieb. Raab landete auf dem fünften und Horn auf dem siebten Platz. Lediglich die ominöse Formation Sürpiz gelangte 1999 in Jerusalem mit "Küdüs’e seyahat" auf das Siegertreppchen. Der dritte Platz war der Lohn für die "Reise nach Jerusalem".

Davon ist am 12. Mai in Kopenhagen wohl nur zu träumen. Bei der Vorentscheidung am 2. März in der Preussag Arena in Hannover wählt die TV-Nation nun zwischen Slatko, Rudolph Moshammer und dem Technorocker "DJ Balloon". Das kürzeste Lied (leider außer Konkurrenz) steuert mit nur 46 Sekunden John Groves bei. Für Deutschland wäre es wohl das beste, da "Eurogrove" nicht nur kurz, sondern auch schmerz-, weil gesangslos ist. Alle anderen schnulzen im Schnitt drei Minuten lang. Die ärgsten Proleten haben sich in der Band Illegal 2001 zusammengeschlossen. Ihr Text möchte wohl provozieren: "Hat Schumi einen kleinen Penis, weil er so große Autos fährt? Verursacht Wichsen Haltungsschäden?" Eigentlich will das niemand wissen, ebensowenig, ob der Papst "auch eine Praktikantin" hat. Anderen Außenseitern wie "Lou & Band", Tagträumer und Michele muß man zumindest guten Willen und noch mehr Mut zugestehen. Beim Hören der Lieder "Happy Birthday Party" bzw. "Träumen und Hoffen" schliefen uns beinahe die Füße ein. Jedoch Michele hat uns wirklich überrascht: Wie kann man am Anfang des 21. Jahrhunderts noch so unschuldig von "Sommersonnenschein" und "voll Gefühl und voll Poesie" singen?

Überhaupt ist Naivität das Hauptmerkmal der diesjährigen Schlagerdilettanten. Slatko, seines Zeichens mazedonischer Automechaniker und Big-Brother-Star, verkündet zu nichtssagender Bumsmusik: "Ich steh hier vor Euch, hab mich voll reingekniet." Er sagt "total direkt", er sei "nicht perfekt", und fordert dann: "Einer für alle und alle für einen, der eine, der bin ich". Dieses offene Bekenntnis eines minderbemittelten Egoisten trifft wohl den Nerv der Zeit. Slatkos stärksten Konkurrenten Rudolph Moshammer möchte man dagegen einen richtigen Moralapostel nennen. Mosis Botschaft "Teilt Freud und Leid" ist nichts anderes als eine zeitgenössisch verflachte Version von König Davids Hohelied der Liebe. Zu südamerikanischen Rhythmen stammelt Mosi: "Ich bin der König! Teilt Freud und Leid, geht Schritt für Schritt in die neue Zeit. Reicht Euch die Hand, dann wird die Welt ein Wunderland." Wird die Spaßgesellschaft verstehen? "Gebt den Menschen ein Licht, die im Schatten stehen!" Mosis Engagement für Arme und Schwache ist keine PR-Masche, sondern erklärt sich auch aus der Familiengeschichte. Vater Richard starb als Obdachloser auf Münchens Straßen.

Wer kann Rudolph Moshammer eigentlich nicht mögen? In München, Maximiliansstraße 14, befindet sich sein Stammladen "Carnaval de Venise". Während die Geschäfte berühmter Franzosen verödet sind, drängelt sich vor Mosis Boutique allerlei Landvolk. Sakra, ist das aber elegant! Die Schaufensterauslage verspricht das Paradies: Krawatten in den giftigsten Pastelltönen umschlängeln eine üppige Steinbüste, und verführerisch leuchtet das violette Einstecktuch im grünen Seidenhemd. Zwischen all diesen Kostbarkeiten liegen die Früchte des Geistes, Mosis literarisches Werk. Neben dem Dauerbrenner "Mama und ich" (bereits vierte Auflage) empfiehlt sich "Elegant kochen ohne Schnickschnack" oder der Fotoband über Schoßscheißerle "Daisy". Etwas verlegen betreten wir den Laden. Dicht über den Köpfen schweben zwei gigantische Kristalleuchter, aus der Tiefe des Raumes dringen die schwülen Klänge einer Mahler-Symphonie. In barockähnlichen Schränken schlummern Tausende von scheußlichen Krawatten, scheußlichen Hemden und scheußlichen Anzügen. Hier wird schlechter Geschmack großgeschrieben.

Mosis Aufstieg zum deutschen Modelöwen begann in den späten sechziger Jahren, der Zeit der großen Verwirrung. Nach dem Abtritt der Adenauer-Garde kam auch die Moderevolution: Der korrekte Vatermörder verschwand und machte dem langhaarigen Vaterhasser Platz. Nur beim WKR-Ball trägt man noch Frack und glaubt an Gott. Mosi freut sich im Zeitungsinterview: "Ich bin froh, daß ich die Zeichen der Zeit erkannt habe." Wir bewundern gerade einen Mantel für schlappe 18.000 Mark, da betritt ein Schweizer Ehepaar den Laden. Sie fragen nach Mosis Parfums, aber bitte "nicht zu süß". Lächelnd erwidert der Verkäufer: "Sind sie alle süß!"

Der 2. März in Hannover wird das Ausmaß des Niedergangs der einstigen Kulturnation zeigen. Ein Olymp der Musik war der Grand Prix noch nie, doch gab es stets eine Handvoll ernsthafte Schlagersänger. Auch Udo Jürgens hat sich zu Wort gemeldet: "Wir lassen uns von Jux-Kameraden vertreten, die die Musikbranche als großen Spaß betrachten." Muß man der Politik einen Vorwurf machen, den deutschen Schlager vernachlässigt zu haben? Als kritische Journalisten vermissen wir in Hannover neben halbwegs erträglicher Musik vor allem eines: den Bundespräsidenten. Goldkehlchen Johannes Rau singt schon seit den dreißiger Jahren im Kirchenchor seiner Heimatgemeinde Wuppertal. Wieder einmal läßt er eine großartige Chance verstreichen, mit den Menschen draußen im Lande ins Gespräch zu kommen, ein Zeichen zu setzen und das Anliegen von mehr Brüderlichkeit, weniger Umweltverschmutzung und Ausländerfeindlichkeit dem Volk zu unterbreiten.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen