© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Am ausgestreckten Arm verhungert
SED-Opfer beklagen das fehlende Interesse der Medien und Politik / Ausweitung der Kampfzone auf den Reichstag
Steffen Königer

Im September 1998 hatte sich eine kleine Gruppe zusammengefunden, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Nunmehr seit drei Jahren steht sie Samstag alle 14 Tage vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten im Spreeweg. Schon als Roman Herzog noch das Schloß Bellevue in Berlin bewohnte, harrte die "Bellevue-Gruppe" – wie sie wegen des Standortes genannt wird – bei Wind und Wetter an der Bushaltestelle davor aus und versuchte auf ein Problem aufmerksam zu machen: die Ungleichbehandlung von SED-Tätern und Stasi-Opfern in der Nachwendezeit bis heute.

Am 24. Februar ist gerade frisch Schnee gefallen, und ein eisiger Wind bläst den sechs Leuten und den wenigen interessierten Passanten ins Gesicht. Die an einer Wäscheleine aufgehängten Plakate waren deshalb nur teilweise den selten vorbeilaufenden Touristen ersichtlich. Doch die Stetigkeit der vom Staat im Stich Gelassenen schien sich auszuzahlen. Im November letzten Jahres konnte die Gruppe einen Erfolg auf ihre Fahnen schreiben: Bundespräsident Johannes Rau hatte zumindest für zwei Stunden ein offenes Ohr für die Probleme der ungefähr dreißig aus ganz Mitteldeutschland stammenden Demonstranten. Zu diesem Gedankenaustausch ist auch der Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheit der neuen Länder, Rolf Schwanitz, zugegen gewesen.

Die zwölf in das Schloß Eingeladenen hatten am 17. November zwar prompt eine Ablehnung von Schwanitz erhalten, eine Ehrenpension für die SED-Opfer zu ermöglichen, man wolle jedoch weiterhin im Gespräch bleiben, wie auch Raus Referatsleiter Hans-Jürgen Wolff nochmals versicherte.

Drei Monate später stehen noch immer von 12 bis 16 Uhr Teilnehmer an der Mahnwache – wie sich die Bellevue-Gruppe selbst bezeichnet – vor dem Schloß. Die Anwesenden waren gegenüber der JUNGEN FREIHEIT sehr offen und mitteilungsbedürftig. Pressevertreter seien immer sehr willkommen, denn leider würde man oft belächelt oder schlichtweg ignoriert, hieß es von allen Seiten. Selbst der Besuch beim Bundespräsidenten hätte bei den überregionalen Zeitungen kein Interesse erregt.

Wolfgang Drechsel, der sich insbesondere für verfolgte Schüler einsetzt, teilte mit, daß man sich im September letzten Jahres doch entschlossen habe, einen Verein zu gründen. Dies sei notwendig gewesen, um wenigstens ein paar Kosten steuerlich absetzen zu können, so Drechsel. Staatliche Förderung sei nicht zu erwarten. Er habe auch keine Berührungsängste mit Medien, die nicht seine politische Richtung verträten, denn einer solchen Sache zuliebe müsse man persönliche Abneigungen tunlichst vermeiden.

Bis heute hat sich nichts mehr seitens des Bundespräsidenten oder des Kanzleramtes gerührt, weiß Wolfgang Mayer zu berichten, der schon seit Beginn des Protestes dabei gewesen ist. Politik sei den Teilnehmenden eigentlich egal, so Mayer weiter, es ginge hier um mehr als nur um eine Richtung wie links oder rechts. Animositäten nähmen aber leider zu. So konnte man sich nicht einigen, ob eine Ausweitung dieser Mahnwache auf den Reichstag der Sache dienlich sei, oder ob dies die Gruppe weiter spalten würde. Die Bellevue-Gruppe steht seit dem 8. März auch vor dem Parlament und hält Mahnwache für die Opfer einer deutschen Diktatur der Nachkriegszeit, die von nur wenigen Abgeordneten als solche wahrgenommen werden.


 
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