© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Mythos des universalen Heilsbringers
Hannes Möhring: Der Weltkaiser der Endzeit
Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Wann ist das Römische Reich endgültig untergegangen? Ist es überhaupt schon völlig vorbei? Besteht es womöglich in verkappter Gestalt immer noch? Diese Frage ist nicht nur für Fachhistoriker von Belang, sondern fällt auch in die Zuständigkeit des Geschichtsphilosophen und des die Apokalypse ernstlich bedenkenden christlichen Theologen. Es gibt darüber hinaus eine eigene Esoterik des Rom-Gedankens, der höchst unterschiedliche Geister gehuldigt haben, kirchliche Würdenträger wie antichristliche Radikalkonservative. Kardinal Newman (1801–1890) und, von ihm entscheidend geprägt, der deutsche Konvertit Theodor Haecker (1879–1945) waren fest davon überzeugt, daß das Imperium Romanum insgeheim, sozusagen im Zustand der Latenz, nach wie vor bestehe. Fast bis in die Zeit des beginnenden Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) gestaltete das alte "Missale Romanum" – das offizielle Meßbuch der katholischen Kirche – sogenannte Votivmessen "für den römischen Kaiser", pro imperatore Romano. Im Schlußgebet der betreffenden heiligen Messe heißt es ausdrücklich: "O Gott, Du hast das römische Kaisertum geschaffen, um das Evangelium des ewigen Königs zu verkünden; gewähre Deinem Diener und unserem Kaiser himmlische Waffen, damit kein Kriegsunwetter den Frieden Deiner Kirche störe."

Aber auch für entschieden nichtchristliche Denker wie den seltsamen Mysterienforscher Alfred Schuler (1865–1923) und den italienischen Modernitätskritiker Julius Evola (1898–1974) war das Römische Reich trotz aller Untergänge eine bis in unser Weltalter hineinreichende Wirklichkeit, welche sich allerdings nur dem Eingeweihten gnostischen Typs erschließe.

Nun ist vor kurzem ein umfangreiches Buch des zur Zeit an der Universität Stuttgart lehrenden Ideenhistorikers und Mediävisten Hannes Möhring erschienen, das die vielfältigen Ursprünge dieser von allem Anfang an mit Endzeit- und Weltuntergangserwartungen verquickten Rom-Apokalyptik aufgrund sorgfältiger Quellenforschung freilegt: "Der Weltkaiser der Endzeit". Im Zentrum steht die im vierten Jahrhundert aufgetauchte Prohphezeiung der Sibylle von Tibur (Tivoli). Sie verkündet orakelgleich, daß der allerletzte römische Kaiser, nachdem er alle Feinde des Christentums bekehrt oder vernichtet habe, nach Jerusalem pilgern werde, um dort an heiligem Orte Krone und Herrscherspurpur Gott demütig zu opfern. Sobald dies geschehen sei, werde der Antichrist, der bislang im verborgenen gewirkt habe, unverhüllt hervortreten und den Anfang vom Ende der Welt heraufführen.

Mit dem Scharfsinn eines geistesgeschichtlichen Detektivs behandelt Möhring jüdische und christliche, persische und syrische, römische und griechische Quellen dieser überaus folgenreichen Weissagung. Er entfaltet vor dem geistigen Auge des Lesers ein halb faszinierendes, halb gruseliges Pandämonium, in dem neben dem Antichrist, dem Propheten Elias und dem Patriarchen Henoch auch der Priesterkönig Johannes, Engel-Päpste und eine Reihe geschichtlicher Gestalten in utopisch überhöhtem Glanz auftreten. Insbesondere Karl der Große, Friedrich Barbarossa und der im Kyffhäuser oder auch im Ätna seiner Wiederkunft entgegenharrende Friedrich II. galten jahrhundertelang als bevorzugte Endzeitkaiser-Kandidaten. Auch theologisch gebildete Leser werden intensiv angesprochen, etwa im Zusammenhang mit den diabolischen Völkern Gog und Magog, dem Bibelausleger Abt Joachim von Fiore oder dem Wort des Apostels Paulus vom "Katechon" (2. Thessaloniker 2, 6–8), das noch in unseren Tagen einen Denker vom Range Carl Schmitts unablässig beschäftigt hat.

Wir erfahren auch hintergründige Details. So etwa werde sich das gesamte Judentum kurz vor dem Jüngsten Tag der Botschaft Jesu Christi glaubensfroh hingeben. Andererseits wieder heißt es, daß der Antichrist offenkundig ein Apostat sein und ausgerechnet aus dem israelischen Stamme Dan kommen werde. Das Ende der Welt werde an einem 25. März erfolgen, also am Tage der Erschaffung der Welt, des Festes Marias Verkündung und der Kreuzigung Jesu. Am meisten untergangsträchtig seien demnach Jahre, in denen der Karfreitag mit Marias Verkündigung zusammenfalle.

Ein Kapitel für sich bildet die islamische Abwandlung der abendländischen Weltkaiser-Idee, die Gestalt des politisch-religiösen Heilbringers, Gottesboten und Erneuerers, des Mahdi. Möhring gelangt zu dem aktuell brisanten Ergebnis, daß Muslime für die Erwartung eines solchen Endzeit-Mahdi erheblich anfälliger waren (und wohl noch sind?) als Christen für den Glauben an einen eschatologischen Weltkaiser. Während trotz der weiten Verbreitung des Endzeitkaiser-Orakels in Europa kaum jemals ein Herrscher oder Rebell als dessen Erfüller offen auftrat, weise der von Mohammeds Religion geprägte Weltteil eine ganze Reihe von Mahdi-Anwärtern auf. Deren Anzahl übersteige die der jüdischen Messias-Prätendenten bei weitem.

 

Hannes Möhring: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung. Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart 2000, 526 Seiten, 68 Mark


 
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