© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Scheidungsservice
Karl Heinzen

Pastor Gerson Raabe, Geschäfts-stellenleiter eines Glaubensdienstleisters in München, weiß, daß auch Creed-Marketing keine Einbahnstraße sein darf. Die Bedürfnisse der Kunden müssen hier wie in allen anderen Branchen erkannt und in innovative Produktideen umgesetzt werden. Wenn beispielsweise immer mehr Menschen ihre Neigung erkennen lassen, eine aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen eingegangene Ehe aufzukündigen, da sie neuen Perspektiven in einem vermutlich ja nur einmal zu lebenden Leben entgegensteht, darf die Kirche ihre Augen vor dieser Offenbarung des Marktes nicht verschließen, bloß weil sie sich vor langer Zeit einer damit nur schwer zu vermittelnden Corporate Identity verschrieben hat. Nicht einmal Sekten können sich heute eine derartige Arroganz gegenüber der Konsumentensouveränität noch erlauben.

Die von Gerson Raabe mitgetragene Initiative, nicht bloß das anfängliche gemeinsame Ja einer Ehe, sondern auch das diese beendende einvernehmliche Nein mit zertifiziertem Segen zu begleiten, ist daher ein bedenkenswerter Versuch, auf Menschen zuzugehen, die sich eigentlich von der Kirche entfernen. Wer eine Ehe schließt, ist meistens so gut gestimmt, daß er des Haltes einer Zeremonie gar nicht bedarf, wenn er auch die Aufwertung der simplen Willenserklärung zweier Menschen zu einem mystischen Ereignis goutiert. Bei Scheidungen ist hingegen in der Regel zumindest einer der beteiligten Partner so zermürbt, daß es hilfreich sein kann, durch die Ver-mittlung eines anerkannten Competence Centers für transrationale Wirklichkeitswahrnehmung und

-erklärung den therapeutischen Eindruck zu erwecken, in Wahrheit habe das Schicksal gewaltet, wo vermeintlich Menschen versagten. "Unsere gemeinsamen Jahre waren von Sonne beschienen, weil an ihrem Ende unsere heutige Scheidung steht": Ohne kirchlichen Rahmen wird sich diese Gewißheit nur schwer finden lassen.

Der Markt, auf den man mit dieser Initiative zielt, ist schier unerschöpflich. Der Zahl der Ehescheidungen ist bloß durch jene der Eheschließungen eine natürliche Grenze gesetzt. Alle Strategien der Heiratsprävention, die nicht allein einer freieren Gestaltung der Geschlechterbeziehungen dienen, sondern eben auch einer ansteigenden Ressourcenverschwendung durch Scheidungen entgegenwirken sollten, sind gescheitert. Die Ehe ist sogar drauf und dran, sich mit gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ein Terrain zu erschließen, das bislang auf Vertrauen und nicht das Recht bauen zu können hoffte.

Die neue Offensive der Kirche, im Zusammenleben der Menschen ein Wort mitzureden, kann begrüßt werden, sofern sie den Staat aus dieser Sphäre, die ihn nichts angeht, verdrängt. Seine Aufgabe sollte sich darauf beschränken, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle konkurrierenden Formen von Lebensgemeinschaften herzustellen. Er hat einer Liebe selbst dann nicht seinen Respekt und seinen Schutz zu versagen, wenn sie nur eine Nacht währen sollte.


 
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