© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Waffen neben die Toten gelegt
Kosovo-Krieg: Der FAZ-Reporter Matthias Rüb hat seine Vorwürfe nicht durch eigene Recherchen vor Ort begründet
Michael Wiesberg

Matthias Rüb, Balkankorrespondent der FAZ, hat in einer Reihe von Artikeln schwere Anschuldigungen gegen die Autoren der WDR-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge", Jo Angerer und Mathias Werth, erhoben. Beide Autoren sollen sich schwerer Manipulationen schuldig gemacht haben. Deren Film zum Kosovo-Krieg, in dem vor allem Bundesverteidigungsminister Scharping der Übertreibung und Unwahrheit bezichtigt wird, steht nun selbst im Geruch, Lügen verbreitet zu haben. Rüb beläßt es nicht bei den WDR-Autoren: Mit diesen steht inzwischen die gesamte Kritik an der Nato-Intervention im Kosovo am Pranger. Ihr wird unterstellt, entweder serbischer Kriegspropaganda auf den Leim gegangen zu sein oder aber einen Kriegsverbrecher wie Milosevic verteidigen zu wollen.

Es ist nur allzu deutlich, was derartige Unterstellungen beabsichtigen: der Kritik an diesem Krieg soll ein für allemal die Spitze weggebrochen werden. Mustergültig vorgeführt wurde diese Strategie in der Aktuellen Stunde des Bundestages am 17. Februar, als Reinhold Robbe (SPD) zu Protokoll gab: "Fest steht auch – hören Sie (gemeint war die PDS, d.V.) gut zu –, daß die Europäische Union und die Nato und damit selbstverständlich auch die Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine andere Wahl hatten, als dem verbrecherischen Treiben des Herrn Milosevic und seiner Schergen mit militärischer Gewalt ein Ende zu setzen."

Eine derartige Sicht duldet keinen Widerspruch. Wer ihn dennoch erhebt, setzt sich dem Verdacht aus, Kriegsverbrecher exkulpieren zu wollen. Konsequenterweise empfindet es Robbe als "Zumutung", mit "solchen Leuten wie Gregor Gysi in einem Parlament sitzen zu müssen". Was die SPD nicht davon abhält, mit genau dieser Partei immer wieder zusammenzuarbeiten.

Worauf nun begründet Rüb seine Vorwürfe? Mit Berufung auf den Leiter des Pressezentrums des Kfor-Hauptquartiers in Pristina, Oberstleutnant Rettelbach, behauptet Rüb, daß der albanische Journalist Besnik Hamiti die Filmautoren in mehreren Punkten der Irreführung beschuldigt habe. Hamiti soll "von Anfang an gegen die parteiische und unseriöse Recherche des Teams" protestiert haben.

Nur ein Bericht aus dem Kfor-Pressezentrum

In seinem am 1. März erschienenen Beitrag "Ein Fall von Bulldozer-Journalismus" geht Rüb noch einen Schritt weiter. Dort stellt er Mutmaßungen über mögliche Verbindungen zwischen Köln und Belgrad an. Ein halbes Dutzend Mal sei der WDR-Film über den Privatsender "YU-Info" ausgestrahlt worden. Rüb stellt zunächst fest, daß es sich hier möglicherweise um eine Raubaustrahlung gehandelt haben könnte, da "YU-Info" keine Filme der ARD einfach übernehmen dürfe. Es könnte aber auch, so Rüb weiter, eine Verbindung zwischen Köln und Belgrad bestehen. Denn hinter "YU-Info" stehe die Partei "Jugoslawische Linke" (JUL), die den Sender kontrolliere. Auch Peter Handke soll mit Informationen der JUL auf seinen Serbien-Reisen versorgt worden sein.

Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt wie Rüb, muß sich Gegenfragen gefallen lassen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann festgehalten werden: Rüb hat seine Vorwürfe nicht durch eigene Recherchen vor Ort begründet. Mit seinem Hauptbelastungszeugen, dem albanischen Übersetzer Hamiti, hat er nicht einmal persönlich gesprochen. Statt dessen hat sich Rüb auf einen Bericht des Kfor-Pressezentrums berufen. Hamiti, so stand zu lesen, soll seine Vorwürfe gegenüber dem Leiter des Kfor-Pressezentrums geäußert haben. Ebensowenig hat sich Rüb um eine Stellungnahme des WDR bemüht. Hier stockt bereits der gesunde Menschenverstand: Wie wahrscheinlich ist es, daß die Filmautoren Werth und Angerer mit einem Übersetzer bis zum Ende der Filmarbeiten zusammenarbeiten, der ihnen angeblich "von Anfang an" bescheinigt haben will, "unseriös" zu arbeiten? Diese müssen wahre Großmeister der Ignoranz gewesen sein, denn nach der Ausstrahlung ihres Filmes ist genau das geschehen, was voraussehbar gewesen ist: Es wurde ruchbar, daß der Film "manipulativ" sein soll. Auslöser der Vorwürfe ist eben jener albanische Mitarbeiter der Filmautoren gewesen. Doch obwohl Hamiti ständig als Hauptbelastungszeuge zitiert wird, hat sich bisher niemand die Mühe gemacht, dessen Glaubwürdigkeit näher zu untersuchen oder ihn zu interviewen.

Rüb zieht in seinem Artikel die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Generals und OSZE-Mitarbeiters Heinz Loquai in Zweifel, der in Abrede stellt, daß es vor den Nato-Bombardements im März 1999 eine "humanitäre Katastrophe" gegeben hat. Rüb redet davon, daß sich zeitweilig 500.000 Albaner auf der Flucht befunden haben sollen. Derselbe Rüb stellte am 22. Juni 1999 in der FAZ fest, daß von März 1998 bis März 1999 50.000 Serben das Kosovo verlassen hätten. Ebenfalls in der FAZ stand zu lesen, daß in demselben Zeitraum 45.000 Kosovo-Albaner das Kosovo verlassen hätten.

Angesicht dieser Zahlen kann man auch zu einem ganz anderen Ergebnis kommen: nämlich daß es sich bis zum Einsatz der Nato im Kosovo um einen ethnischen Konflikt gehandelt hat, von dem beide Volksgruppen gleichermaßen betroffen waren. Zu erinnern ist weiter daran, daß die Chefanklägerin des Internationalen Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, den ominösen "Hufeisenplan" als "nicht gerichtsverwertbares Beweisstück" eingestuft hat. Mit anderen Worten: Der Beweis, daß die Serben vor Ausbruch des Kosovo-Krieges eine Massenaustreibung planten, steht bis heute trotz aller gegenteiligen Behauptungen aus. Rübs Beweis für die Existenz des "Hufeisenplans" basiert ausschließlich auf der Aussage eines pensionierten Oberst der jugoslawischen Armee, der ein enger Mitarbeiter des von Milosevic Ende 1998 entlassenen Generalstabschefs Perisic war. Auch hier stellt sich die Frage: Wie glaubwürdig ist dieser Oberst, für dessen Aussage keinerlei Indizien vorliegen?

Scharpings Beweise zum Hufeisenplan sind dürftig

Was von Scharpings "Hufeisenplan" zu halten ist, zeigt eine Einlassung des ehemaligen Nato-Oberbefehlshabers Wesley Clark. Als Scharping in einer BBC-Sendung vom 19. April 1999 von einem "Hufeisenplan" raunte, erklärte Clark, von einem derartigen Plan nichts zu wissen. Das läßt nur eine Schlußfolgerung zu: Scharping muß im Besitz von "Exklusivwissen" sein, das ihn gegen jede Kritik immunisiert.

Es gehört zu den Kuriosa der laufenden Debatte, daß der SPD-Minister seinen vehementesten Verteidiger ausgerechnet in einer Zeitung gefunden hat, der sonst nicht allzu große Nähe zur rot-grünen Regierung nachgesagt wird: nämlich der FAZ. Wie deren Balkan-Korrespondent arbeitet, zeigt dessen Bericht über das angebliche "Massaker von Racak". Mitte Januar dieses Jahres ist der wissenschaftliche Abschlußbericht finnischer Gerichtsmediziner zu Racak erschienen. Die Berliner Zeitung berichtete, daß dieser Bericht nicht zu dem Schluß gekommen sei, daß in Racak eine Gruppe friedlicher albanischer Dorfbewohner von serbischen Sicherheitskräften exekutiert worden sei. Die Experten, so die Berliner Zeitung, suchten vergeblich nach Beweisen für ein Massaker. Rüb hingegen behauptet in seinem Bericht über das Untersuchungsergebnis, daß eine "Massentötung nicht ausgeschlossen" werden könne.

Ähnlich problematisch sind Rübs Schlußfolgerungen zu dem Massaker von Rogovo. Die OSZE stuft dieses "Massaker" als Feuergefecht zwischen UÇK-Einheiten und serbischen Sicherheitskräften ein. Rüb hingegen weiß es besser: Ein kosovo-albanischer Augenzeuge wird aufgerufen, der gesehen haben will, daß die Serben "Waffen neben die Toten gelegt" haben sollen, um ein Feuergefecht vorzutäuschen.

Auch hier finden sich keine Erwägungen darüber, wie glaubwürdig dieser Augenzeuge ist und welche Rolle die serbischen "Massaker" in der UÇK-Propaganda gespielt haben. So erklärte zum Beispiel Dug Gorani, ein nicht zur UÇK gehörender Verhandlungsführer der Kosovo-Albaner: "Je mehr Zivilisten getötet wurden, desto größer wurde die Chance auf eine internationale Intervention." Unwidersprochen ist bis heute weiter, daß CIA-Offiziere Ausbilder in der UÇK waren (Sunday Times, 12. März 2000). Diese zeigten der UÇK Möglichkeiten, serbische Polizeieinheiten noch effektiver zu bekämpfen.

Resümierend muß festgestellt werden, daß Rübs mit viel Verve vorgetragener Versuch, mit der Denunziation des WDR-Film als "manipulativ" die ganze Kritik am Kosovo-Krieg in den Geruch der ideologisch bedingten Unglaubwürdigkeit zu ziehen, ohne die Kraft der Überzeugung ist. Eine vorurteilsfreie Diskussion über die Gründe und Ursachen des Kosovo-Krieges steht damit weiter aus.


 
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