© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Faszination Männlichkeit
Sex & Crime im Antifa-Theater
Doris Neujahr

Jean-Paul Sartre läßt in seinem Roman "Der Pfahl im Fleische" (1948) einen jungen Franzosen den Einmarsch der Wehrmacht in Paris erleben: "Sein Herz schlug bis in die Schläfen, und er sah sie ... sie streiften ihn mit ihrem ausdruckslosen Blick, und andere kamen nach ihnen, andere genau solche Engel, die ihn genauso ansahen. (…) Er hatte keine Angst, er dachte: Unsere Besieger! Und Wollust umfing ihn. Er erwiderte kühn ihren Blick, er konnte sich nicht satt sehen an diesen blonden Haaren, diesen wettergebräunten Gesichtern, in denen die Augen wie Gletscherseen wirkten, an diesen schmalen Hüften, diesen unglaublich langen und muskulösen Schenkeln. Er murmelte: Wie schön sie sind! (…) Eine unerträgliche, köstliche Erregung stieg ihm von den Schenkeln in die Schläfen, er sah nicht mehr ganz klar, er wiederholte ein wenig keuchend: Wie in Butter – sie dringen in Paris ein wie in Butter ... sie werden uns Böses antun, die Herrschaft des Bösen bricht an, welche Wonne!"

Die Szene wirkt ungeheuerlich gleich in mehrerlei Hinsicht, weil sie alle politischen und moralischen Maßstäbe, an denen der militärische Sieg Deutschlands über Frankreich, der Triumph der Diktatur über die Demokratie, üblicherweise gemessen wird, einfach beiseite schiebt und ihn als einen sexuellen Akt schildert, der dem Unterlegenen sogar noch Genuß bereitet. Der Feind kommt in kompakter Formation, maschinenartig, unangefochten von zivilisatorischen Verzärtelungen und Selbstzweifeln daher. Die deutschen Soldaten verkörpern in gleichsam archaischer Weise Kraft, Potenz, virile Schönheit und machen dem Betrachter seine Defizite bewußt. Die Niederlage, die er erlebt, ist zugleich Ausdruck seiner erotischen Schwäche, aus der ihn nur die totale Hingabe erlöst. Diese Deutung wirkt um so verblüffender und skandalöser, weil sie aus der Perspektive eines jungen Mannes geboten wird.

Es liegt nahe, Sartres literarisches Bild von der Wehrmacht mit der aktuellen Medienpräsentation von Neonazis und Skinheads – in Deutschland gelten sie als Synonyme – zu vergleichen. Mit Bomberjacken und Doc Martens bekleidet, von der Kamera unter wehenden Fahnen und mit gutturalem Gebrüll in Szene gesetzt, stellen sie – wenn man die Kommentare ernst nimmt – eine reale politische Gefahr dar. Allerdings fällt auf, daß das Fernsehen immer dieselben, alten Bilder aus der Konserve anbietet, was den Schluß zuläßt: Die Skins sind längst zum Vorwand und schillernden Mediensymbol geworden, das sich von der Wirklichkeit emanzipiert hat. Inzwischen reichen einzelne Accessoires aus. So prangte kürzlich auf der Titelseite der Zeit ein Foto, das lediglich zwei Springerstiefel zeigte. Die Artikelüberschrift behauptete: "Nazis sind schick". Der wirr-alarmistische Text entwickelte weder das angeschlagene Thema, noch begründete er sonst irgendwie die auffällige Plazierung des Fotos. Er wirkte als nachgeschobene Rechtfertigung für die Hauptsache, den kalkulierten visuellen Reiz.

Die Skin-Berichterstattung hat neben dem politischen eben auch einen weitgehend verdrängten, erotischen Hintergrund. Nehmen wir das Jugendbuch "Zerschlag dein Spiegelbild" eines Josef Rauhenberg, das im Internet unter der Rubrik "Bücher gegen Fremdenfeindlichkeit" aufgeführt wird. Gert, die Hauptfigur, ist Werkzeugmacher-Lehrling und obendrein ein Neonazi und Skin, wie auf dem Reißbrett des Sozialarbeiters entworfen. Die Arbeit langweilt ihn, der Vater brüllt rum, ein türkischer Kollege macht Zoff. Über weiteres individuelles Profil verfügt er nicht, er ist – im neutralen Wortsinn – charakterlos.

Warum er sich ausgerechnet in der Skin-Clique wohlfühlt, wird genauso- wenig deutlich, denn die monotonen Gespräche über "Kanaken", den "Leuchter-Report" und die Maas-und-Memel-Grenzen langweilen nicht bloß den Leser. Es sei denn, man nimmt die verdrängten Sexphantasien, die sich auf dem Umweg über sadomasochistische Initiationsrituale dann doch wieder Bahn brechen, als das geheime Gravitationszentrum der Gruppe an.

Nun tritt die pädagogische Absicht in der Person des Gymnasiasten Christian auf den Plan, der in langen Gesprächen Gerts primitives Weltbild zerlegt. Gert kann dazu nur bestätigend nicken. Man ahnt, was kommt. Christian ist links und schwul und hat sich verliebt. Zwar nicht in Gert, aber in seinen Körper. Indem er seine braunen Überzeugungen demontiert – und andere hat Gert nicht –, reduziert er ihn auf ein großes Kind, auf das rein Körperliche. Die Pädagogik ist das politisch korrekte Alibi, sich Gerts physischer Attraktivität zu versichern. Fast überflüssig hinzuzufügen, daß die Figuren- und die Erzählperspektive so gut wie identisch sind.

Der Skin erscheint eindeutig als erotische Projektionsfläche. Als solche bietet sich, in ungleich subtilerer Weise, auch Ingo Hasselbach an, der seit acht Jahren eine erstaunliche Medien-Karriere als Vorzeige-Ex-Nazi aus Ost-Berlin absolviert. Über seinen Ein- und Ausstieg wurden mehrere Bücher und Filme verfertigt, er posierte, mit nacktem Oberkörper und teutonisch-stierem Blick, als Fotomodell für Helmut Newton, dem Stern war er noch vor kurzem, als der "Aufstand der Anständigen" von einem Event zum nächsten eilte, ein Interview wert. Neuerdings fungiert er als Zugpferd für ein Fascho-Aussteigerprogramm. Als er zwischenzeitlich fast vergessen war, brachte er sich als Heiratskandidat für eine in Arizona zum Tode verurteilte Deutsch-Amerikanerin ins Gespräch. Ein geschäftstüchtiger junger Mann also!

Zur öffentlichen Person, zum "Führer von Berlin", wurde er durch den Filmemacher Winfried Bonengel und den Journalisten Burkhard Schröder. 1993 erhielt Schröder in der Berliner Zeitung Gelegenheit, seinen Schützling auf einer ganzen Seite vorzustellen. Gleich der erste Satz war ein Donnerschlag: "Der Mann ist groß, kräftig, intelligent und gilt als gefährlich." Nichts davon stimmte. Hasselbach war ein Unbekannter und seine "Gefährlichkeit" eine Medieninszenierung post festum. Er selbst hat die journalistischen Trüffelschweine erst darauf gebracht, seinen "Ausstieg" zu vermarkten, angeblich, um den Umkehrdruck zu erhöhen. Auch die anderen Eigenschaften sind Wunschprojektion: Hasselbach wirkt in Wahrheit schlaksig, und seine Intelligenz weiß er, sobald er den Mund aufmacht, souverän zu verbergen.

Doch um Tatsachen ging es Schröder gar nicht. Die Attribute "groß, kräftig, intelligent, gefährlich" assoziierten ein geschmeidiges Raubtier bzw. den Topos des bindungslosen Außenseiters, der immer auch stark erotisch besetzt ist. Ihre volle Bedeutung entwickelten sie erst im Zusammenspiel mit dem zweispaltigen Pressefoto, auf dem Hasselbach mit kurzen Haaren und in Jeansjacke (jugendlich-locker-attraktiv!) unter einem Plakat der Phantompartei "Nationale Alternative" (extrem gefährlich!) abgebildet war und Bier aus der Dose trank (ein echter Mann!). Auch das war noch nicht alles. Er blickte verschmitzt an der Kamera vorbei, er bot sich an und entzog sich gleichzeitig. Und zwang so den Betrachter, sich noch weiter mit ihm zu beschäftigen.

Der damals 26jährige wirkt auf dem Foto gut fünf Jahre jünger. Seine hell ausgeleuchteten Hände, die eben noch brutal zugeschlagen haben sollen, sind schlank, fast zart. Seine Erscheinung weckt dadurch auch Beschützerinstinkte. Hasselbach verströmt ein eindeutig zweideutiges, androgynes Charisma, das er seitdem bewußt kultiviert. Seine Haare sind heute oben lang, an den Seiten kurz, im linken Ohr trägt er einen Ring. Er erinnert an David Bowie. Er betont, daß sein Leben auch nach dem Ausstieg gefährlich geblieben sei. Mehrfach war zu lesen, daß er aus Furcht vor den braunen Racheengeln keinen festen Wohnsitz habe und quasi im Untergrund lebe. Einmal Steppenwolf, immer Steppenwolf! Inzwischen hatte er einen ersten Spielfilmauftritt im WDR – als maulfauler Killer.

Was findet statt zwischen den Spielern, den Produzenten und Rezipienten dieses antifaschistischen Sex & Crime-Theaters? Während Hasselbach seine Wirkung immerhin kühl kalkuliert, bedeuteten für den einstigen "Oberführer" Ewald Althans, der im Bonengel-Film "Beruf Neonazi" (1993) einen Skandal erzeugte und dafür hinter Gittern landete, die männerbündischen Strukturen, in denen er sich bewegte, einen ganz privaten Kitzel. Parallel dazu verkehrte Althans offen in der Münchner Schwulenszene. Heute arbeitet er für eine einschlägige belgische Promotion-Agentur, die internationale Pornostars vermittelt. In Burkhard Schröders Publikationsliste wiederum stößt man bereits in den achtziger Jahren auf Titel wie "Pornos, Dampf und feuchte Schwüle – Gay Sauna" oder "Rasse, Männerbund und Sex". Und man muß während einer Antifa-Kinovorstellung nur inmitten abkommandierter Mädchen sitzen und ihr Getuschel und Gegluckse mithören, um zu wissen, daß die impliziten erotischen Signale der politischen Aufklärungsfilme ihre Wirkung nicht verfehlen. Vor wenigen Wochen kam der neueste Hasselbach-Film, "Lost Sons", des schwedischen Regisseurs Frederik von Krusenstjerna in die Kinos und über den Kultursender "Arte". Darin wird er zum "verlorenen Sohn" und seine Biographie zum "deutschen Schicksal" stilisiert.

Dem FAZ-Rezensenten war zwar nicht entgangen, daß es sich um ein Blend- und Machwerk handelt, doch zum Einsturz mochte er den Budenzauber auch nicht bringen. Gleich im zweiten Satz seufzte er: Hasselbach, der "junge, gut aussehende Mann".

Erhellend waren die Reaktionen auf den Schwarz-Weiß-Film "Oi! Warning" von Benjamin und Dominik Reding. In ihrer scharfsinnigen Rezension hatte Ellen Kositza dargelegt, daß der Film künstlerisch allenfalls mittelmäßig ist, daß er weder eine Innenansicht der Szene noch eine originelle Variante des Gewaltphänomens, sondern lediglich einen Blick von außen bietet (JF 43/ 2000). Aber eben dieser Außenblick bescherte dem Film seine hymnischen Besprechungen – auch und gerade in den Edel-Feuilletons. Schon die im Gegenlicht und in freier Natur aufgenommene Eingangsszene, in der Glatzkopf Koma, einer Breker-Statue gleich, in voller Blöße vor seiner verzückten Freundin die Muskeln spielen läßt, gibt die Richtung vor. Der Film trägt die erotischen Phantasien, die die Betrachter mit der Skin-Szene verbinden, in die Szene hinein. Allein darum ging es in diesem Film, den ganzen aufklärerischen Zinnober, der um ihn gerankt wurde, kann man getrost vergessen.

"Oi!Warning" sei ein "zarter Film" voller "Poesie und Pathos", flötete Gustav Seibt in der Zeit. Er füge "der aktuellen Wahrnehmung des Skinphänomens als eines vor allem politisch-sozialen Krisensymptoms die oft übersehene psychologisch-anthropologische Dimension" hinzu. Eine Hardcore-Zeitschrift übersetzte Seibts verquaste Sätze in Klartext, als sie von der "Verherrlichung des Männerkörpers", der "fast soldatischen Härte dieser Leiber" und den "magischen Bilder vielleicht aus dem 4. Reich" schwärmte. Fazit: "Das Leben ist härter als jeder Schwanz, aber es gibt auch Schwänze, die können ganz schön hart sein!"

"Oi!Warning" hat eine Art "Coming out" ausgelöst. Endlich konnte ein Publikum sich öffentlich zu seinen Phantasien bekennen, ohne Gefahr zu laufen, sich politisch zu kompromittieren. Die Skins füllen symbolisch ein anthropologisches Defizit aus, das sich inmitten der modernen Gesellschaft mit ihrer Abstraktheit des Lebens und den abgeschliffenen Verhaltensregeln eröffnet hat. Nicht zufällig macht die Betörung sich, ähnlich wie in der Leder-Szene, an proletarischen Accessoires fest, die auf körperbetonte, männliche Berufe und Tätigkeiten verweisen und in der gesellschaftlichen Praxis zunehmend an Bedeutung verlieren. Die Lemuren der modernen Erwerbsgesellschaft finden durchaus Gefallen an der aggressiven Mißachtung jener feinen Differenzierungen und Codierungen, denen sie sich selber anzupassen haben. Die eigene unausgelebte oder verlustig gegangene Virilität wird im Zitat des Anderen, eben des Skinheads, beschworen und zugleich mit politisch-moralischer Emphase abgewehrt: Ein permanenter Konflikt zwischen der Vergegenwärtigung und Verdrängung der eigenen, reduzierten Existenz, der sich immer wieder einmal mit Getöse entlädt.

Allein schon aus diesem Grund wird uns die nächste Kampagne gegen "rechte Gewalt" nicht erspart bleiben. In diesem Falle heißt es: Nicht aufregen, sondern an Sartre denken. Und dann lächeln, einfach nur spöttisch lächeln!


 
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