© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Gotteslästerung
von Hadayatullah Hübsch

In der linken Berliner tageszeitung (taz) ist die Hölle los. Seit sie auf ihrer dem Witz, der Ironie und seichten Späßen gewidmeten letzten Seite ("Wahrheit" genannt) einen winzigen Artikel mit der Überschrift "Mullahs immer klüger" veröffentlichte, toben sich auf ihrem Internet-Forum Atheisten und orthodoxe Muslime aus. Über 1.100 Beiträge sind mittlerweile eingegangen. Aber nicht nur das. Islamische Organisationen haben gegen die taz Strafanzeigen erstattet. Wegen übler Nachrede, Verleumdung und Volksverhetzung. Was war geschehen?

Anlaß der hitzigen Debatte ist ein Kinderreim, in dem Allah, wie die Muslime Gott nennen, in äußerst obszöner Weise dargestellt wird. Nicht also der eigentliche Anlaß des Artikels erregt die Gemüter, sondern ein lächerlicher, frecher und alles andere als frommer, doofer Spruch: "Allah ist groß, Allah ist mächtig, er hat einen Arsch von drei Meter sechzig." Die taz hatte ihn ans Ende der Meldung gesetzt, in der von der Reaktion einiger Mullahs aus Indien die Rede war. Diese "Priester" hatten verbreitet, daß die Ursache des verheerenden Erdbebens, mit dem Indien heimgesucht worden war, der Zorn Allahs darüber sei, daß die indischen Muslime sich zu wenig um ihre Religions-Praxis kümmerten und statt dessen zu viele Filme schauten. Als Reaktion auf diese kurzschlüssige Analyse hatten indische Muslime massenhaft ihre TV-Geräte zerstört.

Nun ließe sich religiös zwar argumentieren, daß ein Erdbeben nicht von ungefähr geschieht und daß Gott fürwahr die Macht hat, als Warnung ein Naturereignis herbeizuführen. Schließlich glauben ja auch die Christen, und nicht nur die muslimischen Völker, an die Sintflut als Zeichen des Zorns Gottes. Das ist eine Sache des Glaubens. Daß statt vernünftigem Umgang mit den Medien ihre Zerstörung gefordert wird, ist hingegen sicherlich hinterwäldlerisch und eine Satire wert.

Aber solche feinsinnigen Überlegungen wollte man in der taz-Redaktion nicht anstellen. Dort liebt man, was Religion betrifft, eher den allergröbsten Holzhammer. Daß dies Ohnmacht gegenüber religiösen Fragen offenkundig macht, liegt auf der Hand. Daß die tazler in dieser Hinsicht Selbstkritik üben oder sich gar Gedanken darüber machen, ist bloßes Wunschdenken, sieht man sich an, was in dieser Zeitung bislang auf diesem Gebiet so üblich war.

Indes, diejenigen unter den Muslimen, die sich jetzt betroffen und beleidigt zeigen, reiben sich nicht an der Attacke auf ihre Geistlichen. Sie suchen nicht nach Gründen, um sie zu verteidigen, geschweige denn, daß sie der taz-Häme Argumente entgegensetzten. Ihre Wut richtet sich gegen die Verunglimpfung ihres Gottes. Dies sei, so der Strafanzeigensteller Mehmet Erbakan, Vorsitzender der konservativ-radikalen Vereinigung Milli Görüs aus Köln, ihm zu weit gegangen. Ob jedoch auf dem Gerichtswege der mögliche Schaden an den Seelen wiedergutgemacht werden kann, ist zu bezweifeln. Schließlich ist Allah, sehen wir das, was er im heiligen Buch und Gesetz der Muslime, dem Koran, dem Propheten Mohammed offenbarte, erhaben über derlei Schmäh. Im Koran jedenfalls findet sich kein einziger Vers, in dem Gott eine Bestrafung wegen Blasphemie, also Gotteslästerung, oder Beleidigung des Propheten Mohammed oder anderer Heiliger durch eine weltliche Instanz anordnet. Nicht menschliche Gerichtsbarkeit, sondern Gott selbst wird diejenigen, die ihre Vernunft nicht gebrauchen und über die Zeichen Gottes spotten, zur Rechenschaft ziehen. Sagt der Koran.

Andererseits ist mit dieser theologischen Aussage das Thema Blasphemie nicht vom Tisch. Nicht aber die Verteidigung Gottes ist es, was zur Diskussion steht, sondern die Bewahrung des Volkes vor geistigem Schaden. Das klingt danach, als seien die Bürger dieses (oder eines anderen) Landes unmündig oder nicht in der Lage, sich vor Brunnenvergiftung zu schützen. Aber die Geschichte kennt genügend Beispiele, wo durch Spott und Hetze Menschen verführt wurden. Es kann nicht bestritten werden, daß Menschen, die in ihrem Glauben gekränkt werden, zu unkontrollierten und unberechenbaren Reaktionen neigen können. Und das Gesetz selbst in die Hand nehmen wollen, anstatt sich kühl und sachlich, auf der Ebene der Vernunft, mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen.

Es scheint daher auf den ersten Blick angebracht, daß der Staat Maßnahmen gegen jene ergreift, die Emotionen schüren, statt Überzeugungsarbeit zu leisten. Wo aber ist die Grenze zu ziehen zwischen einem Witz, einer Satire, die Schwächen bloßstellt und so zum Beispiel darauf aufmerksam macht, daß zwischen Predigt und Handlungsweise eine große Lücke klafft; und andererseits einem eher berserkerhaften Vorgehen, das gnadenlos, die Würde und Ehre anderer verletzend, Worte als Bulldozer benutzt, die alles niedermachen? Was ist Humor, der letztlich dadurch, daß er Lachen hervorruft, zur Heilung dessen, was er kritisiert, beiträgt; und was nicht anderes denn Gehässigkeit?

Der Schriftsteller Kurt Tucholsky hatte in den zwanziger Jahren auf die Frage: Was darf Satire? – geantwortet: "Alles". Dieser Satz wird seither von jenen immer ins Feld geführt, die, weil ihnen nichts heilig ist, meinen, sie dürften das, was anderen heilig ist, in den Dreck ziehen. Im Namen von Meinungs- und Kunstfreiheit glaubt man in diesen Kreisen, jeden und alles beleidigen zu dürfen.

Nun hat der Gesetzgeber hierzulande durchaus Mittel vorgesehen, um einer schrankenlosen Verbreitung von Lügen und Beleidigungen einen Riegel vorzuschieben. Es ist beispielsweise an der Tagesordnung, daß Personen des öffentlichen Lebens, die verunglimpft werden, sich dagegen wehren und vor den Kadi ziehen – und oft genug auch recht erhalten. In der Regel empört sich dagegen kaum jemand.

Als vor wenigen Wochen ein Redakteur der Saarbrücker Zeitung wegen eines Leserbriefes, den er abdruckte, gemeinsam mit dem Leserbriefschreiber zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, nahm die Öffentlichkeit das weitgehend klaglos hin (der Leserbrief hatte Zweifel angemeldet, ob es tatsächlich sechs Millionen Juden gewesen seien, die in den KZs ermordet wurden). Daß die Sängerin Sabrina Setlur über Nacktfotos von ihr, die ohne ihre Einwilligung in der Zeitschrift Max erschienen waren, sauer war und Schadenersatz forderte, hat nirgendwo Anwälte der Meinungsfreiheit auf den Plan gerufen, die sie etwa angegriffen hätten, doch bitteschön nicht so zimperlich zu sein. Sowohl der Staatsanwalt als auch Privatpersonen setzen ihnen eigene Maßstäbe, wenn sie der Meinung sind, daß das Volk oder ein Einzelner unzulässigerweise durch eine Presseveröffentlichung zu Schaden gekommen sei. Warum also im Falle von Satire – oder einer Kunstaktion –, durch die Symbole oder Persönlichkeiten angegriffen und lächerlich gemacht werden, Blankoschecks verteilen, nur weil es um Religiöses geht?

In einem taz-Artikel zu den Vorfällen um den Mullah-Artikel führt der Theologe Gerhard Besier eine Reihe von Beispielen dafür an, wie der christliche Glaube durch Künstler und Satiriker zur Zielscheibe des Spottes gemacht wird. Ist, so die Schlußfolgerung, das Toleranzverständnis so weit zu ziehen, daß derartige Verhöhnung hingenommen werden muß (im Sinne des Jesus-Wortes: "Liebt eure Feinde")? Die Skandalgeschichten um Salman Rushdies "Satanische Verse" werden in diesem Zusammenhang auch immer wieder aufgeführt. Haben, so die daraus resultierende Frage, diejenigen richtig gehandelt, die – wie es in einigen Staaten der Fall ist – Rushdies Buch verboten haben; darf also unter bestimmten Umständen Zensur geübt werden? Oder aber sind die Verfechter einer schrankenlosen Meinungs- und Kunstfreiheit im Recht? Warum aber, wenn die zuletzt Genannten moralisch und intellektuell fortschrittlicher sind, protestieren sie nur dann, wenn es gilt, "linke" Positionen zu verteidigen, während sie auf dem rechten Auge stets blind zu sein scheinen?

Mit einem einfachen Ja oder Nein ist dieses Problem nicht zu lösen. Die Praxis hat gezeigt, daß sehr wohl unterschieden werden kann und muß, ob es sich bei einer Veröffentlichung um Schund und Schande handelt, oder um den wahrhaftigen Ausdruck einer Idee, der es um mehr geht als nur billigen Beifall. Man kann und darf, will man redlich sein, es sich nicht zu leicht machen und auf die Suche nach Kriterien verzichten. Es ist schwachsinnig, individuell zwar zuzugestehen, daß jemand in seiner vom Grundgesetz garantierten Würde und Ehre verletzt wurde, weswegen eine in den Medien verbreitete Aussage als strafbar gehandelt werden kann, während dann, wenn es um Gefühle geht, die kollektiv empfunden werden, eine Beleidigung straffrei ausgeht.

In der Bundesrepublik Deutschland dürfe, so sagte kürzlich ein CDU-Mitglied des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, zwar nicht alles gesagt, aber doch alles gedacht werden. De facto ist mithin der Satz im Grundgesetz: "Eine Zensur findet nicht statt" nur Papier. Dies gilt für den politischen Bereich genauso wie für den Bereich der Religion. Daß die CDU, was den Glauben betrifft, den Paragraphen 166 Strafgesetzbuch, in dem "Gotteslästerung" sanktioniert ist, geändert haben wollte, weil bei der Strafrechtsreform 1969 eine Entschärfung durchgesetzt worden war, ist ein erster Versuch, für mehr Klarheit zu sorgen. Seit Ende der sechziger Jahre ist die Ahndung einer "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen" nur justitiabel, wenn sie einhergeht mit einer Störung des öffent-lichen Friedens. Die Union fordert nun ein individuelles Recht auf Klageerhebung. Indes, die neue Gesetzesvorlage hatte bei der ersten Lesung am 8. Februar keine Chance und wird so bald in den Aktenbergen verschwinden.

Es bleibt aber festzustellen, daß nicht zuletzt die aufgeflammte Diskussion den Gesetzgeber wie auch Philosophen und Religionswissenschaftler wachrütteln sollte. Wenn Freiheit immer zuerst die Freiheit des anderen ist, dann gälte es, sich Gedanken darüber zu machen, warum bestimmte Leute nicht wollen, daß bestimmte Angelegenheiten öffentlich gemacht und diskutiert werden; während andere alles nur Mögliche versuchen, damit es doch öffentlich gemacht, hoffentlich, diskutiert wird.

Ein Verbot der Verbreitung bestimmter Ideen durch die Medien wird, das hat die Geschichte gezeigt, niemals dazu führen, daß diese Ideen auch tatsächlich aus den Köpfen verschwinden. Nur, so die logische Weiterführung, wenn durch Argumente und Beweise, also Vernunftgründe, dargelegt wird, wie es sich eigentlich mit dieser oder jener Behauptung oder Idee verhält, ob sie wahr ist, ob sie Tatsache ist, ob sie Wunschdenken entspricht oder einer Zementierung von Macht dient, wird sich eine Gesellschaft weiterentwickeln können. Eine solche freizügige Streitkultur wird indes auch ihre Regeln haben müssen. Sachliche Kritik unterscheidet sich von mörderischer Polemik. Meinungsmache vom legitimen Bedürfnis, Meinung zu bilden. Und Satire, durch die ein Träger einer rosaroten Brille plötzlich dazu kommt, klar zu sehen, ist nicht zu verwechseln mit einem primitiven Rumhacken auf Vorurteilen.

Von daher gesehen, darf weder Satire noch Literatur noch Kunst noch Politik "alles". Sie sollte vom Verantwortungsbewußtsein des Kreativen gefiltert werden. Diese Aufforderung ist nicht eine bedingungslose Bejahung der Schere im Kopf. Sie sagt auch nicht, daß ein Künstler nur machen dürfe, was der Volksmeinung gefällt. Die beste Anstrengung auf dem Wege Gottes, sagte der Prophet Mohammed, ist ein wahres Wort gegenüber dem Tyrannen. Und Satire, so sagte er, soll gegenüber den Feinden der Wahrheit und Glaubens- und Gewissensfreiheit angewandt werden. Aber sie darf nicht ohne Moral auskommen. Es gibt Bereiche des Respekts auch gegenüber den "Ungläubigen", sagt der Koran. Die Würde der Andersdenkenden ist zu wahren. Und welcher kreative Mensch denkt nicht darüber nach, ob sein Werk bestimmten Kriterien genügt. Warum also dann plötzlich "Halt!" schreien, wenn es darum geht, das den anderen Heilige nicht herabwürdigend zu behandeln? Ist denn nicht ein feiner Unterschied zwischen zielgenauer Kritik und einem blindwütigen Drauflosschlagen? Was hat am Ende mehr Erfolg?

In diesem Sinne heiligt das Mittel den Zweck. Jeder Handwerker weiß das. Wer nicht genau ist, dem gelingt es nicht, auch nur zwei Steine aufeinander zu setzen, ohne daß die Gefahr besteht, daß der Stapel bei der erstbesten Erschütterung auseinander fällt. Wem also ist damit gedient, wenn er, wie bei dem in der taz abgedruckten obszönen Reim geschehen, Menschen gegen sich aufbringt? Möchte man sich ob des gezeigten Hasses der Beleidigten freuen? Frage ist und bleibt, was man erreichen will. Das aber heißt, meiner Meinung nach, nicht, sich duckmäuserisch zu verhalten und gar nichts Kritisches mehr zu wagen. Verhältnismäßigkeit ist es, was gefordert werden muß, nicht Harmoniesucht. In der Regel, so befürchte ich, sind all diese tabubrechenden Theaterstücke und Satiren nur Zeugnisse einer gewissen Ohnmacht, wenn nicht einer Dummheit.

Sicherlich aber sollten diejenigen, denen etwa die Darstellung eines Jesus als homosexuellem Säufer mißfällt, auch einmal fragen, was den Theatermann, der dies auf die Bühne brachte, dazu bewogen hat. So haben sich oft genug auch Anhänger von Religion ins Unrecht gesetzt. Und schließlich ist bekannt, was über den Splitter im Auge des anderen nicht zu vergessen ist.

 

Hadayatullah Hübsch wurde als Paul-Gerhard Hübsch 1946 in Chemnitz geboren. 1979 trat er in die islamische Reformbewegung Ahmadiyya-Muslim Jamaat ein und nahm den Vornamen Hadayatullah an. Heute lebt er als Schriftsteller in Frankfurt am Main und leitet den Verlag "Der Islam". Von 1992 bis 2000 war er Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VdS) in Hessen.


 
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