© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
PRO&CONTRA
Plattenbauten abreißen?
Jürgen Patschke / Günter Nossinske

Bei dem Gedanken, daß Platten abgerissen werden, hüpft mir das Herz. Und das aus den verschiedensten Gründen. Ganz besonders Plattenbauten, die im Umfeld von Städten stehen, die "auf die Wiese" gestellt worden sind, stören dort unsäglich.

Wie Panzersperren, Fremdkörper in der Landschaft. In der Stadt sind Plattenbauten aus anderen Gründen abzulehnen. Sobald sie dort sozial verträglich abgerissen werden können, befürworte ich dies. Jedoch können sie erst abgerissen werden, wenn der Bevölkerung schönere Bauten zu geringen Preisen oder Mieten zur Verfügung stehen. Das ist möglich. Anders kann ein Abriß nicht angestrebt werden.

Zu keiner Zeit haben spätere Bewohner entschieden, Plattenbauten zu errichten. Die Rektoren von Kombinaten, im Westen den großen Wohnungsbaugesellschaften, haben das entschieden. Wer von diesen Entscheidungsträgern wohnt in diesem Umfeld der Trostlosigkeit, Anonymität und Gleichförmigkeit. Sie wohnen in besseren Wohnumfeldern oder in Villenvierteln. Der Plattenbau stellt im Vergleich mit maroden Altbauten mit unzulänglicher Belichtung, Feuchtigkeit und Toiletten auf dem Zwischenpodest mit Sicherheit eine Verbesserung dar. Man muß die Platte allerdings mit den heutigen Möglichkeiten vergleichen – und da fällt sie durch.

Sie ist eine Unterforderung des Intellekts aller Menschen. Dieses Gleichmaß, diese Langeweile an Struktur und Gestaltung ist eine Zumutung für einen kultivierten Menschen.

Sie schauen einen Plattenbau an, und kennen alle. Sie gehen durch Straßen, in denen die Häuser gleich aussehen, schauen deshalb gar nicht mehr hin, denn sie kennen bereits alles.

Was wir unseren Nachfahren mit diesen Plattenbauten zumuten, ist eine Schande. Daran müssen wir auch denken – wir bauen nicht nur für uns.

 

Dipl. Ing. Jürgen Patschke ist Architekt, entwarf mit seinem Bruder Rüdiger Patschke das wiederaufgebaute Hotel "Adlon" in Berlin.

 

 

Die bauliche "Vergangenheitsbewältigung" des Plattenbaues ist fortgeschritten, aus den Erfahrungen dieser Mammutaufgabe sind Schlußfolgerungen auch für das industrialisierte Bauen schlechthin nicht nur möglich, sondern sinnvoll und unter Aspekten der aktuellen Entwicklung der Bauwirtschaft- und -konjunktur brennend notwendig.

Vorhandenes zu nutzen sollte selbstverständlich sein. Um die Neunutzung derartiger Flächen zügig und kostenoptimierend umzusetzen, sind Architekten und Bauherren gut beraten, wenn sie in einer frühen Planungsphase auf das Know-how von sachverständigen Ingenieurbüros zurückgreifen.

Nach zehn Jahren intensiver Beschäftigung mit der Thematik Block- und Plattenbausanierung und Modernisierung in diversen Bau- Fachtagungen und -Symposien sowie einem nationalen und einem internationalen Plattenbaukongre? (mit über 600 Teilnehmern) ist diese Thematik weit fortgeschritten, so daß realisierte Wohnräume bei Block- und Plattenbauten, Qualitätssicherung, Öko- und Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und aktuelle Bauideen heute schon selbstverständlich sind.

Bisher stand der Plattenbau im direkten Wettbewerb zum Wohnungsneubau, der insbesondere durch steuerliche Anreize begünstigt wurde.

Der Plattenbau bewegt sich somit im Spannungsfeld zwischen Instandsetzung und Abriß. Wie lassen sich neue Märkte erschließen? Entsprechend der Nachfrage kann durch einfache Instandsetzung oder durch aufwendige Modernisierung sowohl kostengünstiger als auch anspruchsvoller Wohnraum geschaffen werden. Es ist im Rückblick überraschend und beruhigend, inwieweit die sorgfältig geplanten Visionen einen offenen Rahmen für eine neue Wohnkultur des 21. Jahrhunderts abgeben können. Bringen wir es auf den Punkt: Umgenutzt ist besser als ungenutzt!

 

Dipl. Ing. Günter Nossinske ist Vorsitzender des Berlin-Brandenburgischen Landesverbandes des Verbandes Deutscher Architekten.


 
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