© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
"Warum rede ich überhaupt mit Ihnen, Sie Dilettant?"
Ephraim Kishon, nominiert für den Literaturnobelpreis 2001, über die Deutschen und die Bücher, Humor und Ehe, das Grauen des Stalinismus und die JUNGE FREIHEIT
Moritz Schwarz

Herr Kishon, die Weltauflage Ihrer Bücher beträgt 42 Millionen Stück, davon entfallen allein auf Deutschland 31 Millionen. Ihre mit Abstand größte Anhängerschaft haben Sie also in Deutschland.

Kishon: Ja, ich habe erfreulich viele, besonders junge Leser im deutschsprachigen Raum. Vergessen Sie jedoch nicht, wie alle deutschen Journalisten, daß Ihr Buchmarkt der größte der westlichen Welt ist. Wenn Sie es proportional betrachten, bin ich in Israel und sogar in Kroatien ebenso erfolgreich. Absolut gesehen haben Sie allerdings recht.

Doch 31 Millionen Bücher! Wie ist das zu erklären in einem Land, dessen große Lesetradition fast zusammengebrochen ist?

Kishon: Ich glaube, viele Ihrer Landsleute haben tatsächlich aufgehört zu lesen, aber sie kaufen eben immer noch Bücher.

Für den Bücherschrank?

Kishon: Ich wäre nicht so sarkastisch. Es ist eine schöne Tradition, Bücher zu schenken. In der Bundesrepublik ist die Menge der verkauften Bücher vor Weihnachten so groß wie in den elf Monaten davor. Der deutsche Buchmarkt ist so mächtig wie der amerikanische, obwohl es dort beinahe dreihundert Millionen Menschen gäbe, die Bücher schenken könnten.

Wie bekannt sind Sie eigentlich in Israel?

Kishon: Zum Glück bin ich Prophet auch im eigenen Land. Dort gibt es aber nicht mehr als zweieinhalb bis drei Millionen Leser der vor achtzig Jahren neugeborenen hebräischen Sprache. Ich war einmal vor vielen Jahren ein außerordentlich einflußreicher Federfuchser in Israel, weil ich dreißig Jahre lang eine tägliche Zeitungskolumne geführt habe.

Ihnen ist sogar zweimal ein Ministeramt angetragen worden. Das erste Mal von Golda Meir.

Kishon: Ich sollte immer Informationsminister werden. Aber ich verweigerte. Ich hätte die täglichen Angriffe in der Presse nicht ertragen können. Ich wollte nicht jeden Morgen lesen, daß ich der Witzbold der Regierung bin.

Witzbold? Sie sind sogar schon für den Oscar nomminiert worden.

Kishon: Ich habe diverse Drehbücher geschrieben, produziert und inszeniert. Alles israelische Filme. Ich war eine Zeitlang das Wunderkind von Hollywood, mit zwei Oscar-Nominierungen und drei Golden Globe Awards. Ich bin aber doch nicht in der Traumfabrik geblieben. Als ich geflohen bin, sagte ich den Leuten in Hollywood: "Ein Drittel von Euch ist alkoholisiert, ein Drittel narkotisiert, und ein Drittel hat sich noch nicht entschieden."

Nun sind Sie Kandidat für den Literaturnobelpreis 2001.

Kishon: Ja. Und gleichzeitig fühle ich eine merkliche Kühle gewisser literarischer Kreise gegenüber meiner Person, sowohl zu Hause als auch hier in Deutschland. Ich würde sogar sagen, es ist ein echtes Totschweigen. Sie finden mich nicht im Spiegel, Stern, Zeit, FAZ oder im "Literarischen Quartett" – mein Name kommt dort nie vor.

Worauf führen Sie das zurück?

Kishon: Weiß der Teufel. Ich bin doch der meistgelesene Satiriker in deutscher Sprache. Ich hatte schon auf antiisraelische Einstellungen spekuliert. Aber nein, ich glaube, man hat einen persönlichen Komplex mit mir. Nehmen Sie zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki. Ich kenne ihn persönlich, und er ist in vieler Hinsicht eine hervorragende, hochbegabte Persönlichkeit. Anders als ich ist er jedoch nach dem Krieg gleich nach Nazi-Deutschland gekommen und wurde so ein Teil der deutschen Literaturszene. Ich bin dagegen in den jungen jüdischen Staat ausgewandert und habe dennoch meinen Anteil in der literarischen Manege. Durch meine vierzig Bücher wahrscheinlich einen weit größereren. Ranickis Komplex ist, daß seine Enkelkinder meine Werke lesen werden, meine Enkel in Israel aber wohl nicht seine gesammelten Kritiken. So erkläre ich mir das.

Sie vermuten tatsächlich Eifersucht?

Kishon: So sind die Menschen. Sie denken: "Da kommt ein Fremder, schreibt in dieser uralten orientalischen Sprache, und dann hat der auch noch so einen Erfolg." Der Schriftsteller Truman Capote hat einmal geschrieben: "Die Menschheit duldet nicht zu lange Erfolge."

Und den haben Sie nicht nur auf dem Buchmarkt, es werden auch jeden Tag zahlreiche Stücke von Ihnen an deutschen Theatern aufgeführt.

Kishon: Ja, das kommt noch dazu. Deshalb ist mir diese Nichtbeachtung des "Establishments" auch ein solches Rätsel. Vielleicht liegt es ja nur daran, daß ich ihnen als Person nicht so sympathisch bin. Wer weiß, wäre ich nicht ich, vielleicht wäre ich auch mir nicht zu sympathisch.

Welche Rolle spielt in Deutschland noch die Literatur?

Kishon: Es wäre ungerecht, jetzt nur über Deutschland zu sprechen, es ist eine weltweite Erscheinung. Die Leute sind beschäftigt mit Internet, Fernsehen, DVD, E-Mail, Handy und Porno-Video. Ich auch. Wer hat noch Zeit für Bücher? Gut, manche Menschen haben noch einige Bände auf ihren Nachttischen liegen, aber wann lesen sie sie schon? Vielleicht, wenn sie krank oder alt werden oder wenn ein Wunder geschieht. Früher hatte man wenigstens ein Buch mit sich für den Fall, daß man auf einer einsamen Insel landet. Ich selbst würde das Buch "Wie baut man ein Schiff in fünf Tagen" mitnehmen. "Wo ist nur die deutsche Literatur hinverschwunden?" hören Sie in Deutschland allerorten. Aber sie ist doch da, sie ist immer noch da, so wie sie früher da war. Nur man liest sie eben nicht mehr. Ich erlebe es bei meinen eigenen Anhängern. Sie lesen Zeitungen und Magazine und schauen die sechzig Kanäle des Fernsehen. Viele Leser lesen auch mich nicht mehr so eifrig. Sie begrüßen mich: "Ah, Biolek! Ich habe Sie gestern bei ihm gesehen!"

Ausdruck der Weltöffentlichkeit ist in Zukunft also die globale TV-Zuschauerschaft statt der Vollversammlung der UN?

Kishon: Sicher, CNN kann entscheiden, ob diese oder jene jetzt die Bösen sind, und dann sind die auch die Bösen. Sie zeigen in der Glotze Tag für Tag einfach das Begräbnis unschuldiger Palästinenser. Und schon erübrigt sich jede weitere Beweisführung. Einmal war Netanjahu ihr diensthabender Schuft, dann hat Herr Milosevic die Rolle übernommen, jetzt ist Ariel Sharon an der Reihe.

Eine neue Realität entsteht?

Kishon: Ja, die zwar nicht unbedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, die aber völlig akzeptiert wird. Heutzutage ist die Macht unbestritten in den Händen der Redakteure. Und das gilt auch für den Humor.

Dann kann es für Sie eng werden.

Kishon: Ich bin sicher, der geschriebene Humor wird verschwinden. Ich bin der letzte Mohikaner. Der visuelle Humor wird ihn verdrängen. Beim Lesen durch Bücher-Schreiben muß man selber mitmachen, vom Fernsehen dagegen wird man höflich bedient. Bei den amerikanischen Serien muß man nicht einmal selbst lachen, sogar das liefert der Sender gleich mit. Keine Anstrengung bitte, wir lachen für Sie. Und es scheint, Ihr Deutschen übernehmt das auch noch.

Es ist doch nicht nur eine Frage der Humor-Rezeption, sondern auch des Verfalls des bürgerlichen Niveaus.

Kishon: Natürlich, der Fernseh-Humor rutscht immer tiefer. Ich bin erschrocken, was bei Ihnen so im Fernsehen läuft. Nicht die Sendungen wie "Big Brother" und "Girlscamp" stören mich, sondern ihr hysterischer, wenn auch kurzer Massenerfolg.

Sind Sie ein Bürger?

Kishon: Nun, ich zahle Steuern, gehe bei Grün über die Straße und rufe notfalls die Polizei. Also, ich bin wohl ein Bürger. Aber einer mit eigener Meinung.

Ist Ihr Humor ein bürgerlicher Humor?

Kishon: Ich bin einfach ein Satiriker. Wer meinen Humor einen bürgerlichen Humor nennt, ist ein Dummkopf oder ein Kritiker oder beides. Es gibt keinen "bürgerlichen Humor", wie es auch keinen "proletarischen Humor" gibt. Sogar Genosse Lenin hat einmal geschrieben: "In jeder Fachfrage soll der Proletarier den Proletarier wählen und nicht den Fachmann. Mit einer Ausnahme, in Sachen Humor muß man leider die professionellen Humoristen wählen, denn es gibt keine anderen."

Nehmen Sie doch den Slapstick, wo Torten fliegen und Männer an Uhrzeigern hängen. Ist das nicht etwas anderes als Ihr Humor der Anspielungen und leisen Töne?

Kishon: Wenn Sie meine Bücher zufällig lesen, sehen Sie, daß ich mich auch mit ganz anderen Situationen beschäftige. Mein Humor ist nebenbei auch voller Ernst. Und übrigens – jetzt halten Sie sich fest –, den berühmten englischen Humor gibt es gar nicht.

Oh, indeed?

Kishon: Not really.

Und der jüdische Humor?

Kishon: Stirbt aus.

Schwarzer Humor?

Kishon: Nein, es gibt nur guten und schlechten Humor. Meine Bücher verkaufen sich in Süd-Korea und Japan exzellent.

1:0 für Sie ...

Kishon: Der Humor spricht nicht zu einer Nation. Er spricht zu einer Schicht desselben intellektuellen Niveaus, und diese existiert, etwa in der Türkei – wo ich übrigens genauso erfolgreich bin wie in Deutschland – ebenso wie bei Ihnen. Aber überall, wo es Fernsehen gibt, gibt es auch das Zuschauer-Quoten-System. Lenin hat gesagt, die schlechte Kunst wird immer die gute Kunst besiegen. Auch hier irrte er nicht. Nun wird eine ganze Generation nur mit diesem billigen, ordinären TV-Humor aufwachsen. Das führt dazu, daß ihr der niveauvolle Humor unverständlich sein wird oder gar langweilig.

Außer dem Humor ist noch eine weitere wichtige menschliche Angelegenheit in größter Gefahr: die Ehe. Wenn man all Ihre Kommentare zur Ehe liest, fragt man sich: Glauben Sie an die Ehe, oder glauben Sie nur an Ihre Ehe?

Kishon: Ja, ich und meine Frau führen in der Tat eine Long-play-Ehe von nunmehr 42 Jahren. Das ist eine große Leistung. Und weil ich sozusagen ehemäßig clean bin, erlaube ich mir auch manchmal ein paar wahre Worte darüber. Betrachten wir es doch nüchtern, sagen wir statistisch. Eine Institution wie die Ehe, die in mehr als der Hälfte aller Fälle scheitert, ist doch ein Fiasko.

Sie vergleichen die Ehe gerne mit der Einkommensteuer.

Kishon: Ja, denn sie ist ebenso wider die menschliche Natur.

Gibt es also keine Hoffnung?

Kishon: Kapitulieren.

Und eine Alternative?

Kishon: Polygamie.

Das ist nicht Ihr Ernst.

Kishon: Doch. Eine Million Muslime können nicht irren.

Sie halten nichts vom christlichen Abendland?

Kishon: Bitte, bitte, auch der Westen lebt in Polygamie. Im Untergrund.

Sie meinen uneingestandenermaßen?

Kishon: Schauen Sie sich doch um.

Also steht die abendländische Kultur in Widerspruch zur Disposition des Menschen?

Kishon: Allerdings trägt unsere Gesellschaft auch tatkräftig dazu bei. Wir leben in einer Epoche der Sexualität, die bis zum Absurden aufgeblasen worden ist. Sie sehen im Fernsehen eine fast nackte, junge Frau mit den Hüften wackeln, tatsächlich aber will man eine hydraulische Presse verkaufen.

Eine Form von Terror?

Kishon: Sagen wir, schamlose finanzielle Ausnutzung der männlichen Schwäche. Es ist auch Terror, aber legal.

Bedeutet diese totale Sexualisierung nicht vor allem den Verlust der vielleicht entscheidenden Größe unserer abendländischen Kultur: des Privaten und dessen Kern, der Intimsphäre?

Kishon: Sicher, der obszöne Hunger wächst. Demnächst werden wir einen Zustand erreicht haben, daß kaum eine Zeitung – außer der Ihren – mehr darauf verzichten kann, Intimsphäre öffentlich zu machen. Neulich habe ich die vornehme FAZ aufgeschlagen: eine ganze Seite über Boris, Babs und Sabrina. Das ist, was ich "schlechte Kultur" nennen möchte, die Jagd nach Privatleben. Niemand interessiert sich für das, was Boris Becker außerdem macht oder machte, sondern nur, was er mit dieser oder jener Frau angestellt hat. Ich halte diese Entwicklung – bitte ganz ohne jede Übertreibung – für krankhaft.

Also sollte man die Degeneration mit der Polygamie institutionalisieren?

Kishon: Die Zukunft gehört natürlich nicht der Polygamie. Bedenken Sie doch alleine, welche Stellung die Frau im Nahen Osten in der Polygamie hat. Die Ehe wird sich wahrscheinlich früher oder später sowieso auflösen, zugunsten von zeitweiligen Lebenspartnerschaften.

Und danach, wenn die Menschen erleben, daß in der völligen Freiheit des Temporären auch der Schrecken der Einsamkeit liegt: eine neue Sehnsucht nach Permanenz?

Kishon: Nicht genau. Die einzige Rettung der Ehe liegt darin, daß sie ihre eigene Wahrheit gewinnt. Die Ehe ist eigentlich für die Kinder gedacht. Die Aufgabe der Ehe ist es nicht, fünfzig Jahre lang die Rolle eines lateinamerikanischen Liebhabers zu spielen, sondern gemeinsam Kinder zu haben. Sind Sie eigentlich verheiratet?

Nein.

Kishon: Dann sind Sie ein Dilettant. Was spreche ich überhaupt mit Ihnen? Ich selbst lebe in einer außerordentlich "marathonischen" Ehe, ich bin ein Profi.

Das ist weltbekannt. Wie lautet das Geheimnis?

Kishon: Gegenseitige Wertschätzung.

Eine Galeristin und Konzertpianistin und ein nobelpreisverdächtiger Schriftsteller.

Kishon: Ja, es sind die besten Umstände, die es ermöglichen, die Achtung vor dem anderen immer wieder zu erneuern.

Weiß "die beste Ehefrau von allen" eigentlich zu schätzen, daß sie Adressatin der weltgrößten Liebeserklärung ist?

Kishon: Sie ist ja auch mein bester Freund.

Sie ist allerdings Ihre zweite Frau.

Kishon: Meine erste war eine Österreicherin, mit Ihrer Erlaubnis. Eine echte Wienerin. Heute lebt sie auch in Tel Aviv.

Sie haben sich also auch schon einmal scheiden lassen.

Kishon: Wir haben.

In Ihrem jüngst erschienenen Buch "Wer’s glaubt, wird selig" geht es allerdings um Politik. Der Ton ist "rauher" als in Ihren Familien-Büchern.

Kishon: Politiker sind leider allzu oft nur korrupte Abenteurer im Smoking. Machiavelli ist nicht Vergangenheit. Er lebt. Nur mordet er heute nicht mehr. Heute rufmordet er. Die Machtgier und die Skrupellosigkeit sind heute haargenau die gleiche. Der Politiker will wiedergewählt werden, und dann erst kommt sein Land und sein Volk, das heißt die Wähler. Und die Gesellschaft ist ebenso skrupellos. Die Hauptsache ist, der Politiker hat die Macht. Wie er sie handhabt und wie er sie erlangt hat, ist völlig nebensächlich. Das reicht auch in der Demokratie. Wenn Sie eine Stimme mehr haben, zählt weder Recht noch Moral. George W. Bush zum Beispiel hatte lediglich einen republikanischen Richter mehr, um Präsident zu werden. Oder denken Sie an den Verzicht auf ihre Ostgebiete. Willy Brandt hatte im Bundestag eine Stimme mehr gehabt, eine einzige Stimme. Und schon war Preußen weg und der Friedensnobelpreis da. So funktioniert das.

Letztlich stellen Sie in Ihrem Buch die Politiker nicht völlig unsympathisch dar, nicht böse, sondern vielmehr schlitzohrig.

Kishon: Weil sie nur eine Lücke im gesellschaftlichen System geschickt ausnützen. Sie sind zwar macht- und bestechungsgierig, aber sie sind nicht Dschingis Kahn oder Stalin. Die freie Gesellschaft hat dieses System aufgebaut, bitte, jetzt hat sie die entsprechenden politischen Mitläufer dazu.

Das heißt, der Politiker ist eine Kreatur des Systems: Wir versuchen ihn "um" die Einkommenssteuer zu betrügen, er uns "mit" der Einkommensteuer?

Kishon: Genau. Allerdings hat die westliche Demokratie auch Vorteile. Zum Beispiel kann man Bücher wie mein neues gegen das System schreiben. Und vor allem, man kann das Land friedlich verlassen, wenn es einem zu bunt wird.

Sie haben seinerzeit jahrelang versucht, aus dem kommunistischen Ungarn auszuwandern.

Kishon: Entschuldigung, ich bin geflohen aus dem brutalen stalinistischen System.

Sie selbst haben aber weit mehr unter dem Nationalsozialismus gelitten – der Sie ins KZ gebracht hat – als unter dem Stalinismus. Im kommunistischen Ungarn haben Sie sogar als angesehener Schriftsteller gelebt.

Kishon: Ja, ich war in diesen Jahren sogar ein geradezu verwöhnter Schriftsteller. Der Kommunismus bedeutet dennoch den höchsten Grad an Terror, auch wenn ich selbst nicht so direkt betroffen war. Für mich persönlich war die Hölle des Holocaust das Schlimmste. Noch dazu, wo ich unter einer besonders gemeinen Form der Nazis zu leiden hatte, nämlich den ungarischen. Die Ungarn haben ihre jüdischen olympischen Sieger totgepeitscht. Ich war in ihrem KZ, und hätte ich aus dem Todesmarsch nicht zufälligerweise fliehen können, wäre heute kein Interview mit mir möglich.

Warum halten Sie dann den Kommunismus für vielleicht noch schlimmer?

Kishon: Er war lügnerischer. Der Terror war totaler. Der Dämon Hitler war offen, er sagte: "Wir rotten Homosexuelle, Freimaurer, Juden, Kranke, etc. aus." Und das wurde dann auch so gemacht. Die Sowjetunion sang: "Wir sind das freieste und glücklichste Land der Welt." Ich sang es auch, wie alle.

Die Position also, die auch George Orwell hatte und in "1984" vertritt.

Kishon: Genau. Wie es Orwell beschrieben hat, so habe ich es erlebt. "1984" ist ein geniales Werk. Aber zur totalen Lüge kommt noch ein weiteres Phänomen: Der stalinistische Terror war nicht rational. Die Nazi-Raubmörder folterten und ermordeten die Juden und verteilten ihren Besitz unter sich. Ich wußte, warum ich im Lager war, und ich wußte, am Ende würden sie mich abschlachten. Im guten alten Sowjetsystem dagegen wußte man nicht, warum jemand verschwand. Man wußte nicht, wer, und wenn man es schließlich wußte, dann wußten man nicht, warum. Und damit wiederum nicht, wer als nächstes. Einer meiner einfachen Nachbarn in Budapest verschwand eines Tages spurlos. Monate später erhielt die Familie ein Paket mit seiner blutigen Unterwäsche. Der Terror war total. Nicht ein Mittel der Verfolgung, sondern ein geradezu machtstrategisch aufgebautes satanisches Roulettespiel.

Es traf bekanntlich sogar die überzeugtesten Kommunisten.

Kishon: Sogar Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens dem System gedient hatten oder "Zionisten" retteten. Das berühmteste Beispiel ist der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg, der Hunderttausende ungarische Juden gerettet hat. Er ging nach der Eroberung Budapests durch die ukrainische Armee zum sowjetischen Hauptquartier und verschwand, wurde nie mehr gesehen.

Ermordet.

Kishon: Sicher. Stalin befahl, jeden, der sich an sowjetische Behörden wendet, sofort zu verhaften und in ein Gulag zu deportieren. "Ich suche keine Stecknadel in einem Stroheimer", sagte er, "ich verbrenne den ganzen Eimer". Ich selbst habe damals zufällig in einer Kammer die Liste der Mitglieder der ungarischen Nazi-Partei gefunden. Pflichtgemäß ging ich, sie den Behörden auszuliefern. Ich betrat das Hauptquartier der Geheimpolizei und meldete mich mit meinem Fund. Ein älterer Mann saß mir gegenüber. Er fragte: "Hör mal, mein Sohn, bist Du ein Jude?" Ich sagte: "Ja, ich bin Überlebender des Holocaust." Er sagte: "Dann drehe Dich um und laufe auch von hier fort und schaue nicht zurück!" Das habe ich gemacht.

Warum?

Kishon: Das habe ich damals auch nicht verstanden. Ich habe es einfach gemacht. Allein, weil ich den Ernst im Gesicht des alten Mannes sah. Ich wäre sonst wohl auch verschwunden. Mich rettete allein das Glück, daß dieser Offizier wahrscheinlich selbst ein Jude war. Jeder, der da hineingekommen ist, ist verschwunden.

Wie sind Sie dem Kommunismus schließlich entkommen?

Kishon: Ich habe mit meiner ersten Frau zusammen Papiere für eine Reise nach Prag bekommen, weil da eine Messe stattfand. Das war eine völlige Ausnahme, sonst durfte immer nur einer reisen, der andere blieb als Geisel. Aber ich war ein bekannter Schriftsteller und bekam dieses Privileg. In Preßburg sind wir einfach ausgestiegen. Dort hat uns eine israelische Geheimorganisation in einem Waggon unter dem Pferdefutter herausgeschmuggelt. Mein Name erschien in den ungarischen Zeitungen in einem schwarzen Rahmen: "Verräter des werktätigen Volkes".

Danach wanderten Sie nach Israel aus. Was empfinden Sie heute, wenn Sie nach Deutschland kommen?

Kishon: Ich komme ohne Probleme in das Deutschland von heute. Ich habe viele Freunde hier. Das neue Deutschland ist sogar weniger antisemitisch als viele andere europäische Länder, und es ist in internationalen Krisen immer der israelfreundlichste Staat.

Die Deutschen sind von dem Massenmord an den Juden bis heute traumatisiert .

Kishon: Jawohl, die Deutschen haben immer noch einen jüdischen Komplex. In einer Talkshow des deutschen Fernsehens fragte mich der Moderator: "Herr Kishon, was sagen Sie als Jude dazu?" Ich antwortete: "Ich bin kein Jude, ich bin ein Israeli." "Wie bitte?" fragte der Moderator. Ich fragte zurück, wie würde er wohl antworten, wenn ich ihn fragte, was er sei. "Protestant" würde er erwidern, oder doch "Deutscher"? Ach so! Aber es geht doch nicht so einfach. Sie wissen, der selige Ignatz Bubis hatte den großen Traum, auch Juden könnten Deutsche sein. Zu ihm sagte die gute Frau Süssmuth einmal: "Auch Sie und Ihre Leute, Herr Bubis ...", sie meinte "die Juden". Da rief Bubis: "Was heißt ’Sie‘, ich bin ebenso ein Deutscher wie Sie!" Ich sagte zu ihm: "Ignatz, mein Bruder, dieser Krieg ist verloren." Bevor er das Zeitliche segnete, hat er es traurig zugeben müssen.

Denken Sie beim Wort Deutschland immer zuerst an den Holocaust?

Kishon: Schon nicht. Obwohl der Holocaust tatsächlich der barbarischste Raubmord der Geschichte war. Erinnern Sie sich an "Schindlers Liste"?

Ja.

Kishon: So war es. Jede Sekunde des Filmes ist mein Schicksal.

Wie konnte es in Europa zu so etwas kommen?

Kishon: Wenn Sie dem Menschen die Furcht vor Strafe – durch Gott, die Kirche oder die Kriminalpolizei – nehmen, dann wird er ein ungezügeltes Ungeheuer. Er wird mit Wonne rauben, foltern, vergewaltigen und töten.

Wie wirkt es auf Sie, wenn der deutsche Außenminister, um die Nato-Intervention im Kosovo im vorvergangenen Jahr zu rechtfertigen, die Vertreibung der Albaner mit Auschwitz vergleicht ?

Kishon: Es ist ein sehr frecher Vergleich. Das war unser Wunschtraum, daß die Nazis uns, die Juden, einmal auf Karren setzen würden und über die Grenze schickten. Wir träumten davon.

In der innenpolitischen Auseinandersetzung scheut man vor keiner Geschmacklosigkeit und keiner noch so bodenlosen Verleumdung zurück. Der Holocaust wird in Deutschland längst als Mittel im politischen Kampf mißbraucht.

Kishon: Der Machtkampf in der Demokratie hat leider niedere Nebenerscheinungen. Wie zum Beispiel den gescheiterten Versuch, Ihre Zeitung zu verbieten oder Ihnen das Konto zu kündigen.

Die Innenminister werfen uns vor, wir trügen zur "Erosion der Abgrenzung zwischen Demokraten und Extremisten" bei.

Kishon: Ich bin ein Gast in Ihrem Land und will mich nicht so weit in die deutschen Angelegenheiten einmischen. Aber denken Sie einmal an die Roten Khmer in Kambodscha. Die haben zwei Millionen Menschen umgebracht. Man hat die Bürger dort mit dem Hammer erschlagen, um Munition zu sparen. Aber gegen Clinton hat man wegen Monica Lewinsky viel mehr Artikel geschrieben. Auch gegen den Schah wurde wie wild demonstriert, aber gegen Khomeni nie. Ich kann Ihnen ebenfalls keine rationale Erklärung dafür geben, warum im Westen die Presse, die Jurys, die Komitees allesamt linksgerichtet sind. Ich habe nichts gegen Linksgerichtete, eher schon gegen Rechtsgerichtete, aber das verstehe ich nicht. Als ich 1949 aus Ungarn nach Israel geflüchtet war und laut gesagt habe, der Stalinismus sei ein schreckliches System, wurde ich von diesem Moment an boykottiert. Diese Meinung galt als rechts und reaktionär. Ich frage mich seither, wie ist es nur möglich, daß fast alle europäischen Intellektuellen Anhänger der stalinistischen oder maoistischen Systeme waren? Man bleibt allein. Auch Ihre Zeitung. Sie sind "rechtsgerichtet", weil Sie nicht linksgerichtet sind. Ihr niveauvolles Blatt ist nicht radikal, es ist nicht einmal, was man "rechts" nennt, sonst hätte ich Ihnen kein Interview gegeben.

"Sorry, ich liebe mein Land Israel und mein Volk"

Weist dieser Extremismus der Mitte gegen die Flügel nicht darauf hin, daß für die Vertreter der Mitte die Demokratie völlig verkommen ist, wenn bei jeder Gelegenheit mit Kraftwörtern wie "Nazi" um sich geworfen werden kann?

Kishon: Die Leute wissen leider nicht, was die Begriffe bedeuten. Es gibt Mitte, Rechts und Links, meinetwegen Rechtsextreme, Mörder, Teufel. Aber Nazi ist für mich jemand, dessen einziger Lebensinhalt das Erniedrigen, sadistische Foltern, Ausrauben und Verbrennen jüdischer Bürger ist. Ohne diese profitable Besessenheit ist man alles, aber kein Nazi. Die Demokratie muß es angemessen behandeln, auch wenn jemand weniger liberal, sondern mehr nationaler Auffassung ist. Ich bin auch ein sogenannter Patriot, ich liebe mein Land Israel und liebe mein Volk.

Wie würden Sie Ihre politische Position nennen?

Kishon: Auf englisch würde man wohl "common sense" sagen. Ich bin einfach normal.

Würden Sie sich als konservativ bezeichnen?

Kishon: Ich habe zwei Bücher gegen diesen Bluff, die moderne Kunst, geschrieben. Bin ich jetzt konservativ?

Sie sind diplomierter Bildhauer der Kunstakademie in Budapest.

Kishon: Eben. Und ich verstehe nicht, warum jeder Linksgerichtete für die lächerliche moderne Kunst und gegen das freie demokratische Israel sein muß!

Sie schreiben in hebräisch, empfinden sich aber doch als Mitteleuropäer?

Kishon: Ja, ich bin ein mitteleuropäischer Schriftsteller, der in der Sprache der Bibel schreibt.

Inzwischen haben Sie einen Zweitwohnsitz in der Schweiz. Können Sie sich vorstellen, eines Tages wieder ganz nach Europa zurückzukehren?

Kishon: Als ich mein Haus in Appenzell kaufte, fragte mich die freundliche Berner Regierung, ob ich nicht Schweizer Staatsbürger werden wolle. Ich antwortete: "Lieber Herr Minister, ich möchte nicht noch einmal Jude in Europa sein."

 

Ephraim Kishon wurde 1924 in Budapest geboren. Da er als Jude nicht studieren darf, macht er eine Goldschmiedelehre. 1944 kommt er ins NS-Konzentrationslager Jolsva in der Slowakei und entkommt dem Tode nur knapp. Nach dem Krieg studiert er in Ungarn Bildhauerei und beginnt eine erfolgreiche Karriere als Schriftsteller, Dramatiker und Journalist. Dennoch flieht er um in Israel zu leben, dem "einzigen Land, in dem ich nicht Jude bin". Seine Bücher, in einer Auflage von über 42 Millionen Exemplaren, bringen in 37 Sprachen die Menschen auf der ganzen Welt zum lachen. Daß ihm selbst nicht immer danach zumute war, hat er in der Autobiographie "Nichts zu lachen" dargestellt. Garantiert humorig dagegen, sein neuestes Buch: "Wer’s glaubt, wird selig."

Ephraim Kishon: Wer’s glaubt, wird selig. Politische Satiren. Langen Müller, München 2000, 240 Seiten, geb. 34 Mark

 

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