© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Das Ende der eigenständigen Armee droht
Schweiz: Offizielle Nato-Partnerschaft geplant / Ausländisches Militär auf Schweizer Truppenübungsplätzen
Ulrich Schlüer

Die Militärgesetzrevision, über die am 10. Juni 2001 in der Schweiz abzustimmen ist, besteht aus zwei Teilen: Die Vorlage A will Schweizer Truppenübungsplätze im Rahmen der angestrebten "Interoperabilität" sämtlichen Nato-Armeen öffnen.

Diese Offerte hat keineswegs bloß unverbindlichen Gehalt. Sie erfolgt als Teil der beabsichtigten umfassenden Ausbildungs-Kooperation zwischen der Schweiz und der Nato. Es geht dabei auch um die Schaffung gemeinsamer Kommandostrukturen. Das bedeutet angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse: Es geht faktisch um die Unterstellung der Schweizer Armee unter Nato-Kommando.

Die Nato äußert ihre diesbezüglichen Absichten in aller Offenheit. Nachzulesen sind sie in einem kürzlich von Hans Eberhart und Alfred A. Stahel im NZZ-Verlag herausgegebenen Buch mit dem Titel "Schweizerische Militärpolitik der Zukunft". In diesem Buch werden weitgehend offizielle Standpunkte zur Armee von morgen vermittelt – Standpunkte der Schweiz und Standpunkte der Nato. Einer der Autoren ist Nato-General Dieter Stöckmann. Der frühere Nato-Oberbefehlshaber der "Alliierten Streitkräfte Europa Mitte" (CINCENT) formuliert in seinem Beitrag die Eckpfeiler der von der Nato vorgegebenen Kooperation bezüglich militärischer Ausbildung.

Der 59jährige Bundeswehrgeneral Stöckmann läßt keinen Zweifel offen: Diese Nato-Vorgaben gelten auch für Nato-Nichtmitglieder, soweit sie sich – wie die Schweiz – am Nato-Programm "Partnership for Peace" beteiligen. Kooperation bedeutet für die Nato – so ist Stöckmanns Ausführungen zu entnehmen – nicht einfach freiwilliges, gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher Partner, die ähnliche Sicherheitsbedürfnisse haben. Kooperation bedeutet im Nato-Jargon Unterstellung unter Nato-Doktrin. Die Nato leitet daraus das Recht ab, die Kooperationsfortschritte ihrer Partner zu überwachen. Im Nato-Originalwortlaut wird dieser Nato-Anspruch gegenüber den Partnern wie folgt formuliert: "It requires Nato to establish a formal assessment and feedback on how well they are doing in becoming interoperable with Nato."

Das heißt nichts anderes, als daß sich Nato-Instanzen herausnehmen, die Kooperationsfortschritte ihrer Partner zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu inspizieren. Mit Kooperation unter Gleichberechtigten hat das herzlich wenig, mit Unterstellung und Unterwerfung um so mehr zu tun.

Damit – hält der Nato-General weiter fest – Kooperation im Ernstfall auch zum Tragen komme, müsse bereits in Friedenszeiten maximale Einordnung und Unterordnung angestrebt und durchgesetzt werden. Gemeinsame militärische Ausbildung aller Nato-Partner werde damit unabdingbar. Zu diesem Zweck, zur gemeinsamen Ausbildung, zur von der Nato vorgegebenen und regelmäßig inspizierten Schulung der Armee-Einheiten verschiedener Nato-Staaten hat die Schweiz ihre Waffenplätze den Nato-Truppen zu öffnen.

Eine Alternative existiert, denn Tatsache ist: Die Schweizer Armee hat bereits in der Vergangenheit in bestimmtem Ausmaß ausländische Trainingsplätze genutzt. Insbesondere die Schweizer Luftwaffe absolviert ihr Überschalltraining seit Jahren im Ausland. Dies jeweils auf der Grundlage von bilateral abgeschlossenen Staatsverträgen mit jenen Staaten, die gegen Bezahlung Infrastrukturanlagen für solches Training zur Verfügung stellen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solche Trainingsabsprachen sind sinnvoll.

Bei der Öffnung schweizerischer Waffenplätze für Nato-Truppen mit dem Ziel, die militärische Ausbildung im gesamten Nato-Raum unter Nato-Kommando und unter Einbezug der Schweizer Armee zu vereinheitlichen, ist eine ganz andere Dimension militärischer "Zusammenarbeit" anvisiert. Diese "Zusammenarbeit" wird die Unterstellung der Schweizer Armee unter Nato-Kommando und damit das Ende eigenständiger Landesverteidigung bedeuten. Was auch das Ende unserer Neutralität zur Folge hätte.

Die am 10. Juni zur Abstimmung gelangende Militärgesetzrevision ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie würde, wenn sie der Souverän nicht verwirft, eine Weichenstellung mit tiefgreifenden Konsequenzen bewirken. Die "neue Armee" hätte mit der bisherigen Widerstandsarmee der Schweiz nichts mehr zu tun.

 

Ulrich Schlüer ist Mitglied der Schweizer Volkspartei (SVP) und Nationalrat für den Wahlkreis Zürich. Er ist Chefredakteur der in Flaach (Kanton Zürich) erscheinenden Wochenzeitung "Schweizerzeit".


 
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