© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
"Statt gegen Atomkraft nun gegen Rechts"
Interview: Der ehemalige ÖDP-Chef Hans-Joachim Ritter über die ideologischen Probleme des Atomausstiegs
Volker Kempf

Herr Ritter, zunächst würde mich interessieren: Welche Gründe sprechen heute gegen die Nutzung der Atomenergie, gerade mit Blick auf die Entsorgung von Atommüll?

Ritter: Es gibt eine Menge von Gründen, die gegen die Nutzung der Atomenergie sprechen: Es sind vor allem die Langzeitgefahren, die von radioaktiven Brennelementen ausgehen. Es sind die ungelösten Entsorgungsfragen und nicht zuletzt die Unwirtschaftlichkeit, die Ineffizienz, gegenüber erneuerbaren Energien.

Kurzfristig gesehen gilt aber, was den raschen Atomausstieg anbelangt, daß die Atomanlagen nun einmal stehen, so daß es ökonomisch doch sinnvoll ist, die Anlagen möglichst lange laufen zu lassen, wie es im Grunde die rot-grüne Regierung jetzt praktiziert.

Ritter: Ich war noch nie für einen sofortigen Ausstieg, weil man natürlich nicht von jetzt auf nachher ohne Alternativen die Atomkraftwerke abschalten kann. Auch die Rechtslage ist dabei im Hinblick auf gültige Verträge zu beachten, wenn der Staat nicht gigantische Schadensersatzforderungen begleichen soll. Es bedarf einer Übergangszeit, um stufenweise, mit den alten Anlagen beginnend, abzuschalten. Doch in einem Zeitraum von 10 Jahren muß das Thema zu bewältigen sein. Geht man beispielsweise vom Jahr 2000 als Bezugsjahr aus, müßte meines Erachtens der Ausstieg bis 2010 erledigt sein. Doch der im Atomkonsens vereinbarte Zeitraum ist viel zu lange bemessen. Das ist ein Freibrief für die Atomlobby, und weiterhin bleiben die Gefahren für die Bevölkerung.

Sie suchen sozusagen die goldene Mitte?

Ritter: Ja. Der Atomausstieg muß so schnell wie möglich durchgeführt werden.

Ihre Atomnutzungskritik speist sich vor allem aus ökologischen Gründen, während die Kritik, die man aus dem eher politisch linken Lager hört, immer wieder auch gegen die Schaffung eines autoritären Atomstaates gerichtet ist. Unterscheidet letztere sich in diesem Punkt von einer eher konservativ motivierten Atomkraftkritik?

Ritter: Sicherlich verfügt ein Staat, der ausschließlich auf die Atomwirtschaft setzt, über eine monopolistische Wirtschaft. Ich bin gegen Monopole, auch in der Energiewirtschaft, da ich ein überzeugter Anhänger von Marktwirtschaft bin.

Es ist bei konservativen Ökologen wie Ihnen aber nicht primär die Angst, daß ein autoritärer Atomstaat entsteht, wie sie Personen in politisch linken Kreisen antrieb und antreibt, auch militant gegen den Rechtsstaat vorzugehen.

Ritter: Dieses Argument wurde in den siebziger und achtziger Jahren von linken Kreisen massiv vorgetragen. Heute hört man es weniger, weil der Einstieg in die erneuerbaren Energien bereits fortgeschritten ist – zwar nicht so weit, wie es wünschenswert wäre, aber doch so, daß man nicht sagen kann, die Atomwirtschaft hätte alleine das Sagen.

Dann ist Ihre atomkritische Haltung eines eher Konservativen von der eines eher linken Demonstranten in Gorleben nicht mehr sehr zu unterscheiden.

Ritter: Ich grenze mich in jedem Falle von Gewaltaktionen – wie jetzt vor wenigen Tagen, als Schienen zerstört wurden – ganz klar ab. Da bin ich strikt dagegen. Ich solidarisiere mich aber ausdrücklich mit denjenigen, die aufrichtigen Protest, und zwar friedlichen Protest gegen die rot-grüne Politik üben, weil Bundesumweltminister Jürgen Trittin sich vor einigen Jahren noch als Gegner der Atomwirtschaft profilierte, ihr aber jetzt über Jahre hinaus das Feld ebnet. Da sehe ich bei Herrn Trittin einen erheblichen Widerspruch in seinem opportunistischen Verhalten.

Die Frustration, die Atomkraftgegner angesichts von Kanzler Schröder und Umweltminister Trittin verspüren, teilen Sie demnach.

Ritter: Die Atomkraftgegner fühlen sich politisch allein gelassen und von den Grünen, die ihre Wurzeln in der Anti-AKW-Bewegung haben, nicht mehr vertreten.

Auch konservative Atomkraftgegner setzten bezüglich eines Atomausstiegs Hoffnungen in eine rot-grüne Regierung, einfach weil seitens der Unionsparteien und der FDP nicht viel zu erwarten war.

Ritter: Ich denke schon, daß da aktive Leute sehr enttäuscht sind, weil sie Hoffnungen in eine neue Regierung gesetzt haben. Viele hofften auf den Einstieg in eine atomfreie Welt, also ohne Nutzung der Atomenergie.

Gibt es Frieden zwischen linken Atomkraftgegnern, die in der Antiatombewegung dominieren, und konservativen Atomkritikern? Oder gibt es auch negative Berührungen?

Ritter: Abgesehen von gewissen Argumentationsunterschieden, wie z.B., daß Linke vor allem Kritik üben am Kapitalismus, der sich hier als Atomstaat präsentiert, gibt es mit Sicherheit Verbindendes im Hinblick auf die Gefahren und die Besorgnis der Bevölkerung.

Mich würde interessieren, inwiefern Sie als ÖDP-Bundesvorsitzender in den Jahren 1989 bis 1993 und seither als Stiftungsvorsitzender einen Überblick haben, ob es Abgrenzungskonflikte gab, so daß linksautonome Kräfte konservative Ökologen stark angingen, also aus dem Themenfeld Umweltschutz zu vertreiben versuchten. Das ist schließlich der Fall gewesen, und wie sieht das heute aus?

Ritter: Ich denke, es gibt eine Menge Berührungspunkte zwischen linken und konservativen Atomkraftgegnern. Es war schon immer so, daß beispielweise in Gorleben, Wackersdorf oder wo auch immer eine Bandbreite von Demonstranten quer aus dem ganzen Parteienspektrum kam, wobei die meisten Menschen parteipolitisch nicht gebunden sind. Die demonstrieren aus Angst vor möglichen gesundheitlichen Schäden, daß ihre Heimat verstrahlt oder ihre Region wie Gorleben oder Ahaus von der Politik abgeschrieben wird. Diese Sorge hat mit Ideologie nichts zu tun. Wenn es richtig ist, daß sich die Politik am Verbraucher, am Bürger, orientieren muß, dann muß dies auch in Sachen Atompolitik gelten. Legt man diese Meßlatte an, steht in Sachen Atomausstieg die Bundesregierung, vertreten durch Bundesumweltminister Trittin, nicht gut da. Linke Aktionisten, die zuvor ein Feld in der Atompolitik fanden, orientieren sich heute mehr an Themenbereichen wie dem "Kampf gegen Rechts". Vielen Linken geht es dabei nicht nur um ein Engagement gegen rechte Gewalt, sondern sie nehmen dies zum Anlaß, um gegen alles zu polemisieren, was auch nur in Nuancen weiter rechts steht als sie selbst, und somit gegen alles Konservative.

Spiegelt sich das auch in der Ökologiebewegung wieder, so daß etwa linke Atomkraftgegner jetzt stärker gegen konservative Ökologen vorgehen?

Ritter: Das war vor einigen Jahren viel stärker. Aber das liegt daran, daß die ökologische Bewegung insgesamt geschwächt ist. Das Thema Ökologie spielt heute leider nicht mehr so die Rolle wie noch vor einigen Jahren.

Das heißt, die Umweltbewegung an sich ist schwächer geworden, und auch die internen Konflikte haben dadurch an Schärfe verloren. Vor einigen Jahren war es also durchaus ein Thema, daß es Rangeleien gab, heute nicht mehr so?

Ritter: Es gab aufgrund von Kampagnen, welche die Antifa bundesweit initiiert hat, beispielsweise Zerstörungen von Infostände der ÖDP. Heute ist es um diese Gruppen in der Antiatombewegung stiller geworden, so daß solche Übergriffe nicht mehr so zu beobachten sind.

 

Hans-Joachim Ritter ist Vorsitzender der Stiftung für Ökologie und Demokratie e.V., Bonn. Er war von 1989 von 1993 Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) als Nachfolger von Herbert Gruhl

 

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