© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Träume, stärker als Wirklichkeiten
Ernst Jüngers Theater-Fragment "Prinzessin Tarakanow" aus dem Nachlaß ediert
Tobias Wimbauer

Endlich, endlich kommt einmal",schrieb der Barock-Dichter Johann Christian Günther, ein von Ernst Jünger gern zitierter Vers. Gab es in den vergangenen zwei Jahren Neuausgaben bereits bekannter Texte Jüngers, etwa die ersten beiden Supplement-Bände der "Sämtlichen Werke" bei Klett-Cotta, so ist nun ein bislang gänzlich unbekanntes literarisches Werk Ernst Jüngers zu annoncieren.

Die "Prinzessin Tarakanow" (1953) ist das wohl einzige Theaterstück, das Ernst Jünger schrieb. Es liegt nun, herausgegeben von Liselotte Jünger, in einem großformatigen, bibliophilen Broschurband vor, der das Faksimile der Handschrift mitsamt dem transkribierten Text enthält.

Erschienen ist der Band in St.Gallen in der Erker-Galerie. Mit Erker und dem Galeristen Franz Larese, der im vergangenen Jahr verstorben ist, war Jünger seit langem verbunden. Larese hatte wenige Wochen vor dessen Tod die Veröffentlichung mit Ernst Jünger in Wilflingen vereinbart. Verschiedene Werke der Brüder Jünger wurden zuerst in St. Gallen in bibliophiler Ausstattung veröffentlicht, so "Gedanken" (1988) mit Lithographien von Hans Hartung, "Rund um die Uhr" (1992), ein Vorabdruck aus dem Tagebuch "Siebzig verweht III" oder die von Ernst Jünger besprochene CD "Nachtrag zu ’Autor und Autorschaft‘" (1994) und der "Notizblock zu Tausendundeine Nacht" (1994).

Der Stoff der "Prinzessin Tarakanow" lehnt sich an eine historische Begebenheit aus der russischen Geschichte an, eine letztlich unglücklich scheiternde Verschwörung, die sich gegen die Zarin Katharina die Große richtete.

Elisabeth Alexandra Tarakanowa (gelegentlich auch Frl. Frank oder Mme de Trémouille genannt) lebte von 1745 bis 1775. Sie gab vor, die uneheliche Tochter der Zarin Elizabeth und des Grafen Alexej Razumowsky zu sein. Trotz ihrer Behauptung, in Sankt Petersburg aufgewachsen zu sein, stammte sie wahrscheinlich noch nicht einmal aus Rußland, sondern aus Polen (auch Jünger weist auf polnische Verwandtschaft hin), ihre Herkunft und ihr tatsächlicher Name sind bis heute unbekannt geblieben. Gegen eine noble Abstammung spricht eigentlich schon ihr Name, denn Tarakanow bedeutet auf deutsch: "Küchenschabe", wohl kaum ein Adelsgeschlecht. 1774 war die Tarakanowa in die Rebellionen verwickelt, die das russische Imperium erschütterten. Von polnischen Emigranten unterstützt und überzeugt, daß sie die Tochter der Kaiserin und überdies die Schwester des Aufständischen Pugatschew sei, erhob sie Anspruch auf den russischen Thron. Zarin Katharina entsandte alarmiert Alexej G. Orloff nach Italien. Admiral Orloff war maßgeblich an der Ermordung des Zaren Peter III. beteiligt und ebnete damit den Weg zur Herrschaft Katharinas. Orloff suchte die Tarakanowa in Livorno auf, verführte sie und lockte sie mit einem Heiratsversprechen an Bord seines Schiffes. Dort angelangt, wurde sie festgenommen und nach Sankt Petersburg geschickt, wo sie kurz darauf im Gefängnis an Schwindsucht verstarb.

Der erste Akt spielt in Neapel (weshalb Jünger den Ort der Handlung von Livorno nach Neapel verlegt, bleibt offen). Es geht sehr ruhig zu, es waltet eine Atmosphäre der getragenen Heiterkeit und ein südliches Flair: "das sind die Stunden, in denen die Kindheit zurückkehrt, und auch die große Kindheit: das Paradies." Die Tarakanowa (bei Jünger nur Alexandra genannt) hält sich mit Michael, Dichter und Neffe des polnischen Fürsten Karl Radziwill (der sie aus Rußland entführt haben soll, wie in anderen Quellen zu lesen ist), in einem Terrassenzimmer oberhalb der Stadt auf. Es entspinnt sich ein Gespräch über die Vergänglichkeit des Augenblicks und die Leichtigkeit des südlichen Lebens: "Das ist bezaubernd, wenn man aus den Ländern des Nordens kommt. Ich hatte damals den Eindruck einer Oper, in der jeder, auch der einfachste Statist, der ärmste Bettler in Rollen auftrat, die ein großer Meister erdacht hatte." – "Das bringt eine Gleichheit hervor, wie man sie im Norden nicht kennt." Michael zur Prinzessin: "Aber warum wollen Sie denn Berge versetzen, Sie seltsames Kind?" Es sei ihre Aufgabe, andere glücklich zu machen und selbst glücklich zu sein. "Unser Unglück rührt daher, daß jeder kleine Edelmann dem König ins Handwerk pfuschen will. Die Souveränität wird in kleine Stücke zerbrochen, bald wird sie atomisiert werden. Das ist der Grund, aus dem man immer weniger glückliche Menschen und immer mehr Geschäftemacher sieht."

Es breiten sich Gerüchte aus in der Stadt, daß die Tarakanowa der vormaligen Zarin Tochter sei. Fürst Radziwill will sich ihrer für seine Händel bedienen. Die Tarakanowa ist eine "Schachfigur, als Zweite Königin" geworden. Sie solle aus der Verborgenheit heraustreten, das Land, auf dem Finsternis liegt, befreien von der Herrschaft der "Kinder der Nacht". Und sie soll den Unzufriedenen Hoffnung geben. "Sie erwarten die starke Mutter, die aus der dunklen Erde aufsteigt, und die sie liebend verehren wie ein Bild." Die Soldaten aus Orloffs Flotte, von dem man fehlgehend behauptet, er habe sich nun gegen Katharina gewandt, wollen im geheimen für sie wirken, bis sie selbst "stark genug zum Kämpfen sind" und der Kampf erfolgreich sein würde. Michael gesteht der Prinzessin seine Liebe, sie weicht zurück: "Ich habe das Wort gehört, aber es findet kein Echo in mir … an das Wort knüpfen sich ungeheuere Erwartungen." – "Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf (…) Ich werde warten und wieder anklopfen. Freundschaft darf immer hoffen, daß sie Liebe wird."

Der zweite Akt ist nicht abgeschlossen, er ist Fragment geblieben. Er spielt in Sankt Petersburg, am Hofe der Zarin. Man parliert über Mode und über die Umstände der Thronbesteigung Katharinas. "Wir erwarten vom Soldaten, daß er sein Leben hingibt, und daß ihn die Aussicht auf Verstümmelung nicht schreckt. Die Frauen kämpfen mit anderen Waffen und gehen andere Gefahren ein." Salmanoff rapportiert der Zarin die Lage im Lande – und hier, mitten im Satz, bricht das Manuskript ab.

Die Geschichte der Prinzessin Tarakanowa war gelegentlich schon Thema der Literatur und des Kinos. Im 19. Jahrhundert veröffentlichte der russische Romancier Grigorij Danilewskij eine Erzählung unter dem Titel "Prinzessin Tarakanowa". 1928 verfilmte der französische Regisseur Raymond Bernard die Geschichte ("Tarakanova"). Und knapp ein Jahr, nachdem Fedor Ozeps neuerliche Verfilmung des Stoffes in die Kinos gekommen war, veröffentlichte Reinhold Schneider 1939 die Erzählung "Elisabeth Tarakanow", die damals weite Verbreitung fand. Mehrere Auflagen erlebte auch der Roman "Die falsche Zarin. Prinzessin Elisabeth Tarakanowa. Rivalin Katharinas" von Alja Rachmanowa von 1954. Weitere Verfilmungen und auch Oper-Vertonungen sind weniger bekannt geworden. Von dem russischen Maler Konstantin Dmitrievich Flavitsky (1830–1866) stammt das beeindruckende Porträt der Prinzessin in der Zelle von 1864, das wir hier zeigen.

Gewiß wäre es schön gewesen – vielleicht in einem Anhang –, auch die gestrichenen Stellen mitzuteilen (die man mit etwas Übung in der Handschrift lesen kann) und jene Absätze, die Vorstufen zu anderen Texten Jüngers sind. Jedoch kommt die Konzentration auf den reinen Theatertext der Lesbarkeit und dem Fluß der Lektüre zugute.

Es sei ein Zeichen des Glückes, läßt Jünger den jungen Dichter Michael sagen, wenn die Stunden so dahineilen. Und, "daß Träume stärker als alle Wirklichkeiten sind. Die Geschichte ist eine Kette erfüllter Traumbilder. (…) Aber wir können nicht träumen, wie es uns beliebt".

 

Ernst Jünger: Prinzessin Tarakanow. Fragment. Hg. von Liselotte Jünger. Erker, St.Gallen, 85 Seiten, 80,40 Mark


 
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