© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Eine Flosse des Leviathan
Ein Sammelband zur Technikkritik der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger
Tobias Wimbauer

Düster ist die Einbandgestaltung des Sammelbandes "Titan Technik": eine Industrieanlage in Oliv und Schwarz. Neben dem Titelblatt ist eine Farbreproduktion des Gemäldes "Die Schachspieler" von A. Paul Weber einmontiert, Ernst und Friedrich Georg Jünger darstellend – ein guter Auftakt.

Im "Titan Technik" sind die Beiträge eines Symposions vereint, das anläßlich des 100. Geburtstages von Friedrich Georg Jünger 1998 in Heidelberg stattfand. Der Band ist gegliedert in drei Hauptteile. Zwei wiederentdeckte Texte von Ernst ("Die Technik und ihre Zuordnung", 1933) und Friedrich Georg Jünger ("Therese Neumann", 1927), kenntnisreich eingeleitet und kommentiert von Ulrich Fröschle, sowie Bibliographien schließen sich an.

Im ersten Abschnitt werden "Kulturkritik und Fortschrittsbewußtsein – "Grundlagen und Voraussetzungen der Jüngerschen Technikkritik" erörtert. Die Technikkritik vor und nach dem Ersten Weltkrieg wird von Gilbert Merlio untersucht. Zu unterscheiden ist zwischen einer konservativen (respektive rechten) Kritik, welche die Modernisierung und deren Auswirkung auf die Zivilisation als Prozeß in Frage stellt, und einer linken Kritik, die auf die Gesellschaft zielt. Daß der Skeptizismus von Rechts letztlich recht behielt, versteht sich von selbst. Bei allem Geschichtspessimismus gab es eine "Dennoch-Hoffnung" (zum Beispiel bei Ludwig Klages eine Art heroischer Pessimismus), der den Weg zu Spengler wies, gegen die "Verfluchte Kultur" (ein Titel von Theodor Lessing).

Der Mensch ist zu einem besonderen Raubtier geworden, so Spengler, der homo faber ist der "Erzeuger seiner Umwelt" (Merlio); die in seiner Hybris erschaffene Welt wendet sich gegen ihn: "Der Herr der Welt wird zum Sklaven der Maschine." Letztlich wird er, worauf Caroline Mary in ihrem Beitrag hinweist, nicht nur von seiner eigenen Erfindung umgebracht (E. Jünger: "Wer sich der Maschine entgegenstellt, über den wird sie hinwegrasen wie der Wagen der Vernichtung"), sondern läßt sich sogar gerne von ihr umbringen. Der Kulturpessimismus weicht einem Machtoptimismus, der letzte Herrscher über die Technik ist der Ingenieur. Oder in Ernst Jüngers Worten: der Arbeiter, welcher den technisierten Krieger und den Ingenieur – gleichsam der Soldat an der Maschine – einschließt; in der ersten Fassung von "Das abenteuerliche Herz" ist von der Technik als der Sprache des Kriegers die Rede. Jünger überwand den Kulturpessimismus, dem Spengler noch verhaftet war, und propagierte einen heroischen Optimismus.

Ist der "Arbeiter" also eine heroische Bejahung der Technik, so kann Friedrich Georg Jüngers "Perfektion der Technik" als das Gegenstück zum "Arbeiter" verstanden werden: die Schattenseiten der technischen Ordnung treten hervor. Friedrich Gaede zeigt wichtige Einflüsse Leibniz‘ auf die Werke Ernst Jüngers auf, Thomas Löffler untersucht E. Jüngers "Organologische Verwindung der Technik", rekurrierend auf die Biotheorie von Hans Driesch, bei dem Jünger als Student in Leipzig hörte. Stefan Buck gibt einen Überblick der "Untergangsvisionen und technischen Gewalt" in der Jahrhundertwende-Literatur, Caroline Mary untersucht das Technikproblem in der französischen Literatur jener Zeit.

Der zweite Teil widmet sich dem Thema "Die janusköpfige Technik: Bejahung und Kritik des Titanismus im essayistischen Werk Ernst und Friedrich Georg Jüngers". Rolf Peter Sieferle bietet eine interessante Unterscheidung dreier verschiedener Technikkonzepte: Die Technik als neutrales Mittel, dem Menschen untertan; die Technik als dämonisches Werk, das sich autonom entwickele und sich den Menschen als Knecht unterordne; und schließlich die politisierte Technik. Thomas Pekars Ausführungen gelten der "Organischen Konstruktion" (wohl eine Wortschöpfung Ernst Jüngers), Jüngers Idee einer Symbiose von Mensch und Maschine (bemannte Torpedos, Kamikaze-Flieger). Pekar schildert, daß die Urerfahrung der Organischen Konstruktion Jüngers Erleben der Materialschlachten im Ersten Weltkrieg war, die sich über die Totale Mobilmachung bis zum Arbeiter theoretisch "verfeinerte".

Ulrich Fröschle, ausgewiesener Friedrich Georg Jünger-Experte, widmet sich dieser Kehrseite des "Arbeiters", ausgehend von der Technikkritik Friedrich Georg Jüngers. Zunächst noch bejahte F.G. Jünger die Technik, so im "Aufmarsch des Nationalismus" (1926), in ihrer ungeheuren Dynamik, deren Schicksalhaftigkeit niemand sich entziehen könne. Mit den Arbeiten an den "Illusionen der Technik" (später "Perfektion der Technik") wich die Bejahung der Skepsis, bis hin zur "Öko-Klage" (Mohler). Die Technik läßt keine Phrase zu, die Maschine ist in sich total, sie ist ein "unwiderlegbarer Gegenstand" (E. Jünger); stellt sich nur die Frage, ob man sie in ihrer Totalität beläßt oder ob sie nutzbar gemacht wird, dann bleibt sie ein "Werkzeug des menschlichen Willens" (F.G. Jünger) und ist ihm dienstbar. Ernst Jünger im "Arbeiter": "Die Technik ist die Art und Weise, in der die Gestalt des Arbeiters die Welt mobilisiert." Ernst Jünger bewegte sich in den dreißiger Jahren immer mehr auf die Position seines Bruders zu, die einer kultur-konservativen Technikkritik.

Klaus Gauger stellt die "Perfektion der Technik" vor. Zu den wichtigsten "Illusionen der Technik" gehört, daß die Technik dem Menschen Arbeit abnehme und daß der Mensch nicht nur Zeit und Muße gewönne, sondern auch Reichtum erwerbe. Der Mensch gerät mehr und mehr in Abhängigkeit von der Maschinenwelt, selbst die Freizeit wird mittels der Technik ausgefüllt, woraus der moderne horror vacui resultiert: "Die Leere ist ein Bestandteil der technischen Welt" (Gauger): Es folgt daraus die Bürokratisierung und Ökonomisierung des Privaten. Der durchorganisierte Mensch steht im Dienst der Technik. Endziel der Technik ist der planetarische Raubbau in der Welt: "Nicht der Anfang, sondern das Ende trägt die Last" (F.G. Jünger).

Jacqueline Bel widmet sich den Prognosen in der "Perfektion der Technik". Im "Vorgefühl der Katastrophe" (Bel) wirft Jünger die Frage auf, was vom Menschen bleibe, wenn ihn die Technik eines Tages ersetzen könne, woraufhin ihre Perfektion ja zielt. "Die Perfektion der Technik ist Jüngers Traum, Jüngers Alptraum von einer versöhnten Gesellschaft".

Der dritte Abschnitt handelt von "Sprache, Mensch und Technik im poetischen Kontext". Danièle Beltran-Vidal untersucht die "Überlegungen der Brüder Jünger zum Wesen und zur Aufgabe der Sprache". Für die Brüder Jünger hatte die Sprache stets eine besondere Bedeutung, die über ihren Mitteilungscharakter hinausgeht. Nach der Rückkehr aus dem Krieg hatten die "Worte ihren Sinn geändert". 1930 war für Ernst Jünger die Sprache ein Organ der Not und des Überflusses. In die Gesellschaft des Friedens zurückgekehrt, fand man die alte – oder eine neue – Sprache kaum. Die Sprache ist "das in der Sprache Verwahrte, das Totengut und Erbe, welches uns überliefert ist" (F. G. Jünger); so ist die Sprache stets mehr als nur Handwerkzeug des Schreibenden, sie zeigt zugleich den Menschen an. Und: "Das Schweigen reicht tiefer als das Wort" (E. Jünger, "Typus – Name – Gestalt", 1951).

François Poncet schreibt über das "Vexierbild der ’Organischen Konstruktion‘". In Jüngers "Gläsernen Bienen" zeigt sich die Organische Konstruktion als "Vorweisung" und "Scheinbild" – kurzum: als eine Illusion der Technik. Bereits im "Arbeiter" hatte Jünger auf die wirkliche Unvereinbarkeit von Maschine und Mensch verwiesen. Harro Segeberg deutet die "Gläsernen Bienen als Frage nach der Technik", Helmut Mottel führt die Konzepte der "Technischen Paradiese" bei Jünger aus.

Olaf Schröter erörtert den Titanenmythos bei den Brüdern Jünger, Bernhard Gajek untersucht Ernst Jüngers Essay "Philemon und Baucis", in dem Jünger den "Tod in der mythischen und in der technischen Welt" darstellt.

Ein Mangel des Bandes ist der uneinheitliche Fußnotenapparat, der Leser muß sich von Beitrag zu Beitrag auf andere Standards der Quellennachweise und der Zitierung einstellen. Ebenso fragwürdig ist der Umstand, daß es jedem Autor selbst überlassen war, welche Rechtschreibung er verwende. Daß zum Teil selbst in Zitaten Jüngers die neue Rechtschreibung verwendet wurde, grenzt an Vergewaltigung des Textes. Bedenkt man, daß Ernst Jünger sich gegen die Schriftverhunzung gewandt hatte, so ist dies mehr als nur ein "Ausweis der wissenschaftlichen Distance".

Im vergangenen Jahr erschienen zwei Dissertationen, die in dasselbe Themenfeld gehören wie "Titan Technik": "Technik, Wirtschaft, Mythos. F. G. Jünger nachdenken" von Fred Slanitz und von Ralf Heyer: "‘Die Maschine ist kein glücksspendender Gott‘, Fortschrittsskeptizismus und ökologische Visionen im Werk F.G. Jüngers".

Es ist bemerkenswert, daß gleich drei Bände in rascher zeitlicher Folge erscheinen, die sich mit Friedrich Georg Jüngers Technikkritik auseinandersetzen. In einer Zeit, in der die Grünen ihren Pazifismus abgelegt haben, erinnert man sich wieder des rechten Vordenkers der Ökologiebewegung. Zwar werden sich die Ökos auch weiterhin einem "Aufmarsch des Nationalismus" (F.G. Jünger) verweigern, aber es ist zu begrüßen, daß man sich der herausragenden Vordenker der Technikkritik des 20. Jahrhunderts wieder erinnert. Das ist noch lange keine Tendenzwende – das wäre auch zu schön, um wahr zu sein –, vielmehr hat die Wissenschaft endlich Friedrich Georg Jünger für sich "entdeckt". Tobias Wimbauer

 

Friedrich Strack (Hg.): Titan Technik. Ernst und Friedrich Georg Jünger über das technische Zeitalter. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, 312 Seiten, 78 Mark


 
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