© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Der in die Bestseller beißt
Literaturkomiker Wolfgang Nitschke geht bei Büchern ran wie Blücher
Jutta Winckler

Über Altkanzler Schmidts neustes Opus "Auf der Suche nach der öffentlichen Moral" geht das Fallbeil nieder: "Hier liegt das langweiligste Buch seit Erfindung der Höhlenmalerei vor. Zitieren wir etwas. Und wenn Sie dann glauben, wegschlummern zu müssen, dann können Sie ja vorher den Wecker stellen." Härter trifft es den bekennend bisexuellen WDR-Nachtunterhalter Jürgen Domian und sein "Jenseits der Scham", das er gemeinsam mit Hella von Sinnen, der Ulk-Tribade vom Dienst ("Scheels Tochter liebt meine Pfunde") verbrach: "Seit Äonen ein ringsum ekliger und von oben bis hinten bescheuerter Blödmann, ein Nerv-, Pein- und sagenhafter Sülzsack. Kein Meiser aus Deutschland hat so einen Sprung in der Schüssel, daß er seinen täglichen Auswurf obendrein noch einem lesekundigen Publikum zumutete. Anders, ganz andersrum Jürgen Domian."

So trommelt kein Reich-Ranicki, auch kein Karasek, kein Kaiser und kein Raulff. So trommelt nur einer – Wolfgang Nitschke, der Bestsellerfresser. Dabei schaut der Zeitgenosse aus Köln eher harmlos aus. Er wohnt mitten unter uns, im rheinischen Sülz, Bürger unter Bürgern, doch Obacht! Der Mann ist ein Scharfrichter! Seine Kritikerworte fliegen wie vergiftete Pfeile, reissen Wunden wie DumDum-Geschosse, seine Sätze sind ein scharfes Schwert, seine Verdikte wie Axthiebe. Der Mann trennt mit einem Schlag ganze Gliedmaßen ab. Gegen Nitschke ist Reich-Ranicki ein Weichei, gegen Nitschke sind Schoeller, Drews und Busche, sind die Löffler, Hubert Winkels, Angela Gutzeit und Denis Schenk Bananenverkäufer, Kompromissetäter und Inkonsequenzler. Sie schleichen auf Samtpfoten um Neuerscheinungen. Sie lassen die Kirche im Dorf, sie schießen über kein Ziel hinaus, sie denken: leben und leben, schreiben und schreiben lassen.

Anders, ganz anders Nitschke. Seine Opfer sind prominent: Altpolitiker und ihre unsäglichen Erinnerungsschinken, TV-Figuren wie Fernsehpfarrer Fliege, öffentliche Damen wie Rita Süssmuth, der Dalai Lama, medial zu-Bekanntheit-Gebrachte aller Couleur. Sie alle würden gewiß sofort bereuen, auch nur eine Zeile abgefaßt zu haben, wenn sie vom Scherbengericht erführen, das der Bestsellerfresser aus Sülz über sie und ihr Mühen abhält. Nitsche analysiert nicht – er seziert und hat damit Erfolg. Dieser Tage erschien der zweite Band seiner gesammelten Sitzungen, denn seine Kritiken trägt er gelegentlich auf Kleinkunstbühnen der Republik vor. Das Publikum rennt in hellen Scharen hinzu, und bald hat ihn gewiß auch das TV entdeckt. Dann sieht man ihn in den dritten Programmen, obzwar er Erstklassiges bietet. Geheimtip Nitschke füllt die Kabarett-Katakomben mittlerer Großstädte, die ehemaligen Malerwerkstätten, die umfunktionierten Brotfabriken. Er macht mehr Spaß als die drei von der freitäglichen ZDF-Zankstelle für Dieselliteratur. Als milieugeschädigter Ex-Katholik hat einer wie Nitschke naturgemäß allerlei sozialisationsbedingte Seelentraumata abzuarbeiten. Da kommt ihm ein TV-Talkpfaffe wie Jürgen Fliege gerade recht. In die Kritik eines solchen Textes "geht man hinein wie in einen Gottesdienst" (Nitschke zitiert Goebbels). "Menschenflüsterer" titelt ein Werk des televisionären Gottesgelehrten. Nitschkes Halsgericht folgt unter der Überschrift "Der Fliegenschiß Gottes", und ein wahres Trommelfeuer von Verbalinjurien prasselt auf den Gottesmann nieder: "heillos sich durch die kaputte Weltgeschichte poppender Bonobo, ein Schwanzgesicht, ein tittengrabschender Klingelbeutel". Nitschke bekennt, er habe "lange gegrübelt, wie man den Mann beleidigen kann. Dann hab ich mir gedacht: Ach komm, zitieren reicht ja vielleicht auch. Manchmal überkommt mich eine urtiefe Sehnsucht nach Federn, heißem Teer und Fernsehpastören. Fliege, passen Sie gut auf sich auf!"

Was wunder, daß es bei solcher Verve schon mal vorkommt, daß dem Protagonisten vor Begeisterung über das Eigene die Gäule durchgehen. Dann begibt es sich, daß er coram publico ein Werk buchstäblich zerreißt, dessen Einband zerbeißt, den Buchblock zerfleddert und samt Lesebändchen und Seitenfetzen ambitioniert in die Menge schleudert. Frenetische Beifallstürme rauschen auf, wenn zur besten Sendezeit ein Scharping-Sampler, ein Band mit Ergüssen der Biedenkopf und Geißler unterm Beil stirbt. Oder ein anderer nichtswürdiger Promi-Bestseller, ein Hera-Lind-Schuber unter Machetenhieben seinen allenfalls in Spurenelementen vorhandenen Geist aufzugeben genötigt wird.

Der 44jährige haßt herrschaftsfreie Diskursseligkeit, proporzorientierte Gemütlichkeit und die kulturelle Korrektheit chaosscheuer Wegelagerer des Mittelpfades. Unser Mann liebt es jählings, hinterrücks, vom Gesäß durchs Auge mitten in die Brust. Apropos Brust: ein Andrew Morton schrieb ein Buch über Monica Lewinsky, jene kurvenreiche Praktikantin des vormaligen US-Präsidenten Clinton, die wie mittlerweile unzählige ihrer Artgenossen (Andy Warhol offenbarte uns diesen Grundzug der Moderne) "für eine Viertelstunde berühmt" sein durfte. Nitschke stürzt sich auf den traumhaften Kritikerplot: Unter "Blowin in the Wind" zieht er das schmierige Opus eines noch schmierigeren Typen zur Rechenschaft. "Morton, der sensible Biograph von Miss Monica Lewinsky, der schon seinerzeit bei der Königin der Herzen, Prinzessin Diana, seine schwitzigen Hedwig Courths-Mahler-Finger im Spiel hatte, griffelt über die blutjunge Miss Monica. Sein schnüffelnder Rüssel schwingt her und hin, und Wasser geilt ihm im Kinn."

Mistet hier nicht ein Herkules des Ressentiments die literarischen Ställe aus? Ficht hier nicht ein mit heiligem Wahnsinn Geschlagener für die Hebung der Sitten? Zumindest eine bessere Bücherwelt? Ja, Nitschke ist ein unverbesserlicher Schreibtischtäter, ein Anarchist, der mit Pistole und Pulverhorn der Skribentenrepublik mores lehrt. Ein Nitschke kommt völlig allein und ist dann zu keiner Mäßigung fähig: "Wenn man mir vorwirft, ich sei zu brutal zu den Autoren, dann kontere ich: Die haben doch angefangen mit dem Scheiß. Sollen die doch nicht so einen Bockmist schreiben!"

Der Verlegerschreck zerzaust nur Sachbücher; Belletristik aller Spielarten läßt er unangetastet, insofern er solch schöne Literatur gar nicht erst liest. Lyrik, Epigrammatisches, Aphorismen – "diese ganze Gedichtsdichterei", so seine eherne Überzeugung, "ließ sich durch bessere Ernährung oder rechtzeitige Einnahme geeigneter Abführmittel leicht verhindern". Versemacher sind arme Willis oder verklemmte Lillys, die "regelmäßig schön vögeln sollten, dann brauchten die keine laberigen Verse mehr zu kritzeln". Das gleiche gelte für die Abfasser von Dramen fürs Stadttheater: "Das geht auf keine Kuhhaut, was da von der Rampe auf uns Steuerzahler runterkommt. Da gibt es erst Ruhe, wenn der letzte Schauspieler an den Gedärmen des letzten Intendanten über der letzten Dramaturgin aufgehängt wurde, die sich soeben die Pulsadern öffnet." Verträgt sich solch harte Botschaft eigentlich mit der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen? Nitschke fragt sich derlei nicht.

Am liebsten versenkt der Terminator der "Edition Tiamat" Politikerbiographien. So einfach wie wirkungsvoll, indem er die Blüms, Genschers, Weizsäckers, Apels, Barzels, Kohls, Fischers sich gleichsam selbst erledigen läßt. Er zitiert sie gnadenlos vollständig und setzt sie so der Schadenfreude des Publikums aus. Das ist so komisch, das muß man sich kaufen, mit zwei, drei Flaschen Ahrweins, und im Kampfanzug lesen. Das kann nicht wiedergegeben werden, das muß man autoptisch erfahren. Das ist sinnlich, das ist genußreich, das ist sowas von rechtsgerichtet, von linksgerichtet, daß man darüber die Verfassungstreue verlieren könnte. Und den Glauben an das Wahre, Gute und Gottgewollte in Nachkriegsdeutschland.

"Ich bin ein Langsam-Leser, weil ich immer auf mögliche Stellen achten muß, die zitabel sein könnten." Das gilt uneingeschränkt für die Bekenntnisse des handfesten 78ers Joschka Fischer, eine Feder aus Frankfurt, der Goethestadt am Main, der in seinem "Mein langer Lauf zu mir selbst" für Kiepenheuer & Witsch die adidas-Hosen runterließ. Nitschke besieht sich Fischer: "Die ehemalige ranke, schlanke und gewitzte, spitze Straßen-töle hatte sich auf dem langen Marsch durch die hessische Landtagsküche in einen fertigen, verschwitzten, veritablen Volksmops verwandelt. Mittlerweile ist ihm die Rückkehr zur Form der deutschen Jugend gelungen: hart wie Windhunde, flink wie Leder und zäh wie Kruppstahl." Solcher Klang bringt freie Geister in gehobene Stimmung; er eignet sich, am gescheuerten Eichentisch, unter dem Gerstensaft zusprechenden Burschen, beim Kraftzug aus schäumendem Krug dem Auditorium laut tönend vorgelesen zu werden.

Seit 1998 ging der Zubeißer daran, Teile seiner Kritiken ins Programm eines humoristischen Dreigestirns einzubauen, das er gemeinsam mit den Humorvirtuosen Wilfried Schmickler und Heiner Kämmer zur Bühnereife ausbildete. Der gebürtige Bocholter zählt überdies zu den Gründungsvätern der sogenannten Stunksitzung zu Köln, die er allerdings aus Gründen verließ, die auf der Hand liegen: "Ich sah den alternativen Sitzungskarneval viel politischer. Das ging ziemlich schnell in Richtung Knetevermehrung, Laubaderei und Weichspülung. Ohne mich." Sein "3Gestirn" aber ist guter Hoffnung: im März 2001 steht die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises an, im "Mainzer Unterhaus" wird ihm und den Seinen der kabarettistische Ritterschlag erteilt werden. Unter anderem von Altorgler Hans-Dieter Hüsch, der als Gottvater des BRD-Politwitzes solcher Ehrung seinen niederrheinischen Segen kaum vorenthalten wird.

Doch auch als humoristisch Nobilitierter wird Wolfgang Nitschke weiterhin fortfahren, nach Strich und Faden Bücher zu besprechen, wie es seine Art ist. Freilich sucht er nach neuen Wegen: "Das Schreiben alleine ist mir auf Dauer zu langweilig. Vielleicht knöpfe ich mir auch mal Zeitschriften und Zeitungen vor. Kann gut sein," spricht’s, grinst diabolisch und fährt fort, "kann gut sein, daß dann auch die JUNGE FREIHEIT ordentlich drankommt." Wir bitten darum, verehrter Meister!

 

Wolfgang Nitschke: Bestsellerfressen II. Edition Tiamat, Berlin 2001, 254 Seiten, 26 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen