© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Mißtrauen ist Pflicht
Klaus Kunze

Daß wir alle kleine Sünderlein sind, weiß jeder. Aber potentielle Kinderschänder und -mörder? Starken Tobak tischte der CDU-Rechtsexperte Geis dem männlichen Teil der Bevölkerung da auf. Er möchte alle Männer vorsorglich einem DNA-Test unterziehen und sie beim Bundeskrimalamt (BKA) speichern. Bei Sexualmorden wie dem an Ulrike aus Eberswalde soll so schnell der Täter ermittelt werden können. Weiß der "Rechtsexperte" der Union nicht, daß seine Forderung glatt verfassungsfeindlich ist?

Man muß nicht Phrasen wie die vom "gläsernen Menschen" dreschen, um die Ungeheuerlichkeit des Vorschlages zu erkennen. Wenn er populistisch gemeint war, wie Justizministerin Däubler-Gmelin (SPD) kritisierte, könnte die Absicht nach hinten losgehen: Die Hälfte der Bevölkerung könnte sich nämlich als potentielle Kinderschänder verunglimpft fühlen.

Auf anderen Rechtsgebieten wird krampfhaft um "Gleichstellung" der Geschlechter gerungen, was faktisch oft auf Bevorzugung hinausläuft, etwa wenn eine Frau als Quotenfrau bevorzugt wird oder wenn Schwule Eheprivilegien beanspruchen. Dagegen findet sich unversehens diskriminiert, wer sich als deutscher Normalmann versteht. Einem rot-grünen Wunsch zufolge sollen prügelnde Männer künftig aus der Ehewohnung gewiesen werden. Prügelnde Frauen müssen das nicht befürchten – und die gibt es, wie zum Beispiel Anwälte in Scheidungssachen wissen. Die männliche Schamschwelle ist hoch, sich als Opfer zu bekennen. Gesetzlich nur Männern den Wohnungsverweis anzudrohen, ist selbst dann eine Frechheit, wenn prügelnde Männer statistisch häufiger sind.

Zu Recht hat man im Sexualstrafrecht alle geschlechtsspezifischen Worte ersetzt durch den neutralen Begriff "Person". Heute kann nach dem Wortlaut des Gesetzes auch eine Frau einen Mann vergewaltigen, wenn sie irgendwie in ihn "eindringt". Diese Gleichheit vor dem Gesetz darf nicht durch die Hintertür eines DNA-Tests nur für Männer zunichte gemacht werden. Wenn schon Tests, dann bitte für alle.

Doch selbst das ist nicht wünschenswert. Wie bei der Todesstrafe sollten wir auch ohne Furcht vor "gläsernen Menschen" nicht auf die ewige Rechtstreue der jeweils Herrschenden vertrauen. Mißtrauen gegenüber der Obrigkeit ist Untertanenpflicht in einem Parteienstaat, dessen Parteien den Unterschied zwischen Rechtsstaat und Gesinnungsstaat immer öfter vergessen. Heute suchen sie nur Sexualtäter – morgen vielleicht dich. Klaus Kunze


 
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