© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Das Ende eines Projektes
Atomtransporte: Die Grünen verraten für die Regierungsbeteiligung ihre Inhalte
Reinhard Falter

Die Wiederaufnahme der Atommülltransporte, die den mythischen Namen des sterblichen Zwillings Castor tragen, wird kaum das Schicksal der Grünen entscheiden. Zu sehr schon haben sich die in dieser Partei verbliebenen Atomgegner an das, was demokratische Politik genannt wird, gewöhnt. Aber der Konflikt zeigt noch einmal das Grundproblem, daß eine Reform des Parteienstaats durch eine neue Partei unmöglich ist.

Die Frage ist nicht: "Spalten die Castor-Transporte die Partei?" Sondern: "Wie agiert eine Partei, deren Zunge gespalten ist?" Es handelt sich nicht mehr um zwei Flügel, sondern um die Basis, der es noch um Inhalte, und die Köpfe, denen es nur noch um Politik geht. Politik machen und Inhalte vertragen sich im Parlamentarismus nicht. Die Köpfe verkaufen es als Kompromiß, daß sie der Basis nicht das folgenlose Demonstrieren verbieten. "Argumente" wie die Beschwichtigung, es gehe jetzt um Transporte für den Ausstieg, dienen nur zur Gesichtswahrung. Umgekehrt wissen die Aktivisten, die das Weiterlaufenlassen der Atommeiler für dreißig Jahre nicht als Ausstieg akzeptieren, daß ihre Proteste bei ihren Parteigenossen noch weniger bewirken als bei der Regierung Kohl, die immerhin noch gegenüber einer Opposition argumentieren mußte.

Eine Partei ist im parlamentarischen System ein Apparat zur Erlangung von Regierungsbeteiligung. Die Grünen sollten nach dem Willen ihrer Gründer parlamentarischer Arm einer Bewegung und damit "Antiparteienpartei", wie Petra Kelly es formulierte, sein. Dieser Versuch ist gescheitert. Nicht einmal von den grünen Dogmen Atomgegnerschaft und Pazifismus ist noch viel übrig. Auf anderen eigentlich grünen Gebieten hat es gar nicht den Versuch gegeben, Positionen durchzusetzen. Nicht einmal der ökonomisch völlig unsinnige Donauausbau ist gestoppt worden, geschweige denn, daß sich an der Verkehrspolitik substanziell etwas geändert hätte.

Es ist einzig und allein die Alternativlosigkeit, die noch einige wenige echte Grüne in ihrer Partei hält. Die Mehrheit bilden inzwischen Karrieristen, denen Inhalte so beliebig sind wie ihren Vorbildern Fischer und Schröder. Sie machen Politik, nicht um Probleme zu lösen, sondern um an ihnen zu verdienen – Geld und Wählerstimmen. Solche Politik geht immer den Weg des geringsten Widerstands. Lobbys, die keine Alternative haben, muß man nicht weiter Gehör schenken. Die PDS ist ökologisch noch blinder, also muß man die ökologisch ernsthaften Noch-Grünen nicht beachten, die pazifistischen schon eher und die klassisch Linken erst recht. Sie haben eine Alternative.

Die Grünen sind einst selbst aus dieser Situation hervorgegangen. Erst eine Partei links von der SPD hat den entsprechenden Themen Aufmerksamkeit verschafft. Aber die Gründung der Grünen läßt sich nicht wiederholen. Das hat schon der Versuch der ÖDP gezeigt. Heute ist Ökologie noch viel weniger ein selbständig mobilisierungskräftiges Thema. Und selbst wenn die ÖDP eine Wiederholung des grünen Erfolgs geschafft hätte, wäre sie letztendlich ebenfalls der Logik des Parteienstaats erlegen.

Der Logik des Parteienstaats, in der eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, weil sie um den Spielgeldcharakter von Inhalten wissen, entspricht die Alternativlosigkeit der Menschen, die zum größten Teil acht Stunden am Tag Dinge tun, die sie – wenn sie überhaupt noch danach fragen – nicht für gesellschaftlich sinnvoll halten können, sei es nun im Einzelfall das weitere Ankurbeln der Kosumspirale oder die mediale Vernebelung derselben.

Rudolf Bahro, einer der wenigen wirklichen Radikalökologen, die die Partei jemals hatte – denn die Fundis und sogenannten Ökosozialisten hatten mit Natur ebensowenig am Hut wie die Seilschaften um Fischer –, hat einmal gesagt, der Bruch in der Gesellschaft verlaufe nicht zwischen Ökoaposteln und Atom-Hardlinern, sondern mitten durch jeden von uns.

Wir alle nutzen die Großtechnik zu unserer Bequemlichkeit, und wir nehmen gedankenlos oder wissend ihre Kosten in Kauf. Für die Kernbereiche des Projekts Wohlstandsmehrung nehmen wir auch Menschenopfer hin, so Tausende von Verkehrstoten im Jahr. Atomkraft wird nicht ganz so fraglos akzeptiert, weil sie weniger offensichtlich systemnotwendig ist.

Wir haben aber auch hier keine Wahl. Die Pseudoauswahl auf dem Strommarkt ist nur Verschleierung. Der Strom in der Leitung zeigt seine Herkunft nicht in Farben. Außerdem gibt es keinen wirklich umweltfreundlichen Strom. Fossile Rohstoffe sind eigentlich zu schade zum Verheizen und verpesten die Luft, Wasserkraft zerstört die Flüsse. Der Beitrag der Windkraft ist ohnehin mehr symbolisch, die Verspargelung der Landschaft ist aber ein wesentlicher Beitrag zur Entheimatung der Menschen auf dem Land, das nun flächendeckend von Symbolen des wirtschaftlichen Profits und nicht mehr von Kirchtürmen strukturiert wird. Der Zirkus um den Ökostrom zeigt nur eines. Den Entscheidungsträgern fällt nichts anderes ein, als alle Probleme, die aus der wildgewordenen Diktatur der Aktienkurse entstehen, mit der Devise "noch mehr Markt" anzugehen.

Beherrscht also doch der Kapitalmechanismus alles? Hatten Trittin und seine Leute keinen Spielraum? Darauf haben es die Grünen nie ankommen lassen. Wie der Dirigent Ennoch zu Guttenberg in seiner zornigen Antwort an Schröder und Trittin bei der Fünfzigjahrfeier des Deutschen Naturschutzrings formulierte, haben die Grünen alle ihre noch vorhandenen Inhalte "für das Linsengericht einer Regierungsbeteiligung" verkauft, die nicht Macht bedeutete, wohl aber Pöstchen für die eigene Klientel. Die Verhandlungen gingen nach dem Muster: Wir wollen so und so viele Pöstchen, was müssen wir dafür an Inhalten opfern? So sieht wirkliche Politikfähigkeit innerhalb des Parteienstaats aus.

Was ist aber der Unterschied zwischen Fischer, der die Abkehr vom Pazifismus, und Trittin, der den Einstieg in den Atomstaat verkauft? Fischer spielt seine Rolle gut, er tut so, als gestalte er internationale Politik, wo er doch alle Hände voll zu tun hat, es wenigstens so aussehen zu lassen, als hätte er dem jeweils letzten amerikanischen Bombenteppich im Namen der Humanität zugestimmt. Trittin spielt seine Rolle schlecht, weil er noch der Illusion anhängt, etwas gestalten zu können.

Merkwürdig verkehrte Welt, daß heute die Linken Staat machen, und dazu nicht nur Militär und bürgerliche Tugenden brauchen, sondern auch Mythen wie den vom Hervorgehen der Demokratie aus dem Holocaust, während sich die Konservativen als Aufklärer gerieren. Beiden geht es in diesen Rollen nicht gut, aber gerade das scheint ihr Verhältnis zu stabilisieren.

 

Reinhard Falter, Historiker, engagiert sich im Landschaftsschutz und war grüner Parteifunktionär.


 
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