© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Erst Freiheitskämpfer, nun Terroristen
Carl Gustaf Ströhm

Hochverrat ist eine Frage des Datums, sagte einst der französische Staatsmann Talleyrand, der es erfolgreich verstand, die Fronten zwischen Napoleon und den Bourbonen zu wechseln. Im Blick auf den Balkan könnte man sagen: Auch Terrorismus ist eine Frage des Datums. Die Terroristen von gestern sind die Legalisten von heute, die sich darüber empören, daß andere mit ihnen jetzt das machen, was sie einst selber zu machen pflegten.

Die Regierung Mazedoniens hat bereits erklärt, daß sie mit den "albanischen Terroristen", die die Stadt Tetovo beschossen haben, nicht verhandeln werde. Die Ironie der Geschichte fügte es aber, daß die in Skopje regierende Partei des Premier Ljupco Georgijevski sich in ihrem Namen auf eine terrorristische Tradition beruft: Auf die VMRO, die "Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation". Diese begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Sabotageakten (Sprengung von Eisenbahnlinien) und rief am "St. Eliastag" des Jahres 1903 (mazedonisch: Ilinden) zum bewaffneten Aufstand gegen die Türken auf, die damals Mazedonien beherrschten. So wie hundert Jahre später die Albaner, gingen damals die mazedonischen Aufständischen in die gleichen Berge und Schluchten und lieferten der türkischen Armee und Polizei blutige Gefechte. Der Aufstand kostete fast tausend mazedonische "Terroristen" das Leben, ferner wurden 2000 Zivilisten getötet, 200 Dörfer gingen in Flammen auf. Der Führer des Aufstandes, der Volksschullehrer Goce Delcev, wurde von der türkischen Armee erschossen. Sein Sarkophag steht heute in der Erlöserkirche von Skopje und gilt als Nationalheiligtum. Der Eliastag – der 3. August – ist nun Nationalfeiertag.

Das Verhalten der albanischen UÇK und ihrer Ableger paßt also durchaus in die balkanische Landschaft. Sogar die Zielsetzung der seinerzeitigen VMRO und der heutigen UÇK sind kongruent: Man will durch Gewalt die Aufmerksamkeit der Welt auf sich lenken: damals auf das mazedonische, heute auf das albanische Problem.

Die slawischen Mazedonier, die vor gar nicht langer Zeit noch selber von Groß-Mazedonien unter Einschluß griechischer, bulgarischer und albanischer Gebiete träumten, befinden sich inzwischen bevölkerungspolitisch in der Defensive: die kinderreichen Albaner drängen von Nordwesten ins mazedonische Herzland vor. Tetovo ist heute eine mehrheitlich albanische Stadt, sogar die Hauptstadt Skopje ist bereits weitgehend albanisch "unterwandert" – Tendenz steigend. Unter den jungen, arbeits- und perspektivlosen Albanern Mazedoniens und des Kosovo finden sich genügend potentielle "Terroristen" oder – "Freiheitskämpfer". Die EU hat Javier Solana nach Skopje entsandt, wo er die Quadratur des Kreises zustandebringen soll: den Mazedoniern gut zuzureden, ohne aber die Albaner zu sehr zu verprellen. Gerade aber das Beispiel Solanas zeigt, in welchen Fallstricken sich die EU verfangen hat: Als Spanier ist er geneigt, den mazedonisch-albanischen Konflikt durch die Brille des Baskenproblems zu betrachten. Das aber muß den Blick auf positive Lösungen erschweren. In Stockholm haben die Staatsmänner der EU ohne jeden Protest zugehört, wie ihnen Rußlands Präsident Wladimir Putin das "Modell Tschetschenien" als probates Mittel für die albanische Frage empfahl.

Die albanischen Terroristen/Freiheitskämpfer (Nichtzutreffendes bitte streichen) werden sich nicht so leicht fassen lassen. Merke: Wer zur Opferung seines Lebens bereit ist, ist dem Furchtsamen überlegen.


 
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