© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Billige und anspruchslose Arbeitskräfte
IT-Branche: Mehr Green Cards trotz Massenentlassungen / CDU will noch weitere Anreize für Ausländer
Ronald Gläser

Auf der Cebit wird das Auseinanderfallen von Vision und Wirklichkeit der New Economy deutlich. Natürlich bringt die massenhafte Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien den Volkswirtschaften gewaltige Produktivitätsfortschritte. Das zeigt sich nirgendwo so eindrucksvoll wie in den USA. Dort kann man wirklich von einer Neuen Ökonomie sprechen, die von niedrigem Inflationsdruck trotz überdurchschnittlichen Wachstums und unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit geprägt ist.

Dagegen hinken die Europäer trotz aller regierungsamtlichen Bekenntnisse zur Informationsgesellschaft den Amerikanern hinterher. Besonders schmerzhaft ist das auf dem Arbeitsmarkt, auf dem sich die Lage unlängst wieder verschlechtert hat.

Insofern ist die Cebit 2001 symptomatisch für die Lücke zwischen dem Wunschdenken von Politikern und der realen Lage. In diesem Jahr präsentiert sich die Messe mit einem roten statt einem lindgrünen Logo und dem inhaltsleeren Motto "Get the spirit of tomorrow!" Die Farbe soll vermutlich das Blutbad in Erinnerung rufen, das die ganze Branche seit der letzten Cebit durchmacht.

Was damals noch keiner ahnen konnte, ist inzwischen unwiderlegbar: Die Trendwende an der amerikanischen Hochtechnologie-Börse Nasdaq im Frühjahr 2000 hat den vorläufigen Höhepunkt der gesamten Internetwirtschaft markiert. Alle Börsen der Welt wurden in den Strudel fallender Kurse gezogen. Seit einem Jahr befindet sich die Branche nun in der Krise. Gewinnprognosen werden regelmäßig nach unten korrigiert. Selbst größere Firmen leiden unter ernsthaften Liquiditätsschwierigkeiten.

Die ganze Euphorie der neunziger Jahre ist wie weggeblasen. Der Enthusiasmus, mit dem ein "Dotcom" nach dem anderen aus der Taufe gehoben wurde, ist in Skepsis umgeschlagen. Wurden Neuemissionen vor zwei oder drei Jahren noch am ersten Handelstag zum doppelten Preis gehandelt und verzwanzigfachten sich binnen weniger Monate, so werden manche Papiere heute unter dem Ausgabepreis gehandelt. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Nortel Networks entläßt gerade 10.000 Mitarbeiter, während beim Computerhersteller Dell 1.700 und bei der Firma Razorfish 400 Angestellte gehen. Industry Standard wirft 16 Prozent und Dooyoo.com 15 Prozent seiner Belegschaft raus. Der Spielzeughändler Etoys meldete Konkurs an. Hier sind also 100 Prozent der Belegschaft betroffen. Auch die Werbewirtschaft und Medienunternehmen trennen sich von einem Teil ihrer Humanressourcen: NBC, NBCI und AOL Time Warner feuern zusammen deutlich mehr als 3.000 Mitarbeiter. Auch von Telefongesellschaften werden Entlassungen gemeldet.

Auch wenn diese nackten Zahlen eine klare Sprache sprechen, sind die Hoffnungen, die an die Neue Ökonomie geknüpft werden, so euphemistisch wie noch vor Jahresfrist. Bundeskanzler Schröder kürte die ganze Branche bei der Eröffnung der diesjährigen Cebit zum "Motor für den Arbeitsmarkt" schlechthin. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident wollte sich im Licht der Hightechmesse sonnen und philosophierte über den Hochtechnologiestandort, den sein Bundesland darstelle. In Wirklichkeit stammt nur ein halbes Prozent der Aussteller aus seinem Bundesland.

Immer neue Analysen sollen die kommende große Nachfrage nach hochqualifizierten Mitarbeitern für die vielen boomenden Internet- und Ecommerce-Firmen belegen. 100.000 neue Arbeitsplätze blieben dies Jahr größtenteils unbesetzt, weil es an geeignetem Personal fehle, so eine Studie der European Business School.

Damit wurde schon im letzten Jahr die Grüne-Karten-Kampagne Schröders begründet, der ja entsprechend viele Computer-Inder ins Land holen wollte. Das Interesse der umworbenen Gastarbeiter blieb weit hinter den Erwartungen zurück, so daß nicht mit einer Neuauflage zu rechnen war. Gerade 6.000 Arbeitnehmer haben von dem Angebot Gebrauch gemacht.

Doch der "Genosse der Bosse" sah sich sogleich genötigt, auf der Cebit eine Ausweitung der Green-Card-Regelung auf weitere Branchen anzukündigen, nachdem ein Verbandssprecher eine verstärkte Einwanderung gefordert hatte. Vermutlich wird auch die zeitliche Befristung im Zuge dieser Maßnahmen abgeschafft. Wenn im Sommer der Bericht der von Rita Süssmuth geleiteten Einwanderungskommission vorgelegt wird, ist mit dieser Neuregelung zu rechnen.

Schröder sprach von einem weltweiten Wettbewerb um "die besten Köpfe". In Wirklichkeit geht es natürlich um billige und anspruchslose Arbeitskräfte aus unterentwickelten Ländern. Die Industrie, die sich ihrer Verpflichtung, genügend Ausbildungsplätze anzubieten, immer mehr entzieht, will die hohen Gehälter drücken, die in der Branche gezahlt werden. Deswegen redet sie unentwegt von Fachkräftemangel. Und Schröder muß nicht zuletzt die eigenen Fehler der Vergangenheit verdecken. Unter dem Ministerpräsidenten Schröder war an einer niedersächsischen Universität der Studiengang Informatik abgeschafft worden.

Dabei wird der Druck auf den Arbeitsmarkt künftig noch einer ganz anderen Richtung zunehmen. Die anstehende Ost-Erweiterung der EU versetzt Millionen Polen, Tschechen und andere Osteuropäer in die Lage, ihren Wohnsitz nach Westen zu verlegen. Deutschland und Österreich versuchen gerade eine siebenjährige Übergangsfrist für die vollständige Einführung der Freizügigkeit innerhalb der EU mitsamt der Neumitglieder zu schaffen. Aber selbst wenn Schröder und Schüssel damit Erfolg haben, wird das Wohlstandsgefälle nach diesen sieben Jahren immer noch groß sein, daß ein massenhafter Zuzug in deutsche Städte und Industrieregionen stattfinden dürfte.

Die Opposition im Bundestag greift das Thema nicht einmal auf, nachdem sie im vergangenen Jahr noch "Kinder statt Inder" zum Wahlkampfslogan gemacht hatte. Dafür widmete sich die CDU kürzlich den Grünen Karten. Sie wirft der Regierung vor, nicht genügend Anreize für ausländische Arbeitnehmer anzubieten. Generalsekretär Meyer meinte: "Ausländische Fachkräfte nach Deutschland einzuladen, reicht nicht aus. Die Bundesregierung muß gleichzeitig attraktive ökonomische Rahmenbedingungen und verläßliche Grundlagen für den Aufenthalt der Menschen schaffen."


 
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