© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Stockholmer Gipfel bestätigt EU-Stagnation
EU-Treffen: Vage Absichtserklärungen zur Verringerung staatlicher Beihilfen / Öffnung der Strom- und Gasmärkte vertagt
Bernd-Thomas Ramb

Die Franzosen haben wieder einmal einen europäischen Sieg errungen. Ihre hartnäckige Weigerung, einem verbindlichen Termin für die Verwirklichung eines freien Strom- und Gasmarktes in der EU zuzustimmen, fand die Unterstützung des deutschen Bundeskanzlers, der die anderen EU-Staaten um Verständnis für seine Haltung angesichts der Besonderheit des deutsch-französischen Verhältnisses bat. Die frostigen Temperaturen in Stockholm paßten so recht zu der unterkühlte Atmosphäre in der Europäischen Union. Dabei fehlte es gewiß nicht an den Bemühungen der schwedischen Gastgeber, der europäischen Entwicklung nach dem Desaster-Gipfel von Nizza neue Dynamik zu verleihen.

Der amtierende EU-Ratschef, Schwedens Premier Göran Persson, war zuversichtlich, daß der Vorschlag der EU-Kommission zur umgehende Öffnung der Strom- und Gasmärkte die mehrheitliche Zustimmung der Mitgliedsstaaten finden würde. Eine mögliche Isolation Frankreichs, das als einziges Land dagegen votierte, verhinderte der deutsche Bundeskanzler mit seiner freundschaftlichen Unterstützung des Nachbarlandes, das sich sonst im Verbund mit Deutschland als Motor der europäischen Entwicklung empfindet. Diesmal war Abwürgen angesagt. Die Enttäuschung der anderen Staaten, allen voran Großbritannien und Spanien, aber auch Italien und Belgien, konnte nur durch die Aufnahme einer wütend klingenden Passage in der Schlußerklärung gemindert werden. Danach sollen Wettbewerbsverzerrungen im EU-Binnenmarkt aufgrund unterschiedlicher Liberalisierungsgrade in den EU-Ländern nicht geduldet werden. Die unpräzise Formulierung könnte allerdings vom Liberalisierungswiderständler Frankreich als Begründung herangezogen werden, übertriebene Marktliberalisierung der anderen abzumahnen.

Zusätzlich zeichnete sich der Stockholmer Gipfel durch die auffällige Relativierung seiner EU-Beschlüsse aus, was allerdings nicht neu ist. Da wurden Beschlüsse zur "Beschleunigung der Wirtschaftsreform" gefaßt, die sämtliche Geschwindigkeitsangaben offen lassen – auch der Übergang vom Stillstand zum Trippelschritt zählt als Beschleunigung. "Die Union setzt auf rasche Fortschritte bei der weiteren Vollendung des schrankenlosen EU-Binnenmarktes", verheißt es weiterhin nebulös und unverbindlich. Kein ermutigendes Zeichen im letzten Jahr der Existenz nationaler Währungseinheiten. Von der großen integrativen und marktbefreienden Wirkung der Währungsunion ist kaum noch die Rede. Dabei sollte gerade der Euro, wenn nicht schon als Krönung des freien EU-Handels verstanden, die Liberalisierung des EU-Binnenmarktes endgültig sichern. Doch dazu schwieg die Höflichkeit des schwedischen EU-Sängers.

Statt dessen gab es selbst bei den vagen Absichtserklärungen die ersten Rückzieher. So wurde die Verringerung staatlicher Beihilfen nicht nur bloß in Aussicht gestellt, sondern auch noch ein verpflichtendes "muß" in ein unverbindliches "sollte" abgeschwächt. Man müsse auf die historisch gewachsene Rolle der öffentlichen Hand in der französischen Wirtschaft Rücksicht nehmen, meinte Kanzler Schröder. Warum nicht auch hier das "muß" in ein "sollte" umgewandelt wurde, bleibt ungeklärt. Erstaunlich aber die Geduld, mit der die anderen EU-Staaten die Finten und Finessen der deutsch-französischen EU-Kumpanei hinnehmen.

Ansonsten bliebt vom EU-Gipfel zu vermelden, daß Selbstdarstellung und Selbstüberschätzung die wirtschaftlichen Realitäten zu überdecken suchten. Die Einschätzung Europas als weltwirtschaftliche Wachstumslokomotive geht ebenso an den Tatsachen eines Wirtschaftsabschwungs in Deutschland vorbei, wie die "beschlossene" ökonomische Binsenweisheit, "gut funktionierende Märkte" seien "eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß ein Klima für unternehmerisches Handeln entsteht und die Verbraucher die Vorteile der Marktintegration nutzen können", die europäische Wirklichkeit nahezu verhöhnt. Die europäische Entwicklung steckt immer tiefer in der Sackgasse, deren Enge in Nizza erstmals von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.


 
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