© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Kein Machtwechsel
Analyse zur Landtagswahl im Südwesten: Die Bürger Baden-Württembergs wollten Rot-Grün verhindern
Klaus Hornung

Vor drei Wochen noch sah die Wählerwelt in Baden-Württemberg ganz anders aus: CDU und SPD nach Umfragen nur durch wenige Punkte getrennt (39 zu 35), die Grünen und Gelben je bei zehnProzent, die Republikaner auf jeden Fall "drin". Ein Machtwechsel schien zum Greifen nah, gegebenenfalls durch eine Ampelkoalition.

Eben diese Umfragen führten jedoch zum Trendwechsel zugunsten der CDU. Die Wählermehrheit schreckte vor einer rot-grünen Einfärbung auch südlich des Mains gewaltig zurück, ein Gefühl für Machtbalance breitete sich aus. Die Bilanz der rot-grünen Bundesregierung erschien den Wählern im Südwesten – entgegen den demagogische-selbstverliebten Einschätzungen des SPD-Generals Müntefering – keineswegs so eindrucksvoll, daß man sie nun auch noch landespolitisch erproben wollte. Ein rot-grüner, roter und rot-dunkelroter Norden reicht den Süddeutschen zunächst einmal. Hier erscheint der Kulminationspunkt der Schröder-Fischer-Regierung überschritten. Nicht einmal die Parteispendenaffären scheinen der CDU langfristig zu schaden. Man kann darin auch eine beachtliche Emanzipation der Wähler von den Vorgaben der Medien erblicken. Wieder einmal setzte sich der alte Adenauer-Grundsatz "Keine Experimente!" durch.

Kleinere Parteien im Schatten der Hauptmatadore

Eine Grundhaltung gegen den Wechsel wurde auch von den beiden Spitzenkandidaten bestärkt. Hier ein bodenständiger, solider, seit zehn Jahren mit Erfolg regierender Ministerpräsident, zunehmend auch mit dem Image des Landesvaters. Dort eine 36jährige junge Frau mit Charme und einem beachtlichen Ego, aber für die Baden-Württemberger letztlich doch ohne Berufs-, Lebens- und auch Politikerfahrung, allzu sehr die Quotenfrau ohne politisches Profil. Als Ministerpräsidentin wäre sie nach Einschätzung vieler Wähler wohl auch allzu lenksam in der Hand eines machtbewußten Bundeskanzlers geworden. Und ihr vollmundiger Satz, neben ihr sehe Erwin Teufel doch "recht alt" aus, hat ihr wohl ebenfalls mehr geschadet als genützt.

So mußte sich der Wahlkampf durch den Kontrast von Alter, Geschlecht und (vorhandener beziehungsweise fehlender) Politikerfahrung fast automatisch zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Hauptmatadoren zuspitzen, in deren Schatten die drei kleineren Parteien gerieten. Das entsprach jener "Amerikanisierung" und Personalisierung der Wahlkämpfe auch bei uns, die mehr dem Charakter unserer Sport-, Spaß- und Freizeitgesellschaft als politischer Substanz und Programmatik entspricht. So landete die FDP weitab von ihrem erklärten Wahlziel, eine zweistellige Wählerzahl zu erreichen, und als dann noch das Gerde von einer möglichen Ampelkoalition auftrat, kamen hier auch die bürgerlichen Ängste gegenüber der häufigen Wackel- und Unfall-Partei ins Spiel. Auch bei den Grünen mit ihrer baden-württembergischen Realo-Variante machten sich strategische Überlegungen geltend, die große Partei zu stärken. Hinzu kommt die Tatsache, die sich seit längerem schon zu einem Trend ausformt, daß diese Partei nur noch wenig Zuspruch besonders bei den Erst- und Jungwählern findet, sich also früher oder später als eine Generationspartei erweisen könnte.

Die Republikaner schienen gute Aussichten zu haben, zum dritten Mal in den Stuttgarter Landtag einziehen zu können, zumal die CDU in der abgelaufenen Legislaturperiode oft allzu hausbacken und vor allem auf wirtschaftliche und finanzielle Fragen fixiert erschien und sich, ähnlich wie die Gesamtpartei, um heiße Eisen wie etwa die Asylpolitik oft herumdrückte. Wenn das schließlich dann doch nicht für die Republikaner zu Buche schlug, ist dies in mehreren Gründen zu suchen. Tatsächlich blieb die Anti-Rechts-Kampagne gegen die Partei gerade auch in Baden-Württemberg nicht ohne Wirkung. In einem Industrie- und Autoland wie hier konnte der Ruf nach ausländischen Arbeitskräften doch auf einen fruchtbaren Boden fallen.

Politikverdrossenheit könnte Systemschaden anrichten

Nicht zuletzt kam aber auch hier das Kalkül vieler Wähler ins Spiel, daß die Republikaner mit neun oder zehn Prozent die CDU derart schwächen würde, daß dann die gefürchteten "Experimente" möglich geworden wären, sei es eine Ampelkoalition, die die CDU neben den Republikanern auf die Oppositionsbänke verbannt hätte, sei es eine erneute Große Koalition, die man im Lande aus der Legislaturperiode 1991 bis 1995 noch in durchaus schlechter Erinnerung hat. Das Ergebnis all dieser Faktoren war die glatte Halbierung der Partei, deren Etikettierung als "rechtsextremistisch" mehr parteipolitischem Kalkül als Gründen des Verfassungsschutzes entsprach.

Ob die "Patriotismus-Debatte" wesentliche Auswirkungen auf die Wahlen hatte, möchte ich eher bezweifeln. Ganz abgesehen von dem etwas primitiv holzschnittartigen Zuschnitt dieser Debatte hat sie freilich deutlich werden lassen, daß uns – insbesondere in den Medien und in der Politik – doch etwas fehlt, ein natürliches und unverkrampftes Selbstgefühl als Nation, ohne das wir auf Dauer in Europa und in der Welt nicht werden bestehen können.

Eine Prognose über die weitere Entwicklung des Parteiensystems in Deutschland bleibt schwierig. Allzu viel ist hier in Fluß, als daß aus momentanen Wahlergebnissen tragfähige Erwartungen für die Zukunft abgeleitet werden könnten. Der Wandel von der früheren Stamm- und Milieu-Wählerschaft zu einem immer stärker individualisierten und situativen Wechselwähler-Verhalten wird jedenfalls andauern, so daß auch die Erwartung, in Deutschland entstehe ein Zweiparteiensystem auf Kosten des jetzigen Mehrparteiensystems, doch weitgehend Spekulation bleiben muß. Man braucht nur an die sich abzeichnenden neuen weltwirtschaftlichen Krisenentwicklungen zu denken, um zu erkennen, wie rasch sich die Konstellationen nicht nur international, sondern auch national und innenpolitisch verändern können.

Nicht zuletzt haben auch die Wahlen in Baden-Württemberg die schwere Hypothek sinkender Wahlbeteiligung für das politische System wieder deutlich gemacht. Mit 38 Prozent stellen auch hier die Nichtwähler die zweitstärkste Partei, noch vor der SPD. Noch sprechen Politologen von einer "Normalisierung" nach amerikanischem Muster. Das scheint mir eher Zweckoptimismus zu sein. Leicht könnte sich die bestehende Parteien- und Politikverdrossenheit zu einem Systemschaden auswachsen. Hier liegt es an den Parteien selbst, ob sie weiterhin vor allem am Leitseil der politisch-ideologisch einseitigen Medien gehen wollen oder ob sie sich wieder stärker auf ihre eigentliche System-Rolle als "Sprachrohre des mündigen Volkes" zurückbesinnen werden, auf die Orientierung vor allem an den Interessen, Auffassungen und Wünschen des Volkes. Das gilt nicht zuletzt für die jetzt in Baden-Württemberg so erfolgreiche CDU. Sie könnte damit auch den Weg bahnen für die im Augenblick immer noch strategisch unsichere Bundespartei.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.


 
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