© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Pankraz,
das Internet und der Junge mit der Seele

Knüller bei eBay, dem Auktionshaus im Internet: Ein amerikanischer Student hat dort kürzlich seine Seele versteigert, die "noch kaum benutzte Seele eines zwanzigjährigen Jungen", wie es werbend im Angebot hieß. Es fanden sich auch Bieter, überwiegend reife Frauen aus einfachen Verhältnissen, und das Geschäft brachte am Ende immerhin vierhundert Dollar ein.

Für schlichte Zeitgenossen, für den sogenannten gesunden Menschenverstand, ist die greifbare Existenz von Seelen eben auch heute noch eine unbestreitbare Tatsache. Noch bevor jemand sagt: "Ich bin", sagt er: "Die Einzelseele ist". Darüber gibt es für ihn kaum eine Diskussion.

Vom "Ich" ist der gesunde Menschenverstand gar nicht so leicht zu überzeugen. Die Stammesangehörigen bei den meisten Naturvölkern, an sich Meister des gesunden Menschenverstandes, sprechen von sich nicht in der ersten, sondern in der dritten Person. Man kennt das aus den Indianergesprächen bei Karl May, wo die Leute, wenn sie sich selber meinen, etwa sagen: "Kleiner Bär hat gesprochen" oder "Klares Wasser ist in ihr Zelt gegangen".

Daß sie selber gesprochen haben oder ins Zelt gegangen sind, wissen sie in diesem Stadium noch nicht, sie wissen nur, daß da "etwas" gesprochen hat und daß dieses Etwas beispielweise auch in einem kleinen Bären oder in einem klaren Wasser wohnen kann, vielleicht sogar besonders gern dort wohnt. Die Verbundenheit des Naturmenschen mit der Natur ist elementar, er glaubt eher, daß aus seinem Munde ein Bär oder ein Wasser spricht als ein anderer Mensch. Die Seele macht sich nicht in der Abgrenzung zur Natur bemerkbar, sondern in der Abgrenzung zum Mitmenschen, zum Stammesbruder, zur Stammesschwester.

Engstens damit zusammen hängt der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. Wenn diese Seele nicht mein ist, wenn sie Bär oder Wasser, wenn sie Natur ist, dann hat sie auch nur ephemer mit meinem Körper zu tun, sie "wohnt" lediglich in ihm, und wenn er stirbt, dann sucht sie sich einen anderen Aufenthalt. Nicht das Sterben ist ihr Teil, sondern die Wanderschaft.

Erst die Priesterlehren der archaischen Hochkulturen, astronomisch am Firmament orientiert, wie sie waren, haben die Volks- und Naturseele in den Himmel gehoben. Die eigentliche Heimat der Seelen, lehrten sie, sei das Firmament. Die unendlich zahlreichen Gestirne an diesem Firmament seien entweder selber Seelen, oder es seien Garagen für die Seelen, in die sie sich zurückziehen, wenn sie von kleinen Bären oder klaren Wassern gewissermaßen die Nase voll haben, wenn es sie zu Höherem zieht, ohne daß sie der höchsten Erfüllung schon würdig wären.

Im Mythos der alten Griechen, die weniger astronomisch orientiert waren als Ägypter und Chaldäer, blieben die Seelen der Verstorbenen dann zum ersten Mal gleichsam bei sich selbst, schlieften nicht in Bären oder Wässer ein und gingen auch nicht hoch zu den Sternen, sondern wohnten mal hier, mal da, in den elysischen Gefilden, auf den Asphodeloswiesen, im Tartaros, je nachdem, welches Schicksal ihnen die Götter zuwiesen. Doch blieben sie unsterblich durchaus. Einige gingen als Heroen sogar in den göttlichen Olymp ein, wurden selber Götter.

Den Griechen war – im Gegensatz faktisch zu allen anderen alten Kulturvölkern mit Ausnahme vielleicht der Chinesen – das individuelle Seelen-"Heil", die "Rettung" der Einzelseele nach dem Tode, ihre "Erlösung", auch ihre "Reinigung" im Stile der Inder und Perser, bemerkenswert gleichgültig. Erst Platon räumte mit dieser Gleichgültigkeit auf, und zwar schon deshalb, weil er den Dialog so liebte, das erosbeflügelte dialektische Streben nach dem Logos, das Anzünden des Erkenntnisfunkens in jedem einzelnen Dialogpartner. War das nicht Rettung, Heiligung, Erlösung, Reinigung, Überwindung des Todes? Lief nicht alles auf die Vereinigung der einzelnen sehnsüchtigen Seelen mit dem Wahren, Guten und Schönen hinaus?

Freilich barg dieser Gedanke schon den Keim zur neuzeitlichen Leugnung der Einzelseele. Denn je weiter die Seelen im Wahren, Guten und Schönen aufgingen, um so mehr glichen sie sich einander an, es geschah eine Gleichmacherei, die letztlich nicht mehr von individueller Auslöschung zu unterscheiden war. Das, was wir eigentlich sind, ist ja immer irgendwie körperlich, sinnlich. Und genau dieses konkrete Einzelwesen ging bei Platon verloren. Neupythagoreer und Christen haben später von ihm gelernt.

Eine fatale Körper- und Sinnenfeindschaft griff im Namen der "Rettung der Seele" um sich. Der Körper und die Natur im ganzen wurden zum "Gefängnis der Seele", zu ihrem Peiniger, zu ihrem ewigen Versucher. Wer sich auf solche natürlichen Versuchungen einließ, der war drauf und dran, seine Seele "dem Teufel zu verkaufen". Prototyp eines solchen "Seelenverkäufers" wurde der Doktor Faustus, und zwar am Anfang ohne die geringste Aussicht auf Erlösung. Das Wort "Seelenverkäufer" bezog sich stets auf allerschrecklichste Verhältnisse; marode, dem Absaufen nahe Schiffe beispielweise hießen "Seelenverkäufer".

Daß jetzt im Zeichen von E-Commerce Seelen sogar versteigert werden, erscheint auf den ersten Blick als eine nochmalige Steigerung der Verruchtheit, als ein zynisches Spiel aus Unglauben und kapitalistischem Profitkalkül. Doch man schaue genau hin! Nicht der Teufel bietet hier, sondern mütterliche Frauen, "Klares Wasser", "Gutes Zelt", die Natur meldet sich zurück.

Und sie bietet um die Seele eines Jungen, die "noch kaum gebraucht" ist, der "Kleine Bär" hat noch nicht viele Schafe gerissen, man kann ihn noch zähmen. Mit den vierhundert Dollar, die er von der Auktion nach Hause trug, wird er nach Abzug der Versteigerungsspesen nicht weit gekommen sein. Dem Jungen muß geholfen werden.


 
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