© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Ich sehe was, was Du nicht siehst
Und das ist braun: Eduard Gugenbergers Sammlung der Visionäre des Dritten Reiches
Detlev Rose

Zwei Schwule, ein Säufer, ein wunderlicher Runenforscher, ein verklemmter "Mannesrechtler", ein vagabundierender Abenteurer, ein größenwahnsinniger Ex-Offizier, ein jüdischer Gaukler, eine Nervenärztin mit Verschwörungswahn und ein Sizilianer auf dem Egotrip. Was dieses skurrile Grüppchen gemeinsam hat, fragen Sie? Ganz einfach: Es sind "Hitlers Visionäre", die "okkulten Wegbereiter des Dritten Reiches". Dies suggeriert zumindest der Titel des frischgepreßten Buches von Eduard Gugenberger.

Auf rund 200 Seiten versammelt der österreichische Historiker zehn biographische Skizzen. Alfred Schuler, Dietrich Eckart, Guido von List, Jörg Lanz von Liebenfels, Rudolf von Sebottendorff, Karl Maria Wiligut, Otto Rahn, Erik Jan Hanussen, Mathilde Ludendorff und Julius Evola finden sich hier als "Nazi-Okkultisten" oder deren geistige Vorhut wieder. Warum nun ausgerechnet diese zehn?

Ein einleitendes Kapitel über die "okkulte Seite des Nationalsozialismus" gibt hierüber genausowenig Aufschluß wie über die Frage, welche Motivation überhaupt hinter dem Werk steckt. Seine Ausgangsthese, der Nationalsozialismus sei "nicht allein durch wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Umstände erklärbar", verkauft Gugenberger wie eine sensationell neue Erkenntnis. Auch der darauf aufbauende Hinweis, die "offizielle Geschichtswissenschaft" habe okkulte und mythische Einflüsse auf die NS-Ideologie lange vernachlässigt, ist ein alter Hut. Nicht zuletzt die umfangreiche, von Gugenberger selbst angeführte Literatur jüngeren Datums dokumentiert, daß ebendiese Einflüsse mittlerweile auf starkes Interesse gestoßen sind.

Sei’s drum, Gugenberger will uns also irgend etwas über "Nazi-Okkultismus" erzählen. Als Quellen dieses nicht näher definierten Konstrukts macht er den Germanenglauben und die Theosophie aus. Da wundert es den Leser zunächst, weshalb die Begründerin der modernen Theosophie Helena Petrovna Blavatsky nur kurz gestreift wird und kein eigenes Kapitel erhält. Und wenn der Germanenglaube so wichtig war, weshalb kommt dann Richard Wagner nicht vor? Immerhin ist es allgemein bekannt, daß Hitler sich in punkto "germanische Götter-, Helden- und Mythenwelt" von niemandem so sehr inspirieren ließ wie von dem Bayreuther Meister. Kein Wort hierzu in Gugenbergers Buch.

Eine Einleitung sollte Aufschluß über den "roten Faden" des Buches geben. Gugenberger hat jedoch nur wenig Anstrengung darauf verwandt, eine verbindende Klammer um seine Kurzbiographien zu legen. Weshalb sollte man also dieses Buch lesen? Schließt es eine Forschungslücke? Nein, alles hier Dargestellte ist bereits veröffentlicht. Stellt es Bekanntes unter einem neuen Blickwinkel dar? Auch hier: Fehlanzeige. Hilft das Buch, die "Legendenbildung um die okkulten Wege der Nazis" zu durchbrechen, wie im Vorwort vollmundig versprochen wird? Auch das nicht: Die wuchernden Legenden um das "Okkulte im Dritten Reich" werden nicht einmal dargestellt, geschweige denn analysiert oder "entlarvt". Tatsächlich weckt das Buch Erwartungen, die es dann nicht erfüllt. Gugenberger lockt mit Erkenntnissen, liefert aber nur Daten und läßt seine Leser bei der Wertung und Einordnung dieser Informationen im Regen stehen. Wer mit dem Thema bereits vertraut ist, wird das verschmerzen, für den "Neueinsteiger" ist es mehr als ärgerlich.

Die Biographien selbst sind durchaus sauber recherchierte Lebensbeschreibungen. Wem ein Lexikon-Artikel zuwenig ist, eine dickleibige biographische Abhandlung aber zuviel, der findet hier einen schnellen, recht gehaltvollen Überblick über den Werdegang der behandelten Personen. Positiv zu erwähnen ist auch das kapitelweise gegliederte Literaturverzeichnis, das es dem Leser leicht macht, sich gezielt weiterzuinformieren.

Das allerdings war es dann auch schon. Denn Gugenbergers biographische Skizzen erschöpfen sich im wesentlichen in der Ereignisgeschichte und hören da auf, wo die eigentlich interessanten Fragen beginnen. Eine Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der angeblichen "Esoteriker" findet nur oberflächlich statt. Das ausgiebige Herunterbeten von Publikationstiteln und das gelegentliche Einstreuen von Original-Zitaten bringen allein noch keinen Erkenntnisgewinn. Welche Ideen hatten diese Menschen? Weshalb war ihr Denken "okkult"? Wie haben ihre Gedanken den Zeitgeist, insbesondere das NS-Weltbild, beeinflußt? Wie bedeutsam waren sie hierbei im Vergleich mit anderen weltanschaulichen Quellen? Wer das alles nicht weiß, weiß es auch nach der Lektüre von "Hitlers Visionäre" nicht.

Ein fundamentales Defizit ist dabei der Umgang mit den Begriffen. Wer den Anschein erweckt, ein Werk zur Ideen- oder Ideologiegeschichte vorzulegen, sollte wenigstens die Minimalanforderung einer sauberen und systematischen Verwendung von Begriffen erfüllen, die bestimmte geistige Haltungen bezeichnen. Statt dessen wird ausgestreut, was einem gerade so in den Sinn kommt. Ob deutschtümelnd, rassistisch, esoterisch, völkisch, deutschnational, okkult, ariosophisch oder heidnisch-germanisch: alles dasselbe und irgendwie synonym für den rechtsradikal-esoterischen Sumpf. Klarheit ist nicht wichtig, wenn’s nur den Leser schön gruselt.

Doch wie sieht es nun mit den wenigen in dem Buch auftauchenden Personen aus, die wirklich als "Wegbereiter des Nationalsozialismus" gelten können? Zum Beispiel Dietrich Eckart, der Anfang der zwanziger Jahre in zweierlei Hinsicht einen bedeutenden Einfluß auf Hitler hatte. Er vermittelte Hitler nicht nur wichtige Kontakte und machte ihn in den "besseren Kreisen" salonfähig. Sondern er war es auch, der den zahlreichen Ressentiments im Denken Hitlers einen einheitlichen antijüdischen Überbau gab. In Gugenbergers Darstellung erhält man hiervon bestenfalls eine Ahnung. Auch die Grenzen des Eckart’schen Ideentransfers bleiben unberücksichtigt. Lehnte der Dichter nämlich das Judentum als Inkarnation des materialistischen Prinzips ab, verachtete Hitler die Juden immer als "Rasse" und befand sich damit in der Tradition anderer "Ideengeber". Diese Feinheiten bleiben im Kapitel über Hitlers "Ziehvater" außen vor.

Bei den meisten anderen "Esoterikern" – insbesondere Hanussen, Mathilde Ludendorff und Schuler – fragt man sich dagegen, welche Schmerzen der Autor beim Spagat zwischen faktengetreuer Darstellung und sensationsgierigem Marketing aushalten mußte. Jedenfalls sind Gugenbergers Schilderungen fast durchgehend der beste Beweis gegen die These von den "okkulten Wegbereitern". Der angebliche Okkultismus entpuppt sich als schlicht nicht existent oder als pure Scharlatanerie (Hanussen). Und was sind das für "NS-Wegbereiter", die schreiben: "Der nationalsozialistische Tumor ist die trunkene Todesfackel, welche den Völkern ins Schlachthaus voranleuchtet" (Alfred Schuler)? Was sind das für Wegbereiter, die erst nach der Machtübernahme zu einem begrenzten Einfluß kamen (wie Wiligut und Rahn)? Ebenfalls absurd ist es, Mathilde Ludendorff unter die Okkultisten einzureihen. Immerhin hat sie neben Juden, Jesuiten und Freimauern auch "Tibet" (als Synonym für okkulte Strömungen) als eines der "Weltverschwörungszentren" bezeichnet. Und ihre Anhänger haben Okkultgläubige sogar mit Geistesgestörten verglichen. Dies verschweigt Gugenberger. Fazit: Wer sich ernsthaft für "okkulte" Einflüsse auf die NS-Weltanschauung interessiert, wird in diesem Buch nur wenig Brauchbares finden.

Eduard Gugenberger: Hitlers Visionäre. Die okkulten Wegbereiter des Dritten Reiches, Verlag Ueberreuter, Wien 2001, 208 Seiten, geb., 39,80 Mark


 
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