© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Das zweite Gehör
Neues zu Alfred Schuler
Wolfgang Müller

Wer überhaupt etwas mit dem Namen Alfred Schuler (1865–1923) verbindet, denkt auch heute noch zuerst an den Band seiner "Fragmente und Vorträge", den Ludwig Klages 1940 herausgab. Und da Klages’ exzessiv judäophobe Einleitung zu Leben und Werk des Freundes als "berüchtigt" gilt, setzte sich die Vorstellung fest, Schuler selbst spiele wohl als "Hitlers Visionär" eine zentrale Rolle in der ideologischen Vorgeschichte des Nationalsozialismus.

Daß dem nicht so ist, zeigt eine lebhafter werdende geistesgeschichtliche Forschung , die nicht mehr an Schulers weltanschaulichem Nutzwert interessiert ist. Ein Exponent solcher "Versachlichung" ist der Münchner Germanist Baal Müller, der 1997 eine Ausgabe nachgelassener Schriften Schulers edierte ("Cosmogonische Augen"). Müller legt nun eine Aufsatzsammlung vor, die sich mit dem Privatgelehrten im Münchner Umkreis der "Kosmischen Runde" um Stefan George, Karl Wolfskehl und Ludwig Klages befaßt und zu der Karl-Heinz Schuler eine instruktive Übersicht zur Rezeptionsgeschichte beigesteuert hat. Müller beschäftigt sich – im Rückgang auf den vergessenen Sprachphilosophen Lazarus Geiger und mit Seitenblick auf den omnipräsenten Walter Benjamin – mit der hochspekulativen "Anmaßung" Schulers, dank seines "zweiten Gehörs" Zugang zur Welt vor oder hinter den "Entzweiungen" der Moderne finden zu können. Solchen sprachmystisch verkleideten, geschichtsphilosophisch aufgeladeten Hoffnungen auf die Restitution "heiler" Vorzeiten hingen Schuler und Klages exakt zu jener Zeit um 1890 nach, als Nietzsche gerade sein "Gott ist tot" zu Protokoll gab und der Berliner Philosoph Wilhelm Dilthey auf märkischem Sand staubtrocken diagnostizierte, daß "das Messer des historischen Relativismus" alle Metaphysik und Religion "gleichsam zerschnitten" habe. Die neuere Schuler-Forschung kann da mithelfen, uns das Faszinosum zu erklären, wie wenig man gerade im katholischen Milieu Münchens, eines Zentrums der "Gegen-Moderne", bereit war, diese preußisch-protestantischen Leichenbefunde zu akzeptieren.

 

Baal Müller (Hrsg.): Alfred Schuler – Der letzte Römer. Castrum Peregrini Presse, Amsterdam 2000, 132 Seiten, 32 Mark


 
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