© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Rückstoß und Machtvakuum
Mazedonien: Griechenland plädiert für ein demokratisches "Neues Jugoslawien" / EU-Perspektive für alle Balkanstaaten
Gregor M. Manousakis

Die Schuld an der Situation im Kosovo wurde allein den Serben zugewiesen und das Übel nach gewohnter amerikanischer Art personifiziert: Slobodan Milosevic. Er mußte weggebombt werden, damit Frieden in der Region einkehre. Die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK), zunächst als Terrorbande abqualifiziert, wurde ab Frühjahr 1998 von Washington zur Befreiungsarmee und zum Partner der Nato befördert. Sie wurde organisiert, ausgebildet, uniformiert und bewaffnet. So meinte die Nato allen Ernstes, im Kosovo das Vorbild einer multiethnischen autonomen Provinz Jugoslawiens schaffen zu können.

Ankara, Athen und Rom teilten diese Sicht der Dinge nicht. Ihre besseren Einsichten über Südosteuropa wurden aber von Besserwissern und Propagandisten abgetan, und es half auch nicht, daß Berlin ihnen hinter verschlossenen Türen Beistand leistete. Mit der Keule der Bündnistreue und Bündnisfähigkeit wurden sie alle veranlaßt, die wirklichkeitsfremde Aktion der Nato mitzutragen.

Die Albaner betrachten sich schon lange als eine benachteiligte Nation in Südosteuropa. Als die übrigen Völker zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre Freiheit vom Osmanischen Reich erkämpften, blieben die muslimischen Albaner seine treuesten Diener und wurden von der Regierung des Sultans gegen die aufständischen Nachbarn eingesetzt. Als 1912 ein albanischer Staat gegründet wurde, waren die Erbmassen des Osmanischen Reiches in Südosteuropa verteilt, und die Albaner mußten sich damit abfinden, daß ihr Staat nicht alle Volksgenossen einschloß. Auf diesem Mißgeschick baute das kommunistische Regime Enver Hodschas über fünfzig Jahre lang seine national-kommunistische Indoktrination auf, mit Blick auf Kosovo sogar mit Hilfe des Belgrader Diktators Titos.

Vor diesem Hintergrund war von vornherein klar, daß das Bündnis der Nato mit der UÇK im Kosovo eine Wiederbelebung des albanischen Nationalismus zur Folge haben mußte. Die Propagandisten der Nato, trickreich bei der Erfindung von Gründen, um das Geschehen im Kosovo allein den Serben anzulasten, können heute der westlichen öffentlichen Meinung nicht erklären, was in der Republik Mazedonien tatsächlich geschieht: Es handelt sich um den Rückstoß ihrer "humanitären Aktion".

Hinzu kommt eine nirgendwo monierte menschenverachtende Haltung der "Friedensstifter": Sie wollen ihren Willen durchsetzen, dabei aber kein Opfer hinnehmen; lieber sollen sich die "Balkanesen" gegenseitig umbringen. So stellt aber Kosovo ein Machtvakuum dar, trotz der Präsenz der schwer- bewaffneten KFOR.

Es scheint so, daß die Albaner vorerst nicht den Anschluß ihres Siedlungsgebietes an Albanien oder Kosovo anstreben. Sie verlangen zunächst nur ihre Anerkennung als konstituierendes Volk in der erst 1946 von Tito geschaffenen und 1992 unabhängig gewordenen Republik Mazedonien. Dieser Anspruch kann kaum verworfen werden, zumal er zur vorläufigen Befriedung der Region führen könnte. Diese Forderung der Albaner ermöglicht der EU, nachzuholen, was sie zu Beginn der neunziger Jahre versäumt hat: dem auseinanderfallenden Jugoslawien zu einer neuen Form des Zusammenlebens mit einer Option auf Mitgliedschaft für alle zu verhelfen. Dafür muß sich allerdings die EU als Zuckerrohr und Peitsche zugleich präsentieren.

Der griechische Außenminister Georgios Papandreou – ein Sozialist – tritt für die Lösung des derzeitigen Konfliktes in Südosteuropa auf der Grundlage politischer Mittel ein. Das ist der Weg, Frieden in der Region zu stiften. Verteufelungen der Akteure, einseitige Sichtweiten oder die Erzwingung von "multiethnischen Gesellschaften" innerhalb von nationalen Grenzen taugen nur zur Produktion von Schlagzeilen in der Presse. Die Nato retribalisiert Südosteuropa; das allein ist eine europäische Katastrophe.

Heute droht kein europäischer Krieg aus Südosteuropa; wohl kann aber die Entfremdung Europas und der USA dort beginnen. Ansätze sind schon da. IhreVertiefung würde eine neue Katastrophe bedeuten.


 
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