© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Satellitentechnik oder Brachialgewalt
Wirtschaftsspionage: Verfassungsschutzbericht vorgelegt / Milliardenschaden für Wirtschaft / Westliche Dienste bleiben unerwähnt
Ronald Gläser

Im Bericht für das Jahr 2000 warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Deutschland sei "ein bevorzugtes Ausspähungsziel der Nachrichtendienste fremder Staaten geblieben". Das ist nur die halbe Wahrheit – auch befreundete Staaten betreiben "Aufklärung".

Symptomatisch für die bei uns operierenden Geheimdienste ist das vielfach beleuchtete US-Satelliten-Abhörsystem Echelon, das von der National Security Agency (NSA) betrieben wird. Eine der größten NSA-Abhörstationen befindet sich in Bad Aibling. In Landau dagegen hat das französische DGSE seinen Sitz. Diese besorgniserregende Entwicklung wird, was unsere westlichen Freunde angeht, dem Leser des BfV-Berichtes allerdings erspart. Als würde die Frontstellung des Kalten Krieges noch Gültigkeit besitzen, werden nur östliche Dienste und das vermehrte Wirken von Agenten aus den "Schurkenstaaten" analysiert.

Insbesondere den Russen, die gleich drei Dienste einsetzen, widmet sich die Kölner Behörde ausführlich. Diese setzen die üblichen technischen Mittel zur Überwachung ein und werben gezielt Informationsträger an. Da sich die Spionage immer mehr auf wirtschaftliche Tatbestände konzentriert, wird exemplarisch das Beispiel eines deutschen Kaufmanns angeführt, der unlängst zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. In den USA ist ja auch gerade der FBI-Agent Robert Hanssen aufgeflogen, der 15 Jahre lang für die UdSSR und Rußland spioniert haben soll. Ihm droht jetzt die Todesstrafe.

Die Russen arbeiten mit einem Netz aus Agenten, die aus Moskau gesteuert werden. Die Wahl des Ex-KGB-Mannes Putin zum russischen Präsidenten hat die Dienste, die aus dem KGB hervorgegangen sind, sicherlich in ihrer Rolle gestärkt. Daß diese sich dabei – so der BfV-Bericht – altertümlicher Einrichtungen wie "Toter Briefkästen" oder der naheliegenden Tarnung ihrer Mitarbeiter als Journalisten bedienen, ist allerdings keine bahnbrechende Erkenntnis.

Auch anderen Ländern wie China, Nordkorea oder dem Iran wird geheimdienstliche Tätigkeit, die fast immer von der jeweiligen Botschaft aus koordiniert werde, vorgeworfen. Allerdings beschränken sich die meisten Staaten des Nahen Ostens auf die Informationsbeschaffung über ihre oppositionellen Landsleute, die sich in Deutschland aufhalten.

Länder wie Nordkorea oder der Irak suchten bewußt nach waffentechnischen Innovationen oder den Grundlagen für die Herstellung von ABC-Bomben. Das BfV ermittelt schon beim Verdacht, das eine Waffenlieferung in ein "falsches" Land gehen könnte. Die Bilanz mit insgesamt vier Verurteilungen wegen Landesverrat fällt allerdings mager aus.

Vor allem aber kommt der Wirtschaftsspionage durch ausländische Dienste immer größere Bedeutung zu. Der jährliche Schaden geht laut Expertenschätzungen in die zweistellige Milliardenhöhe. Neben der Preispolitik werden meist Produktneuheiten ausspioniert.

Praktisch beginnen solche Maßnahmen mit dem Abhören über Wanzen, Mobiltelefone und neuerdings auch Laptops. Die "kompromittierende Abstrahlung von EDV-Geräten" ermöglicht sogar die Reproduktion von PC-Dateien in mehreren hundert Metern Entfernung. "Trojanische Pferde" auf Rechnern senden Dateien und können unter Umständen auch für den Lauschangriff verwandt werden. Die ganze Vernetzung im Internetzeitalter vereinfacht das Abhorchen und das Auflesen von verschickten Daten. Die internationale Kommunikation wird zudem durch Spionagesatelliten überwacht, über die China, Großbritannien, Rußland und die USA verfügen. Die Gespräche werden anhand von bestimmten herausgefilterten Wörtern oder Wortkombinationen analysiert.

In anderen Fällen geschieht Wirtschaftsspionage auch auf die brachiale Tour: In Teltow bei Berlin wurden letztes Jahr IT-Firmen Opfer von Einbrüchen. Die Täter ließen Geld und teure, aber für sie uninteressante Ausrüstungsgegenstände wie Bildschirme oder Projektoren liegen. Sie raubten in wenigstens drei bekannten Fällen ausschließlich die Computer, auf denen sie wertvolle Dateien vermutet haben dürften.

Die Kriminalpolizei stellte die Ermittlungen nach der üblichen Schonfrist ein. Bundesbehörden interessierten sich nicht für den Fall. Dieses Desinteresse sei bei Tatbeständen wie Lauschangriffen oder Datenklau nicht unüblich, berichtet Dieter Andrasch, ein Anbieter von Sicherheitstechnik. Die meisten Firmen unterschätzen die Bedrohung durch Wirtschaftsspionage, so Andrasch weiter.

Mit keinem Satz erwähnen die Verfassungshüter die umfangreichen US-Abhörmaßnahmen. Die USA begründen ihr Handeln mit der von europäischen Konzernen auf dem globalen Markt praktizierten Schmiergeldzahlung an Auftraggeber. Die Informationssammlung darüber diene nur dem Schutz der heimischen Wirtschaft.


 
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