© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
CD: Austro-Pop
Obskures
Holger Stürenburg

Seit Beginn der siebziger Jahre hat sich in Österreich eine eigenständige, vielfältige und sehr interessant ausgestaltete Rock- und Popszene entwickelt, die unter der Bezeichnung "Austro-Pop" gehandelt wird. Viele dieser österreichischen Popsongs schafften es, nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch hierzulande erfolgreich zu werden. Die in Wien ansässige Firma Universal Music Austria hat nun 120 typisch österreichische Lieder für vier Doppel-CDs mit einer Gesamtspielzeit von fast sechs Stunden aus den Archiven zusammengestellt. Bekannte Hits sind auf den vier Folgen der "Austro-Pop" betitelten Kollektion genauso zu finden wie viele Raritäten und – wohl nur in Österreich mögliche – Kuriositäten aus dem Kabarett- und Kaffeehausbereich.

Natürlich sind die Stars des Austropop auf diesen vier Doppel-CDs mehrfach vertreten: Peter Cornelius mit seinen Erfolgsliedern "Reif für die Insel" oder "Du entschuldige I kenn Di", Rainhard Fendrich mit bösen Balladen wie "Oben Ohne", "Es lebe der Sport" oder – unerreicht zynisch – "Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?"Auch Falcos "Kommissar" und seine Entführerballade "Jeanny" fehlen selbstverständlich nicht. Von Georg Danzer gibt es den legendären "Kniera (die Goldene Kniescheibe)", die "Moritat vom Frauenmörder Wurm", den Radiotophit "Weiße Pferde" oder den knarzenden "Tschick". Wolfgang Ambros präsentiert alles zwischen "Tagwache", "Es lebe der Zentralfriedhof" und "Die Blume aus dem Gemeindebau".

Es ist natürlich eine feine Sache, sämtliche österreichischen Gassenhauer der letzten drei Dekaden gesammelt in einer Kollektion zu besitzen. Aber das spannendste an den CDs ist der Rückgriff auf spezielle, obskure Lieder, Klangkollagen und Kabarettstückerl, die in Deutschland höchstens für austrophile Popfans eine Bedeutung hatten. So die Versuche, Anfang der achtziger Jahre der erfolgreichen Neuen Deutsche Welle eine österreichische Antwort entgegenzusetzen, zum Beispiel mit "Bis zum Himalaja" von Tom Pettings Herzattacken, "Hochsaison im Eissalon" von Babsi Balou oder die synthilastigen Songs "Eismeer" und "Rudi gib Acht" von Minisex. Ebenfalls mit dabei: Superfeucht ("Jetzt oder nie"), STS ("Fürstenfeld", "Da kummt die Sunn" oder "Gö, Du bleibst heut Nacht bei mir"), Carl Preyer ("Romeo und Julia") oder – so genial wie blöd – "Die Grille auf der Brille", mit aller Ernsthaftigkeit vorgetragen von Werner Zauner. Ende der achtziger Jahre tauchten mit dem Sänger Andy Baum und der Band Wolf! zwei Rockacts auf, deren englischgesungenen Fetzern "Still remember Ivonne" (Baum) oder "Miss you like crazy" (Wolf!) man kaum ihr Herkunftsland anhört. Neueren Datums sind die Weanerischen Rockadaptionen von Ostbahn-Kurti & der Chefpartie ("Neiche Schoin", "Arbeit", "Bertl Braun" – eine hervorragende Neubearbeitung von Zappas deftiger Machoparodie "Bobby Brown" – und "Echt Super") bzw. der traditionelle Folkrock von Hubert von Goisern ("Koa Hiatamadl" bzw. "Heast as net").

Doch wer kennt noch so obskure Nummern wie "I bin a Weh" von der Worried Men Skiffle Group, "Lonely Boy" von Johann K. oder "Alle Menschen san ma zwider", gesungen von dem Kabarettisten Kurt Sowinetz zu den Klängen von Beethovens "Freude schöner Götterfunken"? Die Schauspielerin Marianne Mendt kommt mit dem Gospel "Wie a Glock’n" zum Zuge, eine linke Protestband namens Misthaufen mit "Schabernack", und ein Wiederhören gibt es auch mit dem lange verschollenen Titelsong zur Krimikomödie "Müllers Büro" aus dem Sommer 1985. Alles in allem bringen diese vier Doppel-CDs dem geneigten Hörer eine immense Freude. Viele Jahre lang war man auf der Suche nach dem einen oder anderen Stück, das nun in bester Klangqualität erstmals auf CD vorliegt.


 
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