© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Etablierte Kunst und etablierte Macht
von Doris Neujahr

Ab Mitte der achtziger Jahre stürmte eine neue SPD-Führungsgeneration auf die landespolitische Kommandoebene. Dort bleibt das politische Risiko berechenbar, andererseits bietet sich dem, der geschickt agiert, eine weithin beachtete Bühne zur Selbstdarstellung. Daraus können sich Chancen für einen weiteren Karrieresprung ergeben, zumindest aber winkt ein rascher, solider Pensionsanspruch.

Die idealtypische Verkörperung dieser "schmucken Riege von Ministerpräsidenten" (so die damalige SPD-Generalsekretärin Anke Fuchs) war der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm. Schon äußerlich stellte der gutaussehende, hochgewachsene Engholm mit seinen kameragerecht gestikulierenden Händen das glatte Gegenteil zum metzgerhaften Helmut Kohl dar. Gerade erst war er als Opferlamm durch das Tränental der vermeintlichen Barschel-Affäre getrabt und damit auch moralisch als Lichtgestalt ausgewiesen. Mehr noch: Engholm, Lafontaine und später Gerhard Schröder demonstrierten Stil! Sie trugen flotte Krawatten, leisteten sich Leibköche und im Urlaub die Toskana, und vor allem: Sie interessierten sich für moderne Kunst! Endlich gab es Politiker, die sich, statt Autobahnen und Atomkraftwerke einzuweihen, auf Vernissagen und Biennalen tummelten. Durch Fernseh- und Pressebilder teilten sie der Öffentlichkeit mit, daß sie sogar in ihren Amtszimmern auf Inspiration durch die moderne Malerei nicht verzichten mochten.

Der Bürger schwankte zwischen Verblüffung und Ehrfurcht. Es war also doch was dran an dieser ganz und gar neuen, von Anfang an bundesdeutsch sozialisierten Politikergeneration, die nicht nur postnational und postmateriell, sondern sogar postpolitisch dachte. Die eine Politik betrieb, in der die Politik nicht alles war. Die eine kulturelle, spirituelle Dimension mitten in die Politik hineinpflanzte, ja: die die Aufhebung der Politik aus dem Geist der Ästhetik betrieb! Es mußte eine Lust sein, von diesen verfeinerten Wesen dereinst regiert zu werden!

Doch 1989 kehrte die Notwendigkeit zur schnöden Realpolitik zurück, und siehe da, das meiste am neuen Politikstil war hedonistischer Firlefanz. Engholm wurde als Verschweiger unangenehmen Mitwissens entlarvt, was seine Opferrolle in ein zweifelhaftes Licht stellte. "Petitessen", hüstelte er vornehm und verschwand, knapp über fünfzig, in den vom Steuerzahler finanzierten Pensionärsstand. Lafontaine verpaßte über der Beschäftigung mit Stilfragen den Lauf der Geschichte und ließ, endlich doch noch Minister geworden, jede Steherqualität vermissen. Den zur Schau gestellten Kultureifer abstreifend, fiel er schließlich in seine wohl einzige authentische Rolle zurück: in die des beleidigten kleinen Oskars, der den Journalisten partout nicht sagen wollte, warum er sein Ministeramt schwänzt. Politisch überlebt hat nur Schröder, und bei dem ist vom kunstinspirierten neuen Stil ebenfalls nicht viel geblieben. In starken Worten teilte er Leo Kirch neulich mit, das deutsche Volk habe ein Recht auf Fußball in den öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen: Das Kanzler-Machtwort zur regierungsoffiziellen Leitkultur!

Also war alles nur ein schönes Mißverständnis. Doch eben dieses Mißverständnis hat sich als ein bleibendes Vermächtnis der Engholm-Lafontaine-Generation an die deutsche Politik herausgestellt. Inzwischen gehört die moderne Kunst zum standardisierten Medienbild der Politiker. Sogar Volker Rühe, die servile CDU-Bulldogge, findet es schick, sich in der Bild am Sonntag neben einem "abstrakten Öl-Gemälde, überwiegend in schönen Blau-Schattierungen" (O-TonBamS) abbilden zu lassen. Ganz zu schweigen von Guido Westerwelle, der sich anläßlich eines Interviews in der Berliner Zeitung unter dem großflächigen Gemälde eines aufstrebenden Nachwuchsmalers ablichten ließ. Haben nun die deutschen Konservativen und Liberalen den Sozialdemokraten in Sachen Kulturkompetenz den Kampf angesagt?

Nicht einmal das! Die Gründe für die allgemeine Kunstbeflissenheit sind viel profaner. Vor wenigen Jahrzehnten ließ gesellschaftliche Bedeutsamkeit sich noch mit simplen Mitteln in Szene setzen: Ein Telefon auf dem Schreibtisch signalisierte Entscheidungskompetenz, eine Weltkarte an der Bürowand bezeugte das Denken in globalen Dimensionen, und die große Wanduhr im Konferenzraum demonstrierte Effizienz- und Leistungsdenken. Diese Statussymbole sind durch Technikentwicklung und Globaltourismus längst inflationiert. Deshalb haben 85 Prozent der Spitzenpolitiker in Deutschland ihre Arbeitszimmer mit Werken der modernen Kunst ausgestattet. Kaum ein Polit-VIP mehr, der es versäumt, sich für das Interview-Foto vor einem abstrakten Gemälde von kühner Farbgebung in Szene zu setzen. Es bildet den unverzichtbaren Deutungshintergrund, dessen auratischer Glanz auf die eigene Person fallen soll.

Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich spricht sogar von einer "Allianz zwischen Machtelite und zeitgenössischer Kunst". Letztere signalisiert Risikobereitschaft, Aufgeschlossenheit und innovative Ungeduld. Für Politiker (aber auch Manager), die sich heute vorzugsweise mit dem Verprechen, den "Reformstau aufzulösen" und "verkrustete Strukturen aufzubrechen", für eine Karriere empfehlen, ist sie zum gängigen Mittel geworden, ihre spröden Botschaften emotional aufzuladen und um kulturelle und philosophische Dimensionen anzureichern.

Die Fotokompositionen spekulieren auf eine ikonographische Wirkung. Ganz wie die Herrscherbilder aus Feudalzeiten sollen sie die Autorität des Abgebildeten steigern. Die zur Schau gestellte Vertrautheit mit der künstlerischen Moderne, welche in weiten Bevölkerungskreisen noch immer Unsicherheit auslöst, signalisiert über den Umweg der Urteils- und Geschmackskompetenz die eigene Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite.

Gegen solche demonstrativen Herrschaftsgesten ließe sich allein schon eine von Goethes "Maximen und Reflexionen" anführen: "Die Malerei ist die läßlichste und bequemste von allen Künsten. Die läßlichste, weil man ihr um des Stoffes und Gegenstandes willen auch da, wo sie nur Handwerk oder kaum eine Kunst ist, vieles zugute hält und sich an ihr erfreut; teils, weil eine technische, obgleich geistlose Ausführung den Ungebildeten wie den Gebildeten in Verwunderung setzt, so daß sie sich also nur einigermaßen zur Kunst zu steigern braucht, um in einem höheren Grade willkommen zu sein."

Vor allem aber greifen diejenigen, die da als Kunstkenner posieren, lediglich auf Muster avantgardistischer Kunsttheorien zurück, die längst Konvention und damit als Versatzstücke für windschnittige Werbekonzepte abrufbar sind. Es geht nicht darum, verborgenen Tiefsinn an die Oberfläche zu holen, sondern vorhandene Sinndefizite durch "Corporate Identity", "Image" oder "Lifestyle" aufzufüllen. In Zeiten, die denen Politik noch in altmodischer Weise betrieben wurde, nannte man das auch: Ideologie.

Bei soviel Nähe und Politikkompatibilität wird die behauptete produktive Spannung zwischen den Künstlern und den Mächtigen zur Fiktion. Politiker und etablierte Künstler finden sich innigst verbunden im Kreislauf gegenseitiger Vorteilsnahme: Die einen bieten Staatsaufträge und Geld, die anderen das kreative Image.

Den Politikern mag man das nachsehen. Weil die Bürger von ihnen ohnehin nicht viel halten, können sie es ihnen auch nicht übelnehmen, wenn sie sie irgendwann auch als Kunstbanausen durchschauen. Seitdem Schröder wieder den kumpelhaften Currywurst-Proleten herauskehrt, ist seine kapriziöse Phase als Kunstfan und Anzug-Model vergessen und verziehen.

Der Schaden, den dieses Korruptionssystem anrichtet, liegt bei der Kunst und den Künstlern. Denn was ist vom vielbeschworenen anarchistischen, gesellschaftskritischen oder subversiven Potential der Kunst zu halten, wenn diese nicht einmal mehr eine Schamfrist benötigt, um das Arbeitszimmer eines Politikers zu zieren und umstandslos in den Kreislauf des Politikbetriebs eingespeist zu werden? Man gewinnt sogar den Eindruck, daß eine konformistische, ästhetisch stagnierende Kunst ihr angeschlagenes Prestige durch die forcierte Nähe zur Macht zu steigern sucht; daß es sich in Wahrheit um eine Staatskunst wilhelminischen oder kommunistischen Angedenkens handelt.

Gänzlich lächerlich wirkt es schließlich, wenn die Künstler nach wie vor auf ihrer besonderen Wirklichkeitskompetenz bestehen und daraus ihre Funktion als Rebellen und als Sand im Getriebe der Gesellschaft ableiten, und andererseits weder willens noch in der Lage sind, ihre beamtete Hofnarrenrolle kritisch zu reflektieren, geschweige denn, sich aus ihr zu lösen. Ende der neunziger Jahre richtete der damalige Bundespräsident Herzog an die Künstler die Aufforderung, wieder mehr Provokation zu wagen. Eine fast schon peinliche Mahnung, auf ein bißchen Differenz zu achten, weil sonst das Spiel mit verteilten Rollen seinen Sinn verliert.

Aber was bleibt den bundesdeutschen Künstler übrig, wenn der Mut zur echten Sezession nicht vorhanden, das Dabeisein alles und alles Mitte ist und wenn als größte denkbare Radikalität ein risikoloses "Halt’s Maul, Fascho!" was ist vom vielbeschworenen, anarchistischen, gesellschaftskritischen oder subversiven Potential der Kunst zu halten, wenn diese nicht einmal mehr eine Schamfrist benötigt, um das Arbeitszimmer eines Politikers zu zieren und umstandslos in den Kreislauf des Politikbetriebs eingespeist zu werdenor linksmittiger Politik zu enden, ist längst Wirklichkeit geworden. Vorerst aber tun alle Beteiligten noch so, als glaubten sie an ihr eigenes Spiel und den knisternden Konflikt von Geist und Macht.

Da wurde zum Beispiel in der "Kulturzeit"-Sendung vom Sender "3Sat" der Star-Bildhauer Markus Lüpertz als Opfer des Arbeitsministers Walter Riester vorgestellt, weil dieser keine Lust hat, eine Lüpertz-Plastik vor seinem Berliner Dienstsitz aufzustellen. Einige hunderttausend Mark, barmte der Moderator, habe der Künstler dafür bereits investiert – aus eigener Tasche! Dem Redakteur, der hier so wacker die Freiheit der Kunst und des Künstlers gegen die Arroganz der Macht verteidigte, war nicht einmal bewußt, daß seine Argumentation der Logik der freien Marktwirtschaft folgte. Sie lief auf den Vorwurf hinaus, daß durch staatliche Eingriffe einer Investition ihr schneller, risikoloser Profit verweigert wurde! Den meisten Zuschauern indes dürfte der biedere Walter Riester, ein Gewerkschaftsfunktionär alten Schlages, plötzlich als Sympathieträger erschienen sein, weil er sich dieser kostenträchtigen Inszenierung von Staatskünstlern und Medienclaqueuren verweigerte.

"Welche Provokation! Welcher Mut! Welch kühner Kunstgriff!" tönte es aus den Feuilletons und den Mündern betont fortschrittlicher Politiker, als der Konzeptkünstler Hans Haacke durchsetzte, die Reichstagsaufschrift "Dem deutschen Volke" durch die Installation "Der Bevölkerung" zu konterkarieren. Der zögerlichen, realitätsfernen Politik werde durch die moderne Kunst ein flammendes Licht aufgesteckt. – Blödsinn! Haackes Werk ist eindimensionaler Agit-Prop, ein treuherziger Augenaufschlag zum politisch-korrekten Über-Ich. Es signalisiert die Aufhebung der Ästhetik aus dem Geist des Opportunismus und der politischen Feigheit.

Etablierte Kunst und etablierte Macht sind in der "Berliner Republik" tatsächlich eins! Wenn sie auch sonst nicht viel bewirkt haben, bis dahin – immerhin – haben Engholm, Lafontaine & Co. es mit ihrer Umarmung der künstlerischen Moderne gebracht!

Doris Neujahr ist freie Publizistin in Berlin. Sie schreibt regelmäßig für die JF.


 
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