© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
PRO&CONTRA
Wahlpflicht einführen?
Michel Wolter / Hartmut Nassauer

Anhand des Beispiels der letzten Landtagswahlen in der Bundesrepublik ist die obengestellte Frage erneut in die Aktualität gerückt. Ist für deutsche Verhältnisse eine geringe oder gar niedrige Wahlbeteiligung Anlaß zu einer generellen Diskussion über die allgemeine Wahlpflicht, so stellt sich die Frage in Luxemburg nicht.

Zusammen mit unseren belgischen Nachbarn hat das Großherzogtum seit jeher die allgemeine Wahlpflicht in seinem Wahlgesetz verankert.

Sowohl auf politischer Ebene wie auch bei den Wählern selbst besteht (mit einigen Ausnahmen) ein breiter Konsens, was die Beibehaltung der allgemeinen Wahlpflicht anbelangt, insbesonders aufgrund der guten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte.

In der Tat bedingt die Wahlpflicht, sich regelmäßig mit der Politik auseinandersetzen zu müssen, so daß eine starke Garantie besteht, was den Respekt des demokratischen Willens der Bevölkerung betrifft. Die Bereitschaft der Wähler, sich mit der Politik zu befassen, wird durch die Wahlbeteiligung von über neunzig Prozent untermauert. Falls ein Teil der Wählerschaft dennoch der Politik den Rücken zukehren möchte, um damit ihren Unmut kundzutun, besteht immer noch die Möglichkeit, einen weißen Stimmzettel in die Urne zu werfen. Anhand dieser können auch die politisch verantwortlichen Amtsträger die Stimmungslage in der Bevölkerung erkennen und eventuelle Kurskorrekturen vornehmen.

Jedenfalls verleiht die allgemeine Wahlpflicht sowohl dem Parlament wie der Regierung eine starke Legitimation nach innen, so daß diese Pflicht auch bei einer nächsten Reform des Wahlgesetzes beibehalten wird.

 

Michel Wolter ist Innenminister des Großherzogtums Luxemburg. (In Luxemburg besteht Wahlpflicht seit 1919, wie auch in den Niederlanden und Belgien. In Belgien wird der Verstoß gegen die Pflicht, zur Wahl zu gehen, mit einer geringen Geldbuße sanktioniert. Geht ein Wähler mehr als viermal nicht zur Wahl, wird er für zehn Jahre aus den Listen gestrichen.)

 

 

Wählen gehört zu unseren Grundrechten, ist Teil unserer demokratischen Grundfreiheit. Es ist aus gutem Grund keine Pflicht, da mit einer Verpflichtung zur Wahl die freie Entscheidung, ob man wählen will oder nicht, aufgehoben würde. Auch das Nichtwählen ist eine zulässige und legitime demokratische Entscheidung. Wir wollen nicht wie in Blockwartszeiten gezwungen sein, am Wahlsonntag geschlossen und öffentlich sichtbar zur Wahl zu marschieren, sondern wir wollen frei entscheiden, ob wir das Angebot der Wahl für so attraktiv halten, daß wir von ihm Gebrauch machen. Auch die Freiheit des Nichtwählens muß geschützt werden. Deswegen bin ich gegen eine Wahlpflicht.

Auch Wahlenthaltung signalisiert in zulässiger und schlüssiger Weise Kritik an Mißständen und offenbart Unzufriedenheit. In den Ländern, in denen Wahlpflicht besteht, täuscht die höhere Wahlbeteiligung über den wirklichen Grad der Zustimmung zum demokratischen System hinweg. Mißmut und Unzufriedenheit werden von der erzwungenen Wahlbeteiligung übertüncht. Ich denke, es ist viel besser, wenn offenbar wird, daß sich hinter einer Wahlenthaltung Kritik verbirgt, die aufgearbeitet werden muß.

Politik ist immer eine "Bringschuld". Politiker müssen den Wählern Politik nahe bringen. Über diese Verpflichtung geht hinweg, wer als Politiker die Wähler gegen ihren eigenen Willen zur Wahl zwingt. Es wird argumentiert, die mangelnde Teilnahme oder die sinkende Beteiligung beeinträchtige die Legitimität des Ergebnisses. Das ist so nicht nachvollziehbar, denn es genügt, daß jeder die Möglichkeit zur Wahl hat. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Wahl würde nichts an der Einstellung der Wähler ändern, sondern lediglich vorhandene Probleme überdecken.

Eine Wahlpflicht paßt insgesamt nicht in unsere freiheitliche Ordnung. Deswegen sollte es bei dem Recht auf Wahl – und Wahlenthaltung – bleiben.

 

Hartmut Nassauer ist CDU-Europaabgeordneter und Mitglied im Ausschuß für Justiz und Innere Angelegenheiten.


 
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