© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Die Überlebenschancen der Platte sind gering
Hohe Leerstandsraten in Wohnbezirken mit überdurchschnittlicher Plattenbauarchitektur / Abriß ganzer Stadtgebiete wird diskutiert
Paul Leonhard

In den neuen Bundesländern stehen mehr als eine Million Wohnungen leer. Ein reichliches Drittel davon sind Plattenbauten, bis 1990 heiß begehrt. Schuld am Leerstand hat nicht nur eine verfehlte Förderpolitik von Bund und Ländern, sondern vor allem der Zusammenbruch ganzer Industrien. Besonders hart hat es Gemeinden wie das sächsische Hoyerswerda getroffen, in denen zu DDR-Zeiten durch die Braunkohleindustrie ganze Neubaugebiet aus dem Boden gestampft wurden. Jetzt ist diese Industrieperiode Geschichte, die Kumpel sind arbeitslos und die jüngeren zwecks Arbeitssuche in andere Regionen verzogen. Ganze Neubaugebiete verwaisen. Der Stadt Magdeburg kehrten beispielsweise in den vergangenen Jahren 50.000 Menschen den Rücken. Aus der Cottbuser Plattenbausiedlung Sachsendorf zog gar jeder dritte Einwohner weg, Der Leerstand beträgt zwischen 20 bis 25 Prozent.

In vielen Städten werden Wohnungen in solchen Größenordnungen nicht mehr benötigt. Längst werden Häuser nicht mehr um jeden Preis saniert. Die Zeiten seien endgültig vorbei, als mit der "Platte" noch Staat zu machen war, konstatiert Birgit Sorber, Geschäftsführerin der Wohnungsgenossenschaft Sächsische Schweiz. Obwohl die Kaltmiete unter acht Mark pro Quadratmeter liegt, haben von den 2.035 Wohnungen sieben Prozent keine Mieter.

Die einzige Chance seien Grundrißänderungen im Plattenbau. Ähnlich sieht es bei der Neustädter Wohnungsbau- und Wärmeversorgungsgesellschaft aus. Ihr Bestand besteht zu 90 Prozent aus Plattenbauten. Das Hauptproblem für die die Gesellschaft ist der Wegzug von jährlich bis zu 300 Neustädtern. Obwohl in der kleinen Stadt erst ein Sanierungsgrad von 40 Prozent erreicht wurde, ist der Wohnungsbedarf gedeckt. Weitere Investitionen lohnen sich nicht.

Der Abriß ganzer Stadtteile wird diskutiert. In den nächsten 30 Jahren müßte im Osten mehr als eine Million Wohnungen wegen Überangebots abgerissen werden, hat eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie ergeben. Im Visier der Abrißbirne sind speziell die Plattenbauten. Derzeit sind ein Fünftel bis ein Drittel aller Wohnungen in den Plattenbau-Großsiedlungen unvermietet. Eine unvermietete Wohnung fresse die Gewinne von drei vermieteten auf, hat Sachsens Bau-Staatssekretär Abrecht Buttolo errechnet. In der früheren sächsischen Garnisonsstadt Gtroßenhain gibt es in den Plattenbaugebieten einen hohen Leerstand. Eines der Neubaugebiete am Stadtrand habe mittelfristig kaum eine Überlebenschance, prognostiziert das Bauamt. Bei den anderen müsse über Teilabbruch oder Rückbau nachgedacht werden. Man lege allerdings keine Abrißgebiete fest, sondern schaffe aus städtebaulicher Sicht Rahmenbedingungen und setze Entwicklungsschwerpunkte, wo dann Förderungen fließen können, betont Bürgermeister Burkhard Müller. Ein Grobkonzept zur Wohnlandstrategie soll jetzt diskutiert werden.

Derartige Grobkonzepte für die integrative Stadtentwicklung sind die Voraussetzung, daß staatliche Mittel für den Abriß fließen. Bis 2005 sollen in Sachsen bis zu 150.000 Wohnungen verschiedener Bauarten aus dem Markt genommen werden.

Stellte die Sächsische Aufbaubank im Jahr 2000 rund 30 Millionen Mark für den Abriß von 5000 Wohnungen in Plattenbau- und Gründerzeitvierteln bereit, sollen es in diesem Jahr bereits 100 Millionen Mark sein. Die sächsische Landeshauptstadt Dresden beantragte gleich 7,2 Millionen Mark an Zuschüssen. Das städtebauliche Konzept für den Abriß soll im August vorliegen. Fest steht, daß ein Hotel und Wohnhaus an der Elbe ab 2003 rückgebaut werden soll. Außerdem sind der Abriß von Wohnhäusern in den Stadtteilen Prohlis, Löbtau, Cotta und Plauen vorgesehen. In den brandenburgischen Städten Schwedt und Guben wurden bereits 270 Wohnungen abgebrochen, in Thüringen 1.600 der rund 300.000 Plattenbauten. Die "drastische Reduzierung der Platte und gleichzeitige Aufwertung der Stadtteile", nennt Bau-Staatsseketär Buttolo die sächsischen Ziele: "In diesem Jahr muß der Abbruch richtig losgehen." Als Vorreiter sieht er Städte wie Zwickau, Chemnitz, Leipzig und Hoyerswerda. Allerdings ist die "Platte" vielerorts besser als ihr Ruf. In der niederschlesischen Metropole Görlitz haben die Stadtväter in Gründerzeitvierteln weitaus größere Probleme mit dem Leerstand als im DDR-Neubaugebiet Königshufen. Überdies gilt in letzterem das Preis-Leistungs-Verhältnis mit Quadratmeterpreisen zwischen 6,50 und acht Mark als "recht ordentlich".

Insgesamt befinden sich in Sachsen lediglich 21.000 der mehr als 350.000 leerstehenden Wohnungen in Plattenbaugebieten. In Sachsen-Anhalt sind etwa ein Fünftel der leerstehenden Wohnungen Plattenbauten. Überdies sind die Neubaugebiete bei vielen älteren Mietern wegen der günstigen Mieten, der sozialen Durchmischung und gewachsener Nachbarschaften recht beliebt. So wurden in der Lutherstadt Eisleben sogar Plattenbauten aufgestockt, um große Wohnungen zu schaffen.

Inzwischen favorisiert Sachsens Innenminister Klaus Hardraht (CDU) eine "kreative Abriß-Diskussion". Plattenbauten hätten trotz des großen Wohnungsleerstandes eine Zukunft, wenn ihr Umfeld beispielsweise durch Freizeiteinrichtungen aufgewertet werde. Gute Erfahrungen wurden in Magdeburg mit der Modernisierung und dem Umbau von Plattenbauwohnungen gemacht. Auch hier setzt man auf den Rückbau und die Neuordnung ganzer Wohngebiete.

Hochwertige Wohnungen am richtigen Standort hätten im Plattenbau eine Chance, sagt Heinrich Sonsalla, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg mbH (Wobau). So wurden Wohnungsgrundrisse komplett verändert. Der Anbau von Fahrstühlen, um die fünften und sechsten Etagen attraktiver zu machen, sei dagegen zu aufwendig. Wirtschaftlicher wäre hier ein Rückbau ganzer Geschosse. In Cottbus-Sachsendorf wurden die Wohnungen vergrößert und damit für potenzielle Mieter akzeptabel. Allerdings müßten von den ursprünglich 13.200 Wohnungen 1.500 vom Markt genommen werden, schätzt Rudolf Hagemeister, Vorstandschef der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft Stadt Cottbus (GWG). Abrisse seien dabei unumgänglich.


 
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