© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
"Big Brother" auf dem Weg zur Alltagskultur
Datenschutz: Zahl der Telefonüberwachungen hat erheblich zugenommen / Einrichtung von Gendatenbanken ist fragwürdig
Ronald Gläser

Den Anstieg der Telefonüberwachung beobachte ich mit großer Sorge", so lautet einer der Schlüsselsätze im kürzlich veröffentlichten Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung. Dieser hat seine Arbeit in den Jahren 1999 und 2000 auf 250 Seiten zusammengefaßt. Die Quintessenz des Berichts ist, daß wir dem Orwellschen "Big Brother"-Staat ein Stück nähergekommen sind.

Zum einen sieht er seine Arbeit vom Stiefkind zum "allseits akzeptierten hohen Rechtsgut" gewandelt. Datenschutz stelle heute einen Schutz der Bürger vor informationshungrigen Behörden und Unternehmen dar, so der Beauftragte Joachim Jacob. Die Haltung der Bürger beurteilt das FDP-Mitglied zwiespältig: Einerseits gewöhnten sie sich an die zunehmende Überwachung durch überall postierte Kameras (Tankstellen, Kaufhäuser, Geldautomat). Hier fordert der Bundesbeauftragte, die Verbreitung nichtautorisierter Bilder und Filmezur Straftat zu machen. Andererseits aber sei im Bewußtsein vieler Konsumenten eine kritische Haltung bezüglich der von ihnen zur Verfügung gestellten Daten bemerkbar (Handykauf, Internetzugang).

Der Report nähert sich allen denkbaren Lebensbereichen, in denen datenschutzrelevante Tatbestände auftauchen: von staatlichen Behörden über Versicherungen, Post- und Verkehrswesen bis hin zum Einsatz von Chipkarten. Besonderes Augenmerk liegt natürlich auf den staatlichen Behörden. Diese greifen in unterschiedlichster Form auf persönliche Daten zu, speichern und verwerten sie. Zur Debatte um die Stasi-Unterlagen von Westpolitikern vertritt der Bundesbeauftragte eine klare Meinung: Der Opferschutz abgehörter Politiker habe Vorrang vor anderen Interessen.

Die Telefonüberwachungen sind in den letzten fünf Jahren – offiziellen Angaben zufolge – fast auf das Dreifache angestiegen. In einer Entschließung im vergangenen Jahr bereits forderte Jacob, daß endlich effektive Auskunft über Umfang und Ausmaß der Lauschangriffe erteilt werde. Daraus läßt sich leicht schließen, daß er selbst den offiziellen Zahlen von "nur" 12.651 Überwachungsanordnungen keine große Bedeutung zumißt. In Wirklichkeit werden – unabhängig von einer späteren Verwertung – weit mehr Personen abgehört als von den unterschiedlichen Institutionen zugegeben. Nicht zuletzt die Verfassungsschutzämter verfügen Insiderangaben zufolge über die Technik, Abertausende von Gesprächen zu verfolgen, was sie zweifellos auch tun. Doch ausgerechnet in Hinblick auf die Arbeit der VS-Ämter ist der Bericht ausgesprochen mager. Offenbar mauern diese Einrichtungen besonders erfolgreich gegen eine Untersuchung ihrer Tätigkeit. Zwei der 300 Seiten werden dem Verfassungsschutz gewidmet, während selbst für das betriebliche Personalwesen und die dort verwalteten, unspektakulären Daten zehn Seiten vorgesehen sind. Selbst der BND wird stärker beleuchtet.

Gerade das Kapitel über den BND ist dafür sehr aufschlußreich. Hier wird nämlich das Thema Echelon angesprochen. Im dem in der Vorwoche veröffentlichten Verfassungsschutz-Bericht wurde dieses Thema gänzlich ausgespart. Abhöraktionen der Amerikaner, die sogar von deutschem Boden aus durchgeführt werden (Bad Aibling), paßten scheinbar nicht in das Bild. Die Bundesregierung leugnet diesen Zweck der US-Satellitenüberwachung stets, während selbst die Amerikaner offen zugeben, daß Echelon zur Wirtschaftsspionage eingesetzt wird. Jacob hinterfragt die Legitimität dieser Einrichtung und fordert Transparenz.

Andere Themenbereiche des Berichts und Beanstandungen beziehen sich auf Maßnahmen von Arbeitgebern oder Wirtschaftskonglomeraten. So wird die zunehmende Überwachung von Arbeitnehmern kritisiert. Mitarbeiter in Telefonzentralen werden beispielsweise überwacht, indem sich ihre Vorgesetzten unerlaubt in ihre Gespräche einschalten.

Ein anderer Fall von fragwürdiger Informationssammlung ist das Payback-Programm verschiedener Konzerne. Diese bieten ihren Kunden Rabatte, die mittels Chipkarten und EDV ermittelt werden. Die Auswertung der Daten dient natürlich marketingspezifischen Maßnahmen, wie beispielsweise der Erstellung bestimmter Angebote für gesonderte Kundengruppen.

Nach der spektakulären Entschlüsselung des menschlichen Genoms geht der Bericht auch auf die Problematik der zunehmenden "Gen-Kontrolle" ein. Gen-Test dürften nur aufgrund von richterlichen Anordnungen und nicht aufgrund von Einverständniserklärungen durchgeführt werden.

An einem anderem Thema führt den Beauftragten im Zeitalter der Informationsgesellschaft auch kein Weg vorbei: das Internet. Die Herausgabe von Kundendaten der Internetprovider an Strafverfolgungsbehörden hält er nur im Einzelfall für gerechtfertigt. Er selbst rät, E-Mails gut zu verschlüsseln.

Die Politik geht gerade hier aber in eine andere Richtung. Herta Däubler-Gmelin forderte unlängst eine verstärkte Internetkontrolle. Mit klassenkämpferischen und antifaschistischen Argumenten ging sie auf einer Konferenz Anfang April das Thema an. Und Innenminister Schily erwägt offenbar sogar den Einsatz einer staatlichen Hackertruppe gegen "rechtsradikale" Internetseiten, die im Ausland betrieben werden. Wo der deutsche Rechtsstaat nicht zugreifen kann, sollen künftig Computerexperten tätig werden, die ganz bewußt das Recht brechen – zur Verteidigung des Rechtsstaates, versteht sich.


 
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