© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Hirtenbrief: "Macht Schluß mit diesem Haß"
Bosnien-Herzegowina: Kardinal Vinko Puljic über die Aktionen des EU-Repräsentanten Wolfgang Petritsch gegen die Kroaten
Vinko Puljic

Ich weiß, daß Ihr, als Ihr von den Lei- den Christi gelesen und gehört habt, Euer eigenes gegenwärtiges Leben wiedererkennen konntet. Ich weiß, viele sind in diesen Tagen voller Unsicherheit und voller Fragen: Wie soll man das alles überwinden, wie soll man in dieser Finsternis dennoch ein Licht erkennen? Es verwirren uns jene, welche die Macht haben. Es verwirren uns jene, die über die Medien gebieten. Es verwirren uns jene, die uns mit Unterschriften erpressen. Wir sind verwirrt und wollen wissen, was wir tun sollen. Was soll man sagen? So wie sie, als sie Christus verurteilten, Unfrieden und Zersetzung unter den Jüngern hervorriefen, erleben wir jetzt, daß alle jene Erfolg hatten, welche – ich weiß nicht, aus welchen Gründen sie das anstreben – unser kroatisches Volk zerschlagen wollen.

Es ist traurig, anhören zu müssen, wie sich die unterschiedlichen Träger der Macht untereinander streiten, denn wir fühlen, daß das unser Fleisch und Blut ist. Deshalb rufen wir gerade im Namen der Liebe Christi und jenes Glaubens, der in unserer Geschichte verwurzelt ist, alle diese Menschen, diese Träger der Macht gleich welcher Art, auf: Macht Schluß mit diesem Haß, macht Schluß mit diesen Wortgefechten! Wir wollen kein Kleingeld sein, mit dem sie ihre Rechnungen begleichen! Im Namen der Leiden Christi – haltet ein mit diesem Haß, den Ihr unter uns verbreitet! Ich rufe Euch auf: findet einen Weg für ein Gespräch, für eine Übereinkunft! Wir wollen Hoffnung in dieses Volk tragen!

Was ist unsere Sünde? Die eine Hälfte dieses Landes ist so gesäubert worden, daß sich dort keine Kroaten mehr befinden. Soll jetzt auch die andere Hälfte so gesäubert werden? Ich ermutige Euch, liebe junge Menschen, laßt Euch nicht verwirren. Habt Vertrauen zum gekreuzigten Christus. Folgt ihm nach, indem Ihr Euer Kreuz auf Euch nehmt. Der Wert liegt nicht in der Zahl der Stimmen, welche man bekommt. Der Wert liegt in jenem, was in sich Wert hat. Entscheidet euch deshalb für die wahren Werte. Es kann aber der wirkliche Wert in einem nicht leben, wenn es im Herzen keine Bereitschaft zum Opfer, zum Kreuz gibt. Deshalb wollen wir in diesen Tagen beten: Herrgott, erleuchte den Verstand allen jenen, die glauben, daß ihnen von Gott gegeben wurde, die Wahrheit zu verkünden! Über den, der schuldig ist, mögt Ihr zu Gericht sitzen – aber nicht in der gleichen Weise wie über Christus! Richtet über ihn auf der Grundlage von Argumenten, aber Ihr dürft nicht ein ganzes Volk als kriminelles Volk verurteilen! Wir wollen nicht auf ewige Zeiten gebrandmarkt sein und einen Minderwertigkeitskomplex mit uns tragen. Wenn wir auch zahlenmäßig weniger sind, so sind wir deshalb doch keineswegs weniger wert, denn wir tragen in uns einen Reichtum des Geistes, einen Reichtum der Kultur, die davon Zeugnis ablegen, daß wir offen sind. Auch unsere Kathedrale ist nicht eingezäunt, unsere katholischen Bauten sind nicht eingezäunt. Sie sind offen. Alle anderen Objekte sind eingezäunt. Deshalb finden sich auf den Mauern der Kathedrale alle diese Aufschriften, die der Stadt (Sarajevo) und dem Land (Bosnien) zur Schande gereichen. Warum müssen unsere religiösen Bauten derart schändlich beschmiert werden? Wir wollen zeigen, daß wir offen sind, wir wollen mit den anderen leben, aber Ihr dürft uns nicht länger unterdrücken, Ihr dürft den Frieden nicht durch Waffengewalt aufbauen!

Baut den Frieden durch Übereinkunft, durch Gespräch und Dialog! Wenn jemand schuldig ist, sperrt ihn ein – aber Ihr dürft nicht ein ganzes Volk brandmarken und einsperren!

Ich rufe Euch auf, laßt Euch nicht überreden, vom Arbeitsplatz fernzubleiben. Ihr habt ein Recht auf Euren Arbeitsplatz. Laßt Euch nicht erpressen. Wer immer Euch irgendwelche Papiere vorlegt, damit Ihr im Zeichen der Solidarität unterschreibt, ist kein Freund des kroatischen Volkes. Wer darf uns erpressen, wir sollten unterschreiben, daß wir dieses Land lieben und in ihm leben wollen auf der Grundlage des Glaubens unserer Väter. Deshalb dürft Ihr keine Papiere unterschreiben. Ihr habt ein Recht zu arbeiten. Ihr habt ein Recht, in Euren Wohnungen zu bleiben. Ihr habt ein Recht, das zu bleiben, was Ihr seid. Den internationalen Anführern empfehlen wir: Wenn Ihr mit uns so reden wollt, daß wir vorher alles unterschreiben müssen, dann ist dies kein Gespräch, sondern eine Diktatur! Wir wollen Gespräche führen, um sagen zu können, was wir sind und daß wir bleiben möchten, was wir sind!

 

Kardinal Vinko Puljic ist Erzbischof von Sarajevo und Ober-Bosnien.


 
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