© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Finnischer Egoismus gefährdet Balten
Carl Gustaf Ströhm

Finnlands Präsidentin Tarja Halonen ist eine stramme linke Sozialdemokratin – das muß man bedenken, wenn man ihre jüngsten Äußerungen analysiert. Die laut Selbstdefinition "relative Pazifistin" hat nämlich erklärt, Finnland werde zwar einen Beitritt Estlands, Lettlands und Litauens zur EU, nicht aber deren Mitgliedschaft in der Nato unterstützen.

Diese Ankündigung schlug in den baltischen Hauptstädten wie eine Bombe ein und wurde von baltischen Politikern, die sich auf die Sympathie des Ostsee-Anrainers verlassen hatten, als Ohrfeige empfunden. Inzwischen hat Frau Halonen, die am 25. April einen Staatsbesuch in Polen antritt – einem neuen Nato-Mitglied, das an der Aufnahme der Balten zwecks Sicherung der eigenen Nordflanke interessiert ist –, in der Form zwar ein wenig abgewiegelt, in der Sache aber blieb sie hart. Zwar werde Finnland jenen Ländern, welche sich einen Weg in die Nato suchten, keine Hindernisse in den Weg legen, sagte sie der polnischen Zeitung Trybuna. Aber Finnland wolle Rußland nicht durch eine Unterstützung der Balten "provozieren". Finnland wünsche zu Rußland Beziehungen von gleicher Qualität wie zu Schweden und Norwegen. Und die 57jährige warnte: "Finnland ist besorgt über die instabile Situation in Rußland."

Zynisch und realistisch könnte man sagen: Finnland hat seine vielzitierte Solidarität mit den baltischen Nachbarn – vor allem zum eng verwandten Estland – zugunsten von Handels- und Wirtschaftsinteressen geopftert. Auch für das Rußland-Geschäft gilt das Lateinische "non olet": Geld – in diesem Falle der Rubel – stinkt nicht.

Was Präsidentin Halonen nicht bedenkt, ist die Tatsache, daß Rußland damit ein Vetorecht über die Zuverlässigkeit einer Nato-Mitgliedschaft eingeräumt wird. Wenn man Rußland im Falle des Baltikums nicht "provozieren" darf – dann könnte das morgen analog auch für Bulgarien, Rumänien, die Kaukasus-Republiken oder Zentralasien gelten. Zumindest die Frage muß erlaubt sein, ob hier die "relativ pazifistische" Präsidentin nicht einer Wiederherstellung der Sowjetunion das Wort redet – ob wissentlich oder nicht, spielt keine Rolle.

Die baltischen Staaten stehen vor der bitteren Erkenntnis, daß ihr fundamentales Sicherheitsproblem zehn Jahre nach Wiedergewinnung der Unabhängigkeit und nach Abschütteln sowjetischer (russischer) Okkupation immer noch nicht gelöst ist. Die Balten – und hier wiederum die Esten an erster Stelle – unternahmen große Anstrengungen, alle westlichen Wünsche und Vorbedingungen zu erfüllen. Voller Stolz beteiligten sich ihre Militärkontingente an der "Nato-Partnerschaft für den Frieden". Doch bis heute gibt es – mit Ausnahme Dänemarks – keinen einzigen westeuropäischen Staat, der ihre Nato-Aufnahme vorbehaltlos unterstützt.

Von den Großmächten verhalten sich Briten und Franzosen mehr als zurückhaltend – und die Deutschen, gleich ob unter Kohl oder Schröder, winden sich wie die Aale, um sich nicht festlegen zu müssen. Als Rußlands Außenminister Igor Iwanow jüngst erklärte, die Partnerschaft zwischen Deutschen und Russen sei einer der wichtigsten europäischen Stabilitätsfaktoren, antwortete der litauische Ex-Präsident Vytautas Landsbergis, diese Art Partnerschaften seien vielen Europäern in sehr schlechter Erinnerung. Er meinte den Ribbentrop-Molotow-Pakt des Jahres 1939. Die Balten haben durchaus Anlaß, sich zu fragen, ob sie nicht nochmals jenseits der "roten Linie" im Stich gelassen und "Moskauer Sicherheitsinteressen" geopfert werden.


 
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