© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Das ökologisch korrekte Gewissen retten
Umweltpolitik: Bundesregierung läßt Getränkeindustrie abblitzen – Zwangspfand kommt 2002
Ronald Gläser

Arbeitsteilung im Kabinett Schröder: SPD-Generalsekretär Franz Müntefering wirft den Mineralölkonzernen vor, daß sie "augenzwinkernd" die Spritpreise zur Ferienzeit in die Höhe treiben würden. Er spricht damit aus, was jeder Autofahrer bei dem Blick auf die Zapfsäule denkt, und tut so, als gäbe es keine "Ökosteuer". Populismus nennt man das.

Auf der anderen Seite rettet der Grünen-Politiker Jürgen Trittin im Einklang mit dem parteilosen Wirtschaftsminister Werner Müller das ökologisch korrekte, rot-grüne Gewissen und sorgt für eine Mehrbelastung der Verbraucher. Die Getränkeindustrie soll mit einem Zwangspfand zwischen fünfzig Pfennig und einer Mark belastet werden. Dieser Pfand könnte ab 2002 auf Einwegflaschen aus Glas und Kunststoff erhoben werden.

Die Getränkeindustrie wehrt sich jetzt lautstark gegen diese Pläne. "Ökologisch und ökonomisch unsinnig" nannte ein Verbandssprecher die geplante Verordnung. Die notwendigen Investitionen beliefen sich auf 2,6 Milliarden Mark, ferner würden Jahr für Jahr Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden anfallen, argumentieren der Handel und die Ernährungsindustrie.

Die Bundesregierung hält dem entgegen, daß die Industrie den Niedergang der Mehrwegflaschen hervorgerufen habe. Das ist so falsch nicht, denn der Anteil der Mehrwegverpackungen ist schon vor vier Jahren unter die Marke von 72 Prozent gefallen. Das marktbeherrschende Erfrischungsgetränk Coca Cola wird beispielsweise fast nur noch in Einweg-Plastikflaschen verkauft. Auch bei Mineralwasser ist dieser Trend unübersehbar. Das Unterschreiten dieser Marke mache die Einführung eines Pflichtpfands erforderlich, so Trittins Staatssekretär Rainer Baake.

Daraufhin präsentierten die Industrieverbände einen Plan, der aus Sicht des Umweltministeriums ein "absolutes Placebo" darstellt. 250 Millionen Mark will die Getränkewirtschaft Umweltschutz-Projekten zur Verfügung stellen. 23 Milliarden Liter sollen im Rahmen einer Selbstverpflichtung künftig in Mehrwegverpackungen ausgeliefert werden. Damit sänke der Anteil der Mehrwegflaschen noch weiter ab, so das Umweltministerium. Gespräche mit den Unternehmen lehnt die Regierung rundheraus ab.

Müntefering und Trittin haben dennoch eines gemeinsam. Beide gehen mit den großen Industriekonzernen hart ins Gericht, während sich Union und FDP auf die Seite der Wirtschaft stellen. Im Falle der Verpackungsverordnung mögen ökologische Bedenken im Vordergrund stehen. Bei der sogenannten Ökosteuer handelt es sich allerdings um eine Mogelpackung sondergleichen.

Aber auch die geplante Zwangsabgabe ist unausgewogen. Die erste Ausnahmeregelung wurde bereits in Aussicht gestellt, womit die ganze Vorgehensweise wieder undurchschaubarer und ungerechter zu werden droht. Auf Weinflaschen soll das Pfand nicht erhoben werden. Nachdem die Wahlen in Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg vor kurzem über die Bühne gegangen sind, überrascht diese große Rücksichtnahme auf die dort ansässigen Winzer. Es sieht so aus, als habe die Toskana-Fraktion Gefallen an deutschen Weinen gefunden.


 
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