© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Ringen um die Freiheit
Bei den Parlamentswahlen in Italien steht eine Rechtswende bevor
Frank Philip

Schon in der römischen Antike wußte man: Liebe geht durch den Magen, auch und gerade die der Wähler. Anwärter auf politische Ämter ließen zur Zeit der römischen Republik an den wahlberechtigten Plebs der Armenviertel Häppchen und Getränke verteilen. War die kleine Mahlzeit oder das Schlückchen Wein dann verzehrt, erblickte man auf dem Boden des Tonschälchens eingeritzt den Namen und eine Botschaft des werbenden Politikers. Zumindest in dieser Hinsicht hat sich seit 2.000 Jahren nicht viel verändert. Auch heute sind auf Italiens Gassen und Plätzen die Zelte und Stände der Parteien aufgebaut, wo Passanten neben den üblichen Flugblättern so manche Erfrischung gereicht wird. "Forza Italia" etwa verschenkt massenweise grün-weiß-rote Minzbonbons.

Am 13. Mai wählen die Italiener ein neues Parlament. Die Zelte, bunten Wimpel und zuckersüßen Präsente täuschen über die Brisanz dieses Wahltags hinweg. Es steht dem Land eine entscheidende, vielleicht die entscheidende Wahl zwischen dem regierenden Linksbündnis und der oppositionellen Rechten bevor. Die Aussicht auf einen Machtwechsel ließ Literaturnobelpreisträger Dario Fo schon von einem "politischen Endkampf" gegen die Rechte sprechen. Wer soll Italien ins neue Jahrtausend führen: Francesco Rutelli, der grüne Bürgermeister von Rom, oder Silvio Berlusconi, der Chef des rechten Bündnisses "Casa delle libertà"?

Meinungsumfragen verheißen den Rechten einen soliden Vorsprung von bis zu zehn Prozentpunkten. Alle Hoffnung der italienischen und auch europäischen Linken liegt nun auf Francesco Rutelli. Bedeutend jünger als Berlusconi, nämlich 46 Jahre alt ist Rutelli, groß, schlank, elegant. Wohlgesonnene Journalistenvergleichen ihn mit Bill Clinton ("Il Clintonino") und messen Rutellis frische Gesichtshaut mit einer angeblich "abblätternden Schminke" von Berlusconi. Selbstbewußt kontert Berlusconi, Rutelli habe "zwar mehr Haare auf dem Kopf, doch ich werde gewinnen".

Italien hatte nach dem Krieg bereits 58 Regierungen, vielleicht tausend Minister und zigtausend Abgeordnete. Darunter waren Gauner und Gutmeinende, Korrupte und weniger Korrupte, Schillernde und weniger Schillernde. Das politische Personal des Landes zeichnete sich von jeher durch einen exzentrischen Zug und ungewöhnliche Biographien aus. Rutelli startete seine politische Karriere extrem weit links. Als Assistent von Marco Pannella, dem Chef der anarchistischen Radikalen Partei, predigte er Abtreibung, Drogenfreiheit, Sex und Rock’n’Roll. Eine Hardcore-Pornodarstellerin war seine Fraktionskollegin, aber in Italien nimmt man es locker.

Warum sind gerade diese Wahlen nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa von großer Bedeutung? In den Reihen des sechs Parteien umfassenden linken Ulivo-Bündnis finden sich orthodoxe Kommunisten, in Berlusconis "Haus der Freiheiten" sind die Postfaschisten ein fester Partner. Was jedoch "links" erlaubt ist, darf "rechts" nicht sein: "Auf der Ebene historischer Legitimation der gegenwärtigen europäischen Demokratien" sei "nur der Antifaschismus Erbgut und Grundnorm, weil die Kommunisten fester Bestandteil der militärischen Allianz waren", verkündete der italienische Intellektuelle Paolo Flores D’Arcais letztes Jahr in der FAZ. Es scheint eine läßliche Sünde, wenn jemand roten Mördern huldigt(e), solange er sich in die Front der "Antifaschisten" einreiht.

Und da hakt es halt beim Personal der "Casa delle libertà" ein wenig – schon vom Namen her. Für die Nationale Allianz engagiert sich etwa Alessandra Mussolini, die Enkelin des Diktators. Daß sie sich hauptsächlich für soziale Belange einsetzt, für die Rechte der Frauen und Kinder, daß sie Gewalt gegen Prostituierte bekämpft – alles ganz fortschrittliche Positionen –, interessiert dabei keinen EU-Wächter. Sippenhaft lehnen sie zwar allgemein ab, doch in solch einem Fall ist sie ganz hilfreich.

Auch an Umberto Bossi stoßen sich die Hüter der EU-Werte. Er habe den Bau einer Mauer an der Grenze zu Slowenien vorgeschlagen, um illegale Einwanderer abzufangen, lautet der Vorwurf. Haben nicht die USA an ihrer Grenze nach Mexiko mit dem gleichen Ziel einen Stahlwall errichtet? Bossi und viele seiner Mitstreiter haben über Jahre hinweg Sympathie für Jörg Haider und die FPÖ bekundet, auch wenn sie sich nun aus taktischen Erwägungen distanzieren. Für den Fall eines Regierungswechsels in Italien möchte Belgiens Außenminister Louis Michel deshalb das Land unter politische Quarantäne stellen, auch Bundeskanzler Schröder will sich "einmischen".

Berlusconi beeindruckt die italienischen Wähler vor allem mit seiner persönlichen Erfolgsbilanz. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat er sich als Immobilien- und Medienunternehmer ein Milliardenvermögen erworben. Er ist heute Eigentümer des drittgrößten italienischen Privatkonzerns namens Fininvest, der drei private Fernsehkanäle des Landes kontrolliert und mit 40.000 Angestellten einer der größten Arbeitgeber des Landes ist. Nebenbei erwarb er den Fußballverein AC Mailand und führte ihn an die Weltspitze. Anfang 2000 gelang es der regierenden Linken, mit einem "lex Berlusconi" seine Verfügungsgewalt über seine Sender deutlich einzuschränken. Berlusconi aber argumentiert, seine Programme stellten nur ein Gegengewicht zum linkslastigen Staatsfernsehen dar.

Der 64jährige regierte Italien schon einmal 1994 nach einem überraschenden Wahlsieg in einem Bündnis mit Gianfranco Finis Alleanza Nazionale und Umberto Bossis Lega Nord. Erst ein Jahr zuvor hatte er die Forza Italia gegründet, welche nach dem Untergang der bürgerlichen Democrazia Cristiana einen Durchmarsch der mehr oder weniger gewendeten Kommunisten abwehren sollte. Doch bereits nach acht Monaten führte ein Zerwürfnis mit dem exzentrischen Lega-Chef Bossi zur Auflösung der Regierung.

Nach den für die Rechte verlorenen Parlamentswahlen 1996 bezog für das linke Olivenbaum-Bündnis der Wirtschaftsprofessor Romano Prodi als Ministerpräsident den Palast an der Piazza Colonna. Im Herbst 1998 legten die Altkommunisten wegen Prodis restriktiver Haushaltspolitik die Axt an den Olivenbaum. Mit Massimo D’Alema kam dann, was Berlusconi 1994 noch zu verhindern wußte: Erstmals in der Geschichte Italiens wurde ein Funktionär der ehemaligen Kommunistischen Partei (KPI) Regierungschef, und mehrere Altkommunisten bekamen Ministerposten. D’Alema hatte als Chefredakteur der Parteizeitung Unità dabei mitgewirkt, die KPI in Partei der Demokratischen Linken (PDS) umzutaufen. Wie auch in Deutschland im Fall der SED gaben die mehrheitlich linksgerichteten italienischen Journalisten dieser Metamorphose ihren Segen.

Als im April 2000 das Rechtslager aus Forza, Lega und Alleanza bei den Regionalwahlen mit über 50 Prozent der Stimmen eine triumphale Rückkehr feierte, reichte D’Alema seinen Rücktritt ein. In Rom und Umgebung hatte die Alleanza starken Zulauf und stellt seither den Regierungspräsidenten von Latien; Forza und Lega gewannen im reichen Norden massiv dazu. Mit Verweis auf den gravierenden Stimmungswandel im Lande forderte die Opposition sofortige Neuwahlen, doch Staatspräsiden Ciampi, der zuvor Schatzminister im linken Bündnis war, gab seinen Freunden noch eine Gnadenfrist und ernannte den farblosen Finanzexperten Giuliano Amato zum Ministerpräsidenten.

Der italienische Zeitgeist weht deutlich nach rechts. Im vergangenen Sommer stritt man wie in Deutschland um die Leitkultur, die cultura dominante. Das Kampfwort gegen Überfremdung wurde begierig aufgenommen. Mit lautstarken Protesten und einer Massendemonstration verhinderte die Lega Nord den Bau einer großen Moschee vor den Toren Mailands. Selbst geschmacklose Aktionen wie das Verschütten von Schweineblut an der Stelle, wo ein muslimisches Gebetshaus entstehen sollte, änderten nichts an der grundsätzlichen Zustimmung der Bevölkerung zur Haltung der Lega.

Das alles hat wenig mit den hehren EU-Werten und viel mit christlich-abendländischer Selbstbehauptung zu tun. Kirchenmänner wie der Erzbischof von Bologna, Kardinal Giacomo Biffi, warnen vor den Gefahren einer Islamisierung, und die Empörung der politisch Korrekten verpuffte. Auch die Audienz des Papstes für Jörg Haider anläßlich der Übergabe des Kärntner Weihnachtsbaumes für den Vatikan mag als ein Signal in diese Richtung gedeutet werden. In Fragen der Abtreibung, der Gleichstellung von Homosexuellen und dem besonderen Wert der Familie vertritt das Rechtsbündnis die Meinung der katholischen Kirche, der immerhin 83 Prozent der Italiener angehören.

Fast tägliche Beschwörungen einer angeblich drohenden faschistischen Diktatur nimmt kaum noch jemand ernst. Umberto Eco, den man früher als literarisches Gewissen des Landes rühmte, wird ignoriert. Insgesamt wirkt die italienische Linke verbraucht und von ideologischem Ballast erdrückt: Einerseits trägt man noch Hammer und Sichel im Wappen, andererseits beschäftigt sich die Jugend jetzt mit Karriere und dem "nuovo mercato". Als die von Antonio Gramsci gegründete Unità nach acht Monaten Pause im März dieses Jahres wieder an die Kioske ging, rieb sich so mancher die Augen. War das noch die alte KP-Zeitung? Im Wirtschaftsteil finden sich jetzt seitenweise Kursnotizen. Selbst Altmarxisten haben es also satt, das "Kapital" ständig nur zu lesen. Sie wollen es endlich einmal gewinnbringend anlegen.

Bei einem Wahlsieg des Rechtsbündnisses wären atmosphärische Störungen in der EU garantiert. Drängen kompromißlose EU-Linke auf eine Art Boykott, würde erneut offensichtlich, daß hinter der Fassade hochtrabender Rhetorik von den "Werten" der EU pures Machtkalkül der Linken steckt. Mit ihrer Entscheidung für Sanktionen nach dem Regierungswechsel in Österreich ist die europäische Kolonne vom freiheitlichen Wege abgekommen und in die totalitäre Sackgasse eingebogen. Italien ist nur der Anfang im Ringen um die Freiheit in Europa.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen