© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Edgar Wallace im Schwarzwald
Im schwäbischen Neustadt fand zum dritten Mal ein nostalgisches Festival rund um die legendäre Filmreihe statt
Gerd Sauer

Allzu bierernst sollte man an die Wallace-Filme nicht herangehen. Es sind Komödien. So haben wir sie uns damals gedacht und so sollten sie auch heute empfunden werden." Wenn es so einfach wäre, wie es Martin Böttcher, Komponist der Musik zahlreicher Edgar-Wallace-Streifen, sagt. Grotesken sind sie im besten Sinne. Nicht nur wenn Eddi Arent sich hochgemut über Unterwelt wie auch Vorgesetzte hinwegsetzt, gibt’s was zum Lachen. Regisseure wie Harald Reinl oder Alfred Vohrer haben es genau gewußt: Selbst nach dem entsetzlichsten Mord braucht es einen zünftigen Lacher. Es waren Details, wie knarrende Türen in verwinkelten Schlössern oder üble Suffkneipen in Soho, in denen sich die Krimi-Satiren vom Feinsten abspielten. Ob sich Gert Fröbe wild bramabasierend dem "Grünen Bogenschützen" gegenüberstellt oder der von der eigenen Wichtigkeit stets überzeugte Sir John alias Siegfried Schürenberg den "Mönch mit der Peitsche" jagt: zumindest zum Schmunzeln gibt’s einiges.

Die Wallace-Filme waren erfolgreiche Straßenfeger, wenn auch die Filmkritik häufig ätzte über diese Streifen. Noch heute braucht das Publikum die deutschen Grusel-Schocker allein aus nostalgischen Gründen. Und wenn sie nicht alle naselang im Privatfernsehen wiederholt werden, dann regt sich schon Unruhe in der treuen Gemeinde, obzwar sie ohnehin schon sämtliche Filme auf Video hat. Und wie das so ist mit der Gemeinde: Sie nimmt es doch ziemlich ernst, gruselt sich an den Stellen, wo sie soll, und erlaubt sich allenfalls dann Lacher, wenn’s auch offiziell erlaubt ist. Und das ist meist der Fall, wenn in rund 20 Wallace-Streifen Eddi Arent als Komiker vom Dienst launige Bonmots von sich gibt.

Nicht immer blieb es in den 13 Wallace-Jahren von 1959 bis 1972 nahe am literarischen Vorbild. Am besten im Gedächtnis bleiben die Streifen der frühen Sechziger, als sich selbst ein später in langen Dialog-Passagen austrainierter Autor wie Herbert Reinecker noch eine etwas aktionsreichere Feder leistete. Gerade in späteren Jahren wurde schon mal "frei nach Edgar Wallace" gedreht, wurden die Filme farbig, blutiger und am Ende, mit italienischen Co-Produzenten, auch reichlich trivial.

Gleichviel, für die Fans ist seit einigen Jahren die Verehrerschaft im stillen Kämmerlein vorbei. Jetzt gibt es ein Wallace-Festival, wenn auch nicht gerade an dem Ort, den man sich am liebsten vorstellen mag. Kein altes Gemäuer steht zur Verfügung, um eine Grusel-Party abzuhalten. In Neustadt, nicht gerade einem der idyllischsten Orte im Schwarzwald, traf man sich heuer eine Woche vor Ostern, und das im "Neustädter Hof".

Was hat der deutsche Südwesten mit den Londoner Nebelschwaden zu tun? Eddi Arent (76), Idol der Wallace-Gemeinde, hat sich dort vor Jahren gemeinsam mit seiner Frau dieses Hotel gekauft. Und einige emsige Verehrer sind so auf die folgerichtige Idee gekommen. Fans wollen begutachten und brauchen die "Stars zum Anfassen". Und so wurde, mittlerweile zum dritten Mal, in die Vollen gegriffen: drei Tage, und das nonstop, mit Dias, Filmen und vor allen Dingen den einstigen Wallace-Akteuren.

Ein sichtlich selbstbewußter Herr namens Christos Tses ist der Organisator des Treffens. Nach eigenem Bekunden führt er ein "Archiv des deutschen Kriminalfilms" und ist wohl ein ebenso eifriger Verehrer wie die zahllos angereisten Damen und Herren, die mit leuchtenden Augen an den einstigen Größen vorbeigehen. Joachim Fuchsberger und Heinz Drache haben sich in den drei Jahren zwar noch nicht blicken lassen. Trotzdem schwärmt ein Herr aus der Industrie von den vielen Stars, die ihm schon begegnet sind, etwa "Jürgen Buchholz" und "Karl Maria Brandauer". Immerhin, die tatsächlich Anwesenden sind auch ganz schön populär, selbst wenn sie nicht immer vor der Kamera auf Mörderjagd gehen. In diesem Jahr war es der legendäre Böttcher, der, nicht zuletzt mit seinem Karl May-Sound, bis heute eine für einen Filmkomponisten beachtlich große Verehrerschar hat.

Ein großer Saal, Tische und Stühle kreuz und quer, über der kargen Bühne ein ziemlich lustlos baumelndes, kleines Spielzeug-Gespenst, drei Plakate aus Wallace-Streifen zeugen, daß hier akribische Fachleute am Werke waren. Wer glaubte, er würde sich in der Filmgeschichte auskennen, der wird von eifrigen Amateuren eines Besseren belehrt. Da sitzen einige Herrschaften auf der Bühne und brauchen auch beim kleinsten Detail nicht zu passen. Selbst Martin Böttcher ist erstaunt: "Die konnten tatsächlich, wie aus der Pistole geschossen, sämtliche Wallace-Filme aufzählen, für die ich die Musik geschrieben habe. Das würde nicht einmal mir in der Schnelligkeit gelingen."

Das Wallace-Festival, das mittlerweile einem Familientreffen gleicht, ist für die Stadtoberen außerordentlich wichtig geworden, können sie doch zumindest in puncto Krimi gegen das Touristen-Mekka Titisee punkten, mit dem Neustadt zu einer Stadt zusammengeschlossen ist. So verkündet schon am Ortseingang ein Schild den Stolz der Stadtväter. Die "berühmten Krimi-Stars", die da angepriesen werden, sollen locken, auch wenn es nicht allzu viele sind. Ilse Page ist gekommen, die einst als Sekretärin von Sir John burschikos dessen Launen aushalten durfte. Und Uta Levka, eine der Schönsten aus der Wallace-Reihe hat sich, wie sie selbst bekundet, gleich noch einmal selbst eingeladen. Eifrig scharwenzelten die Verehrer um sie herum, die es nicht glauben können, daß sich diese Dame auch nach über dreißig Jahren kaum verändert hat.

Wenn es darum geht, den eigenen Fans etwas näher zu rücken, dann erduldet man viel: Etwa eine mühselige Fragerunde, die die angereisten Krimi-Größen über sich ergehen lassen müssen. Sichtlich erschüttert ist da der Moderator, als ihm Kameramann Heinz Hölscher, der den "Grünen Bogenschützen" gedreht hat, erklärt, daß er mittlerweile kaum noch einen Wallace-Film sieht. Es sei denn aus Zufall und außerdem würde er sich im Fernsehen ohnehin lieber Naturfilme und Nachrichten ansehen.

Aber die Gemeinde hält’s aus, sogar die überlangen Verkündungen, die Herr Tses in seiner Funktion als abendlicher Conférencier absolviert. Da redet er viel und eifrig, schwärmt von dem anwesenden Jürgen Roland, der das sichtlich genießt. Ende der fünfziger Jahre, als der dänische Produzent Preben Philipsen einen Wallace-Film ankündigte, sei er als Regisseur vorgesehen gewesen. Doch Roland, der gerade im TV die höchst erfolgreiche Krimi-Reihe "Stahlnetz" drehte, habe abgelehnt und seinen Part Harald Reinl überlassen. Erst nachdem "Der Frosch mit der Maske" ein Kassenschlager wurde, besann Roland sich eines Besseren und führte bei zwei Wallace-Filmen Regie.

Das Publikum ist sichtlich ratlos über so manches Gespräch, das auf dem Podium stattfindet, und wird es am Abend noch mehr sein, wenn es dem Organisator einfällt, einen Preis an die WDR II-Sportredaktion zu vergeben. Denn Preise müssen sein, am Vorbild Hollywood hat man sich ein Beispiel genommen. Spannend wie Krimis seien Fußball-Reportagen – da blicken auch die anwesenden Krimi-Größen etwas ratlos in die Runde.

Es sind drei volle Tage, die für die angereiste Verehrerschar auch nicht ganz billig sind. Aber was soll’s, hier ist jeder freundlich und die Organisation locker, allzuviel Theorie braucht man ebenfalls nicht zu fürchten. Die Wirtsleute Arent sind zufrieden. Der Komiker, zwar etwas stiller geworden, kommt am Abend in Hochform. Für die Gags ist das Publikum immer noch dankbar. So wandern die Fans durch die Flure, bestückt mit CDs, Büchern, Alben, alten Pro- und Autogrammen, die allesamt mit zahlreichen Unterschriften verziert werden müssen. Und wenn am Abend das Licht ausgeht und ein schwarzer Abt über die Bühne huscht, dann ist’s so schön wie vierzig Jahre zuvor, auch wenn viele im Saal die Filme nur noch von Wiederholungen kennen.

Und wenn der Kurdirektor von den unvergleichlichen, wunderbaren Filmen schwärmt und sich darüber echauffiert, daß heutige Krimis keinesfalls mehr die Qualität von damals hätten, dann brandet Applaus auf, als würde Kinski diabolisch grinsend zu einem Erdenauftritt auf der Bühne erscheinen.


 
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